OLG Stuttgart: Wirksame Vertretung des Nacherben aufgrund einer trans- oder postmortalen Vorsorgevollmacht für den Vorerben

BGB §§ 164, 168, 172, 181, 672, 2112, 2113, 2136, 2222; GBO §§ 29, 51

Der von dem Erblasser trans- oder postmortal bevollmächtigte Vorerbe kann auch den Nacherben wirksam vertreten, ohne den Verfügungsbeschränkungen der §§ 2112, 2113 BGB unterworfen zu sein. (amtl. Leitsatz)

OLG Stuttgart, Beschluss vom 29.05.2019 - 8 W 160/19, BeckRS 2019, 11670

Anmerkung von 
JR Dr. Wolfgang Litzenburger, Notar in Mainz
 
Aus beck-fachdienst Erbrecht 07/2019 vom 22.07.2019

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Sachverhalt

Die 2017 verstorbene, im Grundbuch als Eigentümerin des verfahrensgegenständlichen Grundbesitzes eingetragene Erblasserin hatte ihren Kindern, den Beteiligten, am 14.06.2005 - je einzeln - eine notariell beurkundete General- und Vorsorgevollmacht erteilt, welche ausdrücklich über den Tod hinaus fortwirken sollte.

Die Beteiligten sind zugleich nicht befreite Mit-Vorerben ihrer Mutter zu je 1/4, Nacherben sind nach dem Ableben eines Vorerben die leiblichen Kinder des jeweiligen Vorerben. Sämtliche Nachlassgegenstände mit Ausnahme des verfahrensgegenständlichen Grundbesitzes stehen den Vorerben als Vorausvermächtnis zu.

Die Beteiligte zu 4 hat auch im Namen der übrigen Beteiligten die Grundbuchberichtigung dahingehend beantragt, dass die Beteiligten als Eigentümer des verfahrensgegenständlichen Grundbesitzes eingetragen werden. Gleichzeitig hat sie namens der Nacherben den Grundbesitz aus der Nacherbschaft frei gegeben und die Löschung des Nacherbenvermerks im Wege der Grundbuchberichtigung bewilligt und beantragt.

Der Notar hat den Antrag beim Grundbuchamt eingereicht. Dieses hat im Wege der Zwischenverfügung beanstandet, dass die transmortal erteilte Vollmacht bis zum Eintritt des Nacherbfalls nur zur Vertretung der Vorerben und nicht zur Vertretung der Nacherben berechtige, so dass es der Freigabe durch die Nacherben selbst bedürfe; für die noch unbekannten Nacherben sei ein Pfleger zu bestellen.

Gegen diese Entscheidung hat der vertretungsbefugte Notar Beschwerde eingelegt, der das Grundbuchamt nicht abgeholfen hat.

Entscheidung: Die von der Bevollmächtigten auch für die Nacherben erklärte Freigabe des Grundbesitzes aus der Nacherbschaft nebst Bewilligung der Löschung des Nacherbenvermerks ist wirksam, so dass die Voraussetzungen für die Berichtigung des Grundbuchs durch Eintragung der Beteiligten als Eigentümer ohne Nacherbenvermerk gegeben sind.

In Rechtsprechung und Literatur ist umstritten, ob eine über den Tod hinauswirkende Vollmacht des Erblassers nach dessen Ableben bis zum Eintritt des Nacherbfalls den Bevollmächtigten auch zur Vertretung des Nacherben legitimiert.

Hierzu wird einerseits die Auffassung vertreten, eine vom Erblasser dem Vorerben oder einem Dritten erteilte Vollmacht berechtige bis zum Nacherbfall nur zur Vertretung des Vorerben, so dass auch ein Bevollmächtigter dessen Verfügungsbeschränkungen unterliege (MükoBGB/Grunsky, 7. Aufl. 2017, § 2112, Rn. 10; Gierl in Kroiß/Ann/Mayer, BGB Erbrecht, 5. Aufl. 2018, § 2112, Rn. 20; Schmidt in Erman, BGB, 15. Aufl. 2017, § 2112, Rn. 5; Avenarius in Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2013, § 2112, Rn. 33 f.; § 2100, Rn. 47; Edenhofer in Palandt, BGB, 67. Aufl., § 2112, Rn. 7; Böttcher, NotBZ 2011, 269, 276). Das Rechtsverhältnis, auf dem die Fortdauer der Vollmacht gemäß § 168 BGB beruhe, bestehe nach Ableben des Vollmachtgebers nur zwischen dem Vollmachtnehmer und dem Vorerben, der Nacherbe sei vor Eintritt des Nacherbfalls an diesem Rechtsverhältnis nicht beteiligt. Ein Widerruf der Vollmacht durch den Nacherben sei daher nicht möglich (Grunsky a.a.O.). Überdies könne es zu einem Widerruf häufig allein aus tatsächlichen Gründen nicht kommen, weil der Nacherbe von der Vollmacht nichts erfahre oder noch nicht lebe und kein Pfleger bestellt wurde (Avenarius, a.a.O.). Eine Vertretung des Nacherben würde dessen Schutzrechte gegenüber dem Vorerben aushöhlen, weil dadurch die aus § 2136 BGB folgende Grenze der Befreiungskompetenz des Erblassers überschritten wäre. Der Bevollmächtigte könnte ansonsten über den Kopf des Nacherben ohne dessen Eingriffsmöglichkeit auch unentgeltliche Verfügungen vornehmen.

Teilweise wird vertreten, dass die dem Vorerben erteilte Vollmacht mit dem Ableben des Erblassers durch Konsolidation erlösche, niemand könne sich selbst vertreten (Müller-Christmann in BeckOGK, Stand 1.3.2019 , BGB § 2112 Rn. 67; Munzig in KEHE Grundbuchrecht, 8. Aufl. 2019, § GBO § 51 GBO, Rn. 12; Keim, DNotZ 2008, 175, 181 zu III 1; Böhringer in Meikel, GBO, 11. Aufl., § 51, Rn. 64).

Der Senat schließt sich indes der Gegenauffassung an, wonach der von dem Erblasser trans- oder postmortal Bevollmächtigte auch den Nacherben wirksam vertreten kann und in seiner vom Erblasser abgeleiteten Verfügungsmacht nur den Beschränkungen unterliegt, die ihm vom Erblasser selbst direkt auferlegt wurden (KGJ 36, 166; Weidlich in Palandt, BGB, 78. Aufl., § 2112, Rn. 4; Weidlich, ZEV 2016, 57, 64; Schubert in Münchener Kommentar zum BGB, 7. Aufl. 2015, § 168, Rn. 52; Schilken in Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2014, § 168, Rn. 33; Schöner/Stöber, Grundbuchrecht, 15. Aufl. 2012, Rn. 3488). Seine Rechtsmacht, die Erben zu binden, entspricht der Rechtsmacht des prämortal Bevollmächtigten. Durch nach dem Tod des Vollmachtgebers seitens des Bevollmächtigten vorgenommene Rechtsgeschäfte werden sämtliche Erben einschließlich etwaiger Nacherben berechtigt und verpflichtet (Amann, MittBayNot 2013, 367). An die für den Vorerben geltenden Verfügungsbeschränkungen der §§ 2113, 2114 BGB ist der Bevollmächtigte auch dann nicht gebunden, wenn er gleichzeitig Vorerbe ist (Weidlich, in Palandt a.a.O.).

Zwar tritt in das der Vollmacht zugrundeliegende Rechtsverhältnis nur der Vorerbe und nicht auch der Nacherbe ein. Der Nacherbe kann jedoch als Erbanwärter kraft seines künftigen Erbrechts über Nachlassgegenstände, für welche der Vorerbe allein den Beschränkungen der §§ 2113, 2114 BGB unterliegt, in Gemeinschaft mit dem Vorerben wirksam verfügen. Insoweit er Verfügungen des Vorerben durch seine Zustimmung wirksam werden lassen kann, ist auch seine Vertretung durch einen Bevollmächtigten zulässig. Die von dem Erblasser für sich und seine Erben erteilte Vollmacht berechtigt den Bevollmächtigten mithin auch, vor Eintritt der Nacherbfolge insoweit im Namen des Nacherben zu handeln, als der Nacherbe selbst vor Eintritt der Nacherbfolge in seiner Eigenschaft als Nacherbe handeln kann. Der Bevollmächtigte kann somit gleichzeitig im Namen des Vorerben und des Nacherben handeln. Erweist sich die Verfügung des Bevollmächtigten für den Nacherben als nachteilig, so kann daraus möglicherweise ein Anspruch des Nacherben gegen den Bevollmächtigten erwachsen, ohne dass deswegen die Gültigkeit der Verfügung des Bevollmächtigten in Frage gestellt wird. Sind Vollmachtnehmer und Vorerbe identisch, mag mit dem Tod des Erblassers die Vollmacht, für den Vorerben zu handeln, durch Konsolidation erloschen sein, die Vertretungsmacht, für den Nacherben zu handeln, bleibt jedoch bestehen.

Dass der Nacherbe noch nicht in das der Vollmacht zugrundeliegende Rechtsverhältnis für den Erblasser eingetreten ist, hindert die Wirksamkeit der Vollmacht, auch für den Nacherben zu handeln, nicht, weil das Abstraktionsprinzip eine wirksame Vollmacht auch ohne Grundverhältnis ermöglicht. Der Nacherbe kann eine solche isolierte Vollmacht auch frei widerrufen. Der Einwand, das Widerrufsrecht des Nacherben sei aus tatsächlichen Gründen kaum zu realisieren, mag zutreffen, spricht aber nicht gegen die vom Erblasser abgeleitete und von den Erben hinzunehmende Befugnis des Bevollmächtigten, auch den Nacherben zu vertreten. Der Erblasser könnte dem Nacherben ebenso mittels eines Nacherbenvollstreckers gemäß § 2222 BGB während der Vorerbschaft seine Befugnisse völlig entziehen, ohne dass der Nacherbe die Möglichkeit hätte, sich dem zu widersetzen.

Hielte man eine Stellvertretung für den Nacherben vor Eintritt des Nacherbfalls prinzipiell für unzulässig, könnte eine Vertretungsmacht auch nicht über den Rechtsschein des § 172 BGB fingiert werden. Das Grundbuchamt wäre in allen Fällen, in denen ein trans- oder postmortal Bevollmächtigter Verfügungen für den Nachlass vornimmt, gezwungen, sich in der Form des § 29 GBO nachweisen zu lassen, dass der Erblasser keine Nacherben eingesetzt hat oder dass die eingesetzten Nacherben der Verfügung zugestimmt haben. Die trans- oder postmortale Vollmacht wäre damit für den Grundbuchverkehr erheblich entwertet.

Die Freigabe des verfahrensgegenständlichen Grundbesitzes aus der Nacherbschaft und die Bewilligung der Löschung des Nacherbenvermerks durch die Beteiligte zu 4 ist daher den Nacherben gegenüber wirksam.

Praxishinweis

Mit der zunehmenden Verbreitung von Vorsorgevollmachten, die eine umfassende Generalvollmacht beinhalten, gewinnt die vom Senat entschiedene Frage immer größere praktische Bedeutung. Die Tatsache, dass nicht nur das OLG Stuttgart, sondern auch das OLG München (BeckRS 2019, 11659) im Verlaufe nur eines Monats im Kern über diese Frage zu entscheiden hatten, belegt die praktische Relevanz dieses Problems. Das Problem selbst ist nicht neu, denn bereits das KG hatte in den Jahren 1908 (KGJ 36, 166) und 1912 (KGJ 43, 157) hierüber zu befinden und Grundlegendes dazu entschieden.

1. Bevollmächtigung zur Vertretung der Erben „im weitesten Sinne“

Der Erblasser, der die von ihm zum Vorerben eingesetzte Person zugleich über den Tod hinaus bevollmächtigt, über Nachlassgegenstände, vor allem Grundbesitz und Grundstücksrechte, zu verfügen, setzt mit seinem Tod widerstreitende Rechtsfolgen in Kraft. Einerseits sind selbst einem befreiten Vorerben gemäß §§ 2136, 2113, 2114 BGB bestimmte Verfügungen über den Nachlass verboten, während andererseits die diesem erteilte (General)Vollmacht ihm auch diese Verfügungen ausdrücklich erlaubt, wobei in aller Regel sogar noch eine Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB bei Insichgeschäften gewährt wird. Mit den Worten des Kammergerichts (KGJ 36, 166, 171) ist „die Vollmacht ausdrücklich zur Vertretung der Machtgeberin und ihrer Erben erteilt und ermächtigt den Bevollmächtigten ausdrücklich zur Vornahme aller Rechtsgeschäfte unter Lebenden ohne Ausnahme, zu deren Vornahme die Machtgeberin selbst befugt war. Die Machtgeberin hat also die Vollmacht unbeschränkt erteilt und demnach den Bevollmächtigten auch zur Vertretung ihrer Erben im weitesten Sinne ermächtigt“.

Zwar kann der Vorerbe nicht zugleich sich selbst vertreten, so dass die ihm erteilte Vollmacht durch Konsolidation erlischt, soweit sie den dem Vorerben angefallenen Nachlass betrifft. Doch ist damit noch nicht die Frage beantwortet, ob die umfassende Vollmacht nicht auch dazu berechtigt, die zur freien Verfügung erforderlichen Zustimmungserklärungen der Nacherben zu ersetzen. Die Befugnis des Erblassers, auch für den Nacherben einen Bevollmächtigten zu bestellen, hatte bereits das Kammergericht in seiner Entscheidung aus dem Jahre 1908 unter Berufung auf die Motive zum BGB festgestellt (KGJ 36, 166, 169 f.). Handelt es sich bei dem Bevollmächtigten um eine andere Person als den Vorerben, so wird diese Möglichkeit auch von niemandem bestritten, schließlich erlaubt sogar der Gesetzgeber die Ernennung eines Nacherbentestamentsvollstreckers gemäß § 2222 BGB. Probleme bereiten insoweit allein die Fälle, in denen der verfügungsbeschränkte Vorerbe zugleich der umfassend verfügungsberechtigte Bevollmächtigte ist. Im Kern geht es um die Frage, ob der Erblasser die zwingende Regelung des § 2136 BGB durch die gleichzeitige Erteilung einer weitergehenden (General)Vollmacht „aushöhlen“ darf, und welche Rechtsfolgen damit verbunden sind.

Dem Verständnis einer Vorsorge- bzw. Generalvollmacht als Ermächtigung auch zur Verfügung über die Nacherbenrechte wird von einem großen Teil der vom Senat bereits zitierten Literatur entgegengehalten, dass es an einem Grundverhältnis zwischen Vor- und Nacherbe für eine derartige Vollmacht fehle. Dabei wird jedoch übersehen, dass es in dieser Beziehung gar keines Grundverhältnisses bedarf, weil zum einen die Vollmacht vom Erblasser dem Vorerben erteilt worden ist, der in der Regel ein Auftragsverhältnis zugrunde liegen wird, und zum zweiten Vollmachten auch abstrakt erteilt werden können.

Auch das Argument des OLG München, dass „die gleichzeitige Vertretung von Vor- und Nacherben unzulässig [ist], wenn es sich um die Vornahme eines Rechtsgeschäfts zwischen dem Vor- und dem Nacherben handelt“ (a.a.O.), führt nicht weiter. Zum einen würde die in Generalvollmachten nahezu standardmäßige Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB dieser Begründung die Grundlage entziehen. Zum anderen hatte bereits das Kammergericht darauf hingewiesen, dass bei diesen Verfügungen gar kein Insichgeschäft vorliegt, weil die Zustimmung zu einer dem Vorerben gemäß §§ 2136, 2113, 2114 BGB verbotenen Verfügung gar keine Erklärung gegenüber diesem ist, sondern gegenüber dem Dritten (KGJ 36, 166, 170 f.); Dritter in diesem Sinne ist auch das Grundbuchamt. 

Bereits das Kammergericht hatte mit Recht darauf hingewiesen, dass es dem Erblasser freistehe, das Anwartschaftsrecht des Nacherben einzuschränken, etwa durch die Ernennung eines Nacherbentestamentsvollstreckers gemäß § 2222 BGB, durch die Anordnung von Zustimmungspflichten oder durch Bedingungen (Vgl. zum „superbefreiten Vorerben“ J. Mayer ZEV 2000, 1). Deshalb kann es eigentlich nicht zweifelhaft sein, mit dem Kammergericht und dem OLG Stuttgart anzunehmen, dass der Erblasser grundsätzlich auch eine Vollmacht mit Wirkung für und gegen die Nacherben erteilen kann. Die Testierfreiheit erlaubt es dem Erblasser grundsätzlich, die Rechte und Pflichten nicht nur des Vor-, sondern auch des Nacherben zu regeln. Beide leiten ihre Rechte vom Erblasser her und müssen sie so hinnehmen wie dieser sie bestimmt hat. Solange der Erblasser einen Widerruf der dem Vorerben erteilten Vollmacht durch den Nacherben nicht ausdrücklich ausgeschlossen hat, wird ihm dieses Recht nach den allgemeinen Regeln des Vertretungsrechts dabei auch zur Verfügung stehen, ungeachtet der damit verbundenen praktischen Probleme. Zweifel seien an dieser Stelle jedoch angemeldet, ob der Erblasser nach seiner Grundentscheidung für die Vor- und Nacherbschaft rechtlich wirksam das Widerrufsrecht des Nacherben überhaupt ausschließen kann. Doch ist dies nicht der Ort für eine eingehende Untersuchung dieser Frage. Der in der vom Senat zitierten Literatur vorgebrachte Einwand, dieser faktische Ausschluss der Widerrufbarkeit, stehe einem derartigen Verständnis der Vollmacht entgegen, überzeugt letztlich nicht.

Mit Recht weist der Senat des OLG Stuttgart darauf hin, dass alle trans- oder postmortale Vollmachten für den Grundbuchverkehr erheblich entwertet würden, wenn das Grundbuchamt bei allen Verfügungen eines so Bevollmächtigten über den Nachlass gezwungen wäre, sich in der Form des § 29 GBO nachweisen zu lassen, dass der Erblasser keine Nacherben eingesetzt hat oder dass die eingesetzten Nacherben der Verfügung zugestimmt haben.

Damit bleibt festzuhalten, dass der Widerspruch zwischen beschränkter Vorerbschaft und umfassender Vertretungsmacht aufgrund Vollmacht nicht dadurch aufgelöst werden kann, dass letzterer die Wirksamkeit gegenüber dem Nacherben ab dem Tod des Vollmachtgebers generell abgesprochen wird. Schließlich hat der Erblasser und Vollmachtgeber ausdrücklich die umfassende Geltung ab bzw. über seinen Tod hinaus gerade erklärt.

2. Missbrauch der Vertretungsmacht wegen Umgehung des § 2136 BGB

Trotzdem steht – entgegen der Ansicht des Senats des OLG Stuttgart - damit noch nicht fest, dass der Bevollmächtigte nach außen umfassend verfügungsbefugt und der Nacherbe nur auf etwaige Ersatzansprüche gegen den Vorerben beschränkt ist.

Die von §§ 2136, 2113, 2114 BGB nicht gedeckte Ausübung der dem Vorerben eingeräumten Vertretungsmacht kann sich nach höchstrichterlicher ständiger Rechtsprechung nämlich als deren Missbrauch, einem Fall der unzulässigen Rechtsausübung, darstellen (Vgl. BGH NJW 1966, 1911). Der Missbrauch der Vertretungsmacht hat dabei zur Folge, dass das Vertreterhandeln nach § 242 BGB nicht gegen den Vertretenen, also hier den Nacherben, wirkt und somit für ihn unverbindlich ist (BGH NJW 1999, 2883, 2884). Der Nacherbe trägt damit zwar grundsätzlich das Risiko eines Vollmachtmissbrauchs durch den Vorerben, ist aber gegen einen erkennbaren Missbrauch der Vertretungsmacht im Verhältnis zum Dritten dann geschützt, wenn der Vertreter von seiner Vertretungsmacht in ersichtlich verdächtiger Weise Gebrauch macht, so dass beim Dritten begründete Zweifel entstehen muss, ob nicht ein Treueverstoß des Vertreters gegenüber dem Vertretenen vorliegt (BGH NJW 1966, 1911).

Bei Verfügungen über Grundstücke und Grundstücksrechte ist Adressat der gemäß §§ 2112, 2113, 2114 BGB erforderlichen Zustimmung des bzw. der Nacherben (auch) das Grundbuchamt. Dieses ist Dritter im Sinne dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung und hat vor diesem Hintergrund der Frage nachzugehen, ob der generalbevollmächtigte Vorerbe nicht seine Vertretungsmacht in diesem Sinne treuwidrig missbraucht, wenn er im Widerspruch zu den gesetzlich zwingenden Vorschriften des Erbrechts über das Eigentum bzw. die Grundstücksrechte verfügt (Vgl. Weidlich ZEV 2016, 57, 61). Da es sich um eine vom Gesetzgeber zwingend angeordnete Begrenzung der Testierfreiheit zum Schutze des Nacherben handelt, ist eine Verfügung ohne deren Beachtung unschwer als Rechtsmissbrauch der nach außen unbegrenzten Vertretungsmacht aufgrund der erteilten Vollmacht zu qualifizieren. Die Verfügungsbeschränkungen für den Vorerben sind mit Weisungen des Vollmachtgebers vergleichbar, die zwar die Rechtsmacht nach außen nicht tangieren, aber Bedeutung haben, wenn sie dem Geschäftspartner bekannt sind.

Bei Immobilien kann das Grundbuchamt infolge des ihm gegenüber gemäß § 35 GBO zu führenden Erbfolgenachweises die Verfügungsbeschränkungen des Vorerben sicher erkennen. Wenn diese verletzt würden, muss das Grundbuchamt mittels einer Zwischenverfügung trotz der Vorlage der trans- bzw. postmortalen Vollmacht die Zustimmung des bzw. der Nacherben fordern. Damit wird einerseits der durch § 2136 BGB geschützte Kernbereich des Nacherbenrechts zumindest bei Immobilien effektiv gewährleistet, ohne andererseits in allen anderen Fällen die durch § 172 BGB im Interesse der Rechtssicherheit postulierte Legitimationswirkung der vom Erblasser erteilten Vollmacht zu beeinträchtigen. Bei allen anderen Nachlassgegenständen folgt aus der Anwendung dieser Grundsätze über den Missbrauch der Vertretungsmacht ein Schutz für den bzw. die Nacherben nur dann, wenn der Geschäftspartner von der beschränkten Vorerbenstellung weiß, was vor allem bei Rechtsgeschäften mit Familienangehörigen der Fall sein dürfte. In allen anderen Fällen kann sich dagegen der Rechtsverkehr uneingeschränkt auf die Legitimationswirkung der Vollmachtsurkunde verlassen, so dass nur in Ausnahmefällen, nämlich bei Kenntnis der eingeschränkten Verfügungsbefugnis als Vorerbe eine Unwirksamkeit gemäß § 242 BGB i.V.m. §§ 2136, 2113 Abs. 2 BGB eintritt.

Auf dieser dogmatischen Grundlage lassen sich die vom Kammergericht und den beiden Obergerichten entschiedenen Fälle lösen:

  • In dem vom Kammergericht 1912 entschiedenen Fall (KGJ 43, 157) hatte der Erblasser am gleichen Tag seine Ehefrau in einem gemeinschaftlichen Testament zur befreiten Vorerbin eingesetzt und ihr eine umfassende, über den Tod hinaus geltende Generalvollmacht erteilt. Das Kammergericht verneinte eine Löschung von Hypotheken aufgrund der der Ehefrau erteilten Generalvollmacht mit folgender Begründung: „Eine Befreiung des Vorerben von diesen ihm im Interesse des Nacherben auferlegten Beschränkungen [Anm. des Verfassers: §§ 2112 ff. BGB] ist nur in den durch § 2136 BGB bestimmten Grenzen zulässig. Darüber hinaus kann der Vorerbe von den gesetzlichen Beschränkungen weder unmittelbar durch ausdrücklichen Ausspruch des Erblassers noch mittelbar auf dem Wege befreit werden, daß ihm durch eine Vollmacht … die Macht verliehen wird, zugleich für den Nacherben zu verfügen.“ Mit der vorangegangenen Entscheidung aus dem Jahre 1908 hatte das Kammergericht (KGJ 36, 166, 171) jedoch bereits klargestellt, dass die Vollmacht zur Vertretung „der Erben im weitesten Sinne“ – worunter auch die Nacherben zu verstehen sind - ermächtigt. Bei diesem speziellen Sachverhalt, nämlich der Zeitgleichheit beider Urkunden, war der Ehefrau von vorneherein klar, dass sie auch beim Gebrauch der Vollmacht den Beschränkungen des § 2136 BGB unterliegen würde, und zwar trotz weiterreichender Generalvollmacht. Deshalb ist nachzuvollziehen, dass das Kammergericht wohl von einer von vorneherein eingeschränkten Vertretungsmacht ausgegangen ist. Aber auch unter dem Gesichtspunkt einer unzulässigen Rechtsausübung stellt sich die Löschung der Hypothek entgegen der Schutzvorschriften zugunsten der Nacherben als Rechtsmissbrauch dar. Das Grundbuchamt konnte diesen auch unschwer erkennen und hat daher den Antrag zu Recht abgelehnt.
  • Im Falle des OLG Stuttgart hatte der Erblasser mit der besonderen Ausgestaltung des Testaments unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass er eine Verfügung über Immobilien nur mit Zustimmung der Nacherben wünschte. Er hatte nämlich durch das Vorausvermächtnis an den Vorerben des gesamten Nachlasses gerade mit Ausnahme der Immobilien in gewisser Weise die Nacherbenrechte auf den Grundbesitz beschränkt. Zwar ist eine Nacherbschaft an einzelnen Vermögensgegenständen nach allgemeiner Meinung nicht möglich, doch ist die vom Erblasser gewählte Konstruktion in ihrer Wirksamkeit unbestritten, obwohl sie faktisch ein vergleichbares Ergebnis hat. Wenn dann der zugleich zum Generalbevollmächtigten bestellte Vorerbe genau diese Beschränkung durch Gebrauch der Vollmachtsurkunde umgeht, so liegt unzweifelhaft ebenfalls ein Missbrauch der Vertretungsmacht vor. Auch in diesem Fall hat das Grundbuchamt den Missbrauch erkannt und auf der Zustimmung der Nacherben bestanden. Die vom Senat des OLG Stuttgart getroffene gegenteilige Entscheidung überzeugt daher im Ergebnis nicht.
  • Der Fall des OLG München (BeckRS 2019, 11659) ist demgegenüber nicht ganz so eindeutig gelagert. Dennoch wird man auch hier einen Rechtsmissbrauch feststellen können. Schließlich musste der bevollmächtigte Vorerbe wissen, dass er ohne die Generalvollmacht nicht berechtigt gewesen wäre, ohne Zustimmung der Nacherben den Grundbesitz zu seinen eigenen Gunsten freizugeben. Damit deckt sich aber dieser Sachverhalt mit den beiden zuvor geschilderten. Der Generalbevollmächtigte überschreitet mit seiner Verfügung zu seinen Gunsten die ihm durch das Testament als Vorerbe gezogenen Grenzen der Vertretungsmacht, was das Grundbuchamt in diesem Fall auch erkannt hat. Deshalb war der Antrag des Vorerben zurückzuweisen. Bedauerlich an der im Ergebnis richtigen Entscheidung des OLG München ist jedoch, dass der Senat auf diese Missbrauchsproblematik gar nicht eingegangen ist, sondern lediglich lapidar festgestellt hat, dass „die gleichzeitige Vertretung von Vor- und Nacherben unzulässig [ist], wenn es sich um die Vornahme eines Rechtsgeschäfts zwischen dem Vor- und dem Nacherben handelt“. Dieses Argument ist – wie bereits aufgezeigt - angesichts der Tatsache, dass in Generalvollmachten nahezu standardmäßig Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB erteilt wird, nicht überzeugend. Besser wäre es gewesen, wenn der Senat des OLG München auf die Grenzziehung der Vertretungsmacht des Vorerben durch § 2136 BGB eingegangen wäre, so wie es das Kammergericht in seiner Entscheidung aus dem Jahre 1912 getan hatte.

Löst man derartige Fälle durch die Beschränkung der Vertretungsmacht wegen rechtmissbräuchlicher Überschreitung der durch § 2136 BGB dem Vorerben gezogenen Grenzen der Verfügungsbefugnis („Missbrauchslösung“), so dient dies auch dem Schutz des Rechtsverkehrs und stärkt dessen Vertrauen in erteilte Vorsorgevollmachten. Während Grundbuchämter und Registergerichte aufgrund der ihnen gegenüber zu führenden Erbfolgenachweise solche Missbrauchsfälle leicht erkennen können, ist der allgemeine Rechtsverkehr nur dann betroffen, wenn er von der gleichzeitigen Vorerbenstellung des Bevollmächtigten zuverlässig Kenntnis hat und deshalb nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung am rechtmäßigen Gebrauch der Vollmacht zweifeln muss. Solange er davon nichts weiß, kann er Rechtsgeschäfte mit dem „Vorerben“ wirksam abschließen. Hat dieser dabei die Rechte des Nacherben verletzt, ist dieser auf seine gesetzlichen Ansprüche gegenüber dem Vorerben angewiesen; der Geschäftspartner haftet ihm im Falle der „Gutgläubigkeit“ jedenfalls nicht.

Die hier vertretene „Missbrauchslösung“ hat den Vorzug, dass die Vertretungsmacht aufgrund Generalvollmachten unabhängig von der Person der Bevollmächtigten universell ausgelegt werden kann. Der Umfang der Vertretungsmacht muss folglich nicht je nach der vertretenden Person unterschiedlich definiert werden, so dass die Legitimationswirkung der Vollmachtsurkunde gemäß § 172 BGB in keiner Weise beeinträchtigt wird. Nur beim Gebrauch durch den Vorerben bei Verfügungen, die ihm verboten sind und ihn begünstigen, wirkt sich die fehlende Vertretungsmacht wegen unzulässiger, weil durch § 2136 BGB verbotener Rechtsausübung aus. Handelt dagegen ein anderer als Bevollmächtigter des bzw. der Nacherben, so ist dessen Zustimmung zur Rechtswirksamkeit der Verfügung des Vorerben ausreichend. Im vorliegenden Falle hätte dann allerdings die Möglichkeit bestanden, da jeder Vorerbe Einzelvertretungsvollmacht hatte, dass jeder von ihnen zugunsten der anderen Mitvorerben die Immobilie hätte freigeben können. Im Ergebnis hätten alle 4 Vorerben zusammen die völlige Freigabe ohne Zustimmung der Nacherben erreichen können. Bei einem konzertierten Zusammenwirken aller 4 Vorerben hätten diese sich allerdings ebenfalls den Vorwurf des Missbrauchs ihrer Vertretungsmacht gegenüber dem bzw. den Nacherben gefallen lassen müssen, schließlich wissen sie um die Verfügungsbeschränkungen des Vertreters als Mitvorerbe. Dies zeigt, dass die „Missbrauchslösung“ auch in solchen Fällen zu angemessenen Ergebnissen gelangt.

Redaktion beck-aktuell, 25. Juli 2019.