OLG Frankfurt a.M.: Sittenwidrigkeit der Erbeinsetzung unter der aufschiebenden Bedingung der Erfüllung einer Besuchspflicht beim Erblasser

GG Art. 14 I 1; BGB §§ 134, 138, 2065 I, 2200

Setzt ein Erblasser erbrechtliche Vermögensvorteile als Druckmittel für zu Lebzeiten durchzuführende Besuche seiner Enkelkinder ein, ist eine an die Besuchspflicht geknüpfte bedingte Erbeinsetzung der Enkel sittenwidrig und damit nichtig. Die Enkel sind unter Berücksichtigung des hypothetischen Willens des Erblassers auch ohne Erfüllung der Besuchspflicht Miterben.

OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 05.02.2019 - 20 W 98/18, BeckRS 2019, 1992

Anmerkung von 
JR Dr. Wolfgang Litzenburger, Notar in Mainz
 
Aus beck-fachdienst Erbrecht 03/2019 vom 22.03.2019

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Sachverhalt

Die Enkel des Erblassers wenden sich mit ihrer Beschwerde gegen den Beschluss des Nachlassgerichts, wonach die Ehefrau des Erblassers und der Sohn D des Erblassers aus 1. Ehe im Erbschein als Miterben des Erblassers zu je 1/2 ausgewiesen werden sollen. Bei den beschwerdeführenden Enkeln F. und E. handelt es sich um die Kinder des weiteren Sohnes B des Erblassers aus dessen 1. Ehe.

Dem Erbscheinsantrag liegt das handschriftliche Testament vom 20.09.2014 zu Grunde, in dem es u.a. heißt:

„.... Sollte ich C vor meiner Frau versterben, bekommen meine Frau 25 % meines gesamten Geldvermögen und kümmert sich um Bestattung und Pflege der Grabstätte. Die Kosten hierfür werden von dem vorhandenen Geld verwendet. 25 % des verbleibenden Geldvermögens bekommt mein Sohn D.

Die restlichen 50 % des dann noch vorhandenen Geldes, bekommen, zu gleichen Teilen meine Enkel F u. E, aber nur dann, wenn sie mich regelmäßig d.h. mindestens 6-mal im Jahr besuchen.

Wenn das der Fall ist, muss das Nachlassgericht bis zu ihrem 21. Lebensjahr das Geld auf einem Sperrkonto verwahren.

Sollte das nicht der Fall sein d. h. mich keiner besuchen, werden die restlichen 50 % des Geldes zwischen meiner Frau G und meinem Sohn D aufgeteilt.

Mein Sohn B seine Frau H dürfen über den Erbnachlass nicht verfügen, und auch nach dem jetzigen Stand der Dinge nich zu meiner Beerdigung kommen...“.

Entscheidung: Die aufschiebende Bedingung, die die Erbenstellung der Beschwerdeführer von der Erfüllung einer ihnen auferlegten Besuchspflicht bei dem Erblasser abhängig macht, ist sittenwidrig und damit nichtig.

Die von Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG geschützte Testierfreiheit eines Erblassers gewährleiste, dass er grundsätzlich die Erbfolge nach seinen eigenen Vorstellungen gestalten könne, so dass eine Sittenwidrigkeit einer Bedingung nur in besonders schwerwiegenden Ausnahmefällen angenommen werden könne. Die Grenze zu derart schwerwiegenden Ausnahmefällen werde dann überschritten, wenn die von dem Erblasser erhobene Bedingung unter Berücksichtigung der höchstpersönlichen und auch wirtschaftlichen Umstände die Entschließungsfreiheit des bedingt eingesetzten Zuwendungsempfängers unzumutbar unter Druck setze und durch das Inaussichtstellen von Vermögensvorteilen Verhaltensweisen bewirkt werden soll, die regelmäßig eine freie, innere Überzeugung des Handelnden voraussetzten. Dabei seien jeweils die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Die Umstände müssten insbesondere erkennen lassen, ob der Erblasser durch einen wirtschaftlichen Anreiz in einer gegen das „Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden“ verstoßenden Weise ein bestimmtes Verhalten zu „erkaufen“ suche. Die Zuwendung müsse nach ihrem Gewicht überhaupt geeignet sein, die Entscheidung des Bedachten zu beeinflussen.

Unter Berücksichtigung dieser allgemeinen Grundsätze seien die hier von dem Erblasser eingeforderten regelmäßigen, mindestens sechsmal jährlichen Besuche durch seine Enkelkinder als Voraussetzung der Erlangung einer Erbenstellung als sittenwidrig anzusehen.

Der legitime Wunsch des Erblassers, seine Enkelkinder in regelmäßigen Abständen bei sich zu Hause zu sehen, erlaube es dem Erblasser – so der Senat - nicht, diesem in der gewählten Form Ausdruck zu verleihen. Der dabei zu erlangende Vermögensvorteil für seine Enkelkinder sei im Hinblick auf das zu vererbende Gesamtvermögen des Erblassers von 250.000 bis 300.000 EUR auch so erheblich, dass er ohne Weiteres geeignet sei, die Entscheidung über die Besuchsfrage zu beeinflussen. Über dieses Druckmittel habe der Erblasser ein Verhalten seiner Enkelkinder erreichen wollen, das regelmäßig deren innere, freie Überzeugung voraussetzen würde. Dem Erblasser sei es darauf angekommen, eine derartige Drucksituation zur Durchsetzung seiner Besuchsziele zu schaffen. Dafür spreche die dem Vater seiner Enkelkinder übersandte Abschrift des Testaments vom 26.09.2014 mit dem Hinweis einer „Vollstreckungsdrohung“.

Eine derartige Einflussnahme des Erblassers auf die Entschließungsfreiheit seiner Enkelkinder sei von der Rechtsordnung auch im Hinblick auf die Testierfreiheit des Erblassers nicht hinzunehmen und damit als sittenwidrig und somit nichtig einzuordnen.

Die Nichtigkeit der Besuchsbedingung führe jedoch nicht auch zu einer Nichtigkeit der Erbeinsetzung seiner Enkelkinder im Ganzen, weil im vorliegenden Fall ein anderer hypothetischer Wille des Erblassers feststellbar sei. Der Inhalt der unwirksamen Besuchsbedingung selbst zeige, wie viel dem Erblasser an einer persönlichen Beziehung zu seinen Enkelkindern gelegen habe. Dafür spreche auch der Inhalt der E-Mail des Erblassers an seinen Sohn B, den Vater der Enkelkinder, vom 03.11.2014, in der der Erblasser Wert daraufgelegt habe, seinem Enkel F persönlich etwas als Geburtstagsgeschenk „in die Hand geben“ zu wollen, und diesem nicht einfach etwas auf das Sparbuch legen zu wollen. Diese enge Bindung des Erblassers an seine Enkelkinder spreche dafür, dass er dann, wenn er gewusst hätte, dass er sein Ziel der Sicherstellung der regelmäßigen Besuche durch seine Enkelkinder aus Rechtsgründen wegen Unwirksamkeit des hierzu von ihm gewählten Mittels nicht in der gewählten Form würde durchsetzen können, seine Enkelkinder trotzdem bedacht hätte.

Auch die Verfügung, dass das Nachlassgericht bis zu deren 21. Lebensjahr das Geld auf einem Sperrkonto verwahren solle, spreche hierfür. Es bestehe kein Anhalt, dass der Erblasser an dieser Bestimmung etwa nur für den Fall hätte festhalten wollen, dass seine Enkelkinder diese Erbenstellung infolge der Erfüllung seiner Besuchsbedingung erreichen würden und nicht im eingetretenen Fall der rechtlichen Unwirksamkeit dieser Bedingung.

Weiterhin habe der Erblasser zum maßgeblichen Zeitpunkt der Testamentserrichtung offensichtlich auch seinen Sohn B enterben wollen. Der Erblasser habe in keinem Fall eine faktische Verfügungsmöglichkeit seines Sohnes B auch nur über Teile seines Nachlasses gewollt. Diese ergebe sich deutlich aus der Testamentsklausel über die Verwahrung des Erbteils seiner Enkelkinder durch das Nachlassgericht auf einem Sperrkonto.

Genauso wenig gebe es einen ausreichenden Anhalt dafür, dass der Erblasser bei Kenntnis der rechtlichen Unwirksamkeit der Besuchsbedingung gewollt hätte, dass die „restlichen 50 % des Geldes zwischen“ seiner Ehefrau und seinem Sohn D aufgeteilt werden.

Somit sprächen die Gesamtumstände im Ergebnis auch bei einer hypothetischen Testamentsauslegung dafür, dass der Erblasser dann, wenn er zum Testamentserrichtungszeitpunkt gewusst hätte, dass die von ihm testierte Besuchsbedingung unwirksam wäre, seine beiden Enkelkinder trotzdem und unter Aufrechterhaltung der Anordnung der Geldverwahrung auf einem Sperrkonto bis zu deren jeweiligen 21. Lebensjahr als seine Miterben eingesetzt hätte.

Praxishinweis

Diese Entscheidung ist auf ein großes Medieninteresse gestoßen und wird auch unter Fachleuten sicherlich viel Resonanz erzeugen, schließlich ist die Vorenthaltung persönlicher Kontakte zu den eigenen Enkelkindern durch deren Eltern ein häufig anzutreffendes familiäres Problem. Hätte der Senat die Wirksamkeit einer solchermaßen aufschiebend bedingten Erbeinsetzung anerkannt, wäre dies ein probates Mittel geworden, dem Vorenthalten des Kontakts auf der einen Seite mit einer entsprechenden Gegenmaßnahme seitens der Großeltern zu begegnen. Schon allein deshalb ist es zu begrüßen, dass der Senat Besuchsbedingungen in letztwilligen Verfügungen die Wirksamkeit aberkannt hat.

Darüber hinaus lohnt es, diese Entscheidung in die durch die Hohenzollern-Entscheidung des BVerfG (NJW 2004, 2008) ausgelöste Debatte über die Grenzziehung zwischen zulässigen und sittenwidrigen Potestativbedingungen einzuordnen (s. die ausführliche Darstellung des Meinungsstreits bei MüKoBGB/Leipold, 7. Aufl. 2017, BGB § 2074 Rn. 19-21a). Dabei sind die Testierfreiheit des Erblassers einerseits mit den grundrechtlich geschützten Rechten des bzw. der Erben andererseits abzuwägen.

Der Erblasser hat selbstverständlich das Recht, die Zuwendung auch ganz zu unterlassen. Aus diesem Grund sind auch Bedingungen als weniger einschneidende Verfügungen grundsätzlich zulässig. Der Erblasser ist auf Grund seiner durch Art. 14 Abs. 1 GG garantierten Testierfreiheit bei der Verfügung über seinen Nachlass nicht zur Orientierung an den allgemeinen gesellschaftlichen Überzeugungen oder an den Anschauungen der Mehrheit der Bevölkerung verpflichtet; er darf dabei seine persönlichen Wünsche und Vorstellungen grundsätzlich frei umsetzen (BVerfGE 67, 329, 341; BVerfGE 91, 346, 358). Dies schließt auch das Recht zur Einflussnahme auf das Verhalten des Zuwendungsempfängers ein. Dieses umfassende Verfügungsrecht kann jedoch im Einzelfall mit den Freiheitsrechten des Bedachten kollidieren, und zwar dann, wenn sich die Einflussnahme des Erblassers auf die Lebensführung des Bedachten zur die freie Willensbildung ausschließenden Fremdbestimmung verstärkt (vgl. Leipold, a.a.O.,Rn. 18).

Das BVerfG hat sich in dem grundlegenden Lüth-Urteil zu den Grundrechten als „eine objektive Wertordnung, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts gilt,“ bekannt und daraus abgeleitet, dass im bürgerlichen Recht ihr Rechtsgehalt vor allem bei Anwendung der Generalklauseln realisiert werden muss (BVerfGE 7, 198, 203 ff.). Diese Schutzpflicht trifft auch den Zivilrichter bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe wie dem der Sittenwidrigkeit gemäß § 138 BGB. Die Generalklauseln dienen damit als „Einbruchsstellen“ des Verfassungs- in das Zivilrecht (Gaier ZEV 2006, 2, 4). Vor diesem Hintergrund kann die Rechtsordnung eine Fremdbestimmung der vom Grundgesetz geschützten Freiheitsrechte des Bedachten nicht hinnehmen und muss deshalb der Testierfreiheit des Erblassers insoweit Grenzen setzen.

Schutzbedürftig sind zunächst alle Freiheitsrechte des Bedachten, die seine unabhängige, persönliche Lebensführung garantieren (z.B. Eheschließungsfreiheit, Berufsfreiheit, Religionsfreiheit). Diese Persönlichkeitsrechte sind umfassend gegen die Testierfreiheit des Erblassers abzuwägen. Dabei muss sich der Erblasser umso stärkere Beschränkungen seiner Testierfreiheit gefallen lassen, je stärker Persönlichkeitsrechte des Bedachten beeinträchtigt oder gefährdet werden.

Bei den vermögensbezogenen Freiheitsrechten des Bedachten aus Art. 2 Abs. 1, 14 Abs. 1 GG (z.B. Eigentumsrecht, Vertragsfreiheit) hat der Erblasser dagegen einen weiteren Gestaltungsspielraum. Nachlassbezogene Bedingungen (z.B. Verfügungsverbot, Verwaltungsauflagen) sind dabei zulässiger Ausfluss der Testierfreiheit des Erblassers und daher nicht sittenwidrig. Wird der Bedachte darüber hinaus jedoch zu Dispositionen über eigenes Vermögen gezwungen (z.B. Verzicht auf Rechte, Aufwendungen aus seinem Eigenvermögen), so sind der Testierfreiheit des Erblassers zwar Grenzen zu ziehen, jedoch nur unter besonders außergewöhnlichen Umständen im Einzelfall.

Zusammenfassend lässt sich deshalb folgendes feststellen:

  • Nicht sittenwidrig sind danach insbesondere alle Bedingungen, die im weitesten Sinne geeignet und bestimmt sind, den Bestand des Nachlasses beim Bedachten zu erhalten oder vor dem Zugriff Dritter zu schützen, und zwar selbst dann, wenn dadurch mittelbar Einfluss auf die persönliche Lebensführung des Bedachten genommen wird und weniger einschneidende Mittel (z.B. Testamentsvollstreckung, wohlwollende Pflichtteilsbeschränkung) zur Verfügung stehen. Bei der Eignungsprüfung ist ein objektiver Maßstab anzulegen.
  • Sittenwidrig sind dagegen alle Bedingungen, die erbrechtliche Zuwendungen in vollem Umfang von bestimmten persönlichkeitsbezogenen Entscheidungen des Bedachten abhängig machen, die in überhaupt keinem sachlichen Zusammenhang zum Zuwendungsgegenstand oder dessen Erhaltung stehen. Dazu gehört auch der vom OLG Frankfurt a.M. entschiedene Sachverhalt.

Darüber hinaus ist für ein Verdikt der Sittenwidrigkeit gemäß § 138 BGB zu fordern, dass sowohl das erstrebte Verhalten als auch die Zuwendung von einer solchen Erheblichkeit für den Bedachten sind, dass sie objektiv dazu geeignet sind, dessen freie Willensentscheidung wesentlich auszuschließen. Nur unter dieser Voraussetzung kann überhaupt eine grundrechtsrelevante Fremdbestimmung angenommen werden (vgl. Gaier a.a.O.). Erforderlich ist folgerichtig ein solcher Druck, der den Bedachten zumindest faktisch die Entscheidungsfreiheit nimmt. Bedingungen wie regelmäßiger Grabbesuch (vgl. BGHZ 42, 327) oder die Verweigerung des Zutritts zur Wohnung (BayObLG FamRZ 2001, 1326, 1327) sind deshalb von vorneherein zu geringfügig, um in diesem Sinne Einfluss auf die Willensentscheidung des Bedachten haben zu können. Geringwertige Zuwendungen scheiden ebenfalls als Sittenwidrigkeitsgrund von vorneherein aus. Bei höheren Vermögenszuwendungen kommt es dann zunächst auf die Relation zum vorhandenen Vermögen des Bedachten an (a.A. Gutmann NJW 2004, 2347, 2348; Isensee DNotZ 2004, 754, 762). Übersteigt die Zuwendung das beim Erbfall vorhandene Eigenvermögen des Bedachten, so wird man in aller Regel von einer massiven Einflussnahme ausgehen müssen. In allen anderen Fällen wird man unter Berücksichtigung der Lebensführung und der sonstigen Vermögensverhältnisse des Bedachten im Einzelfall untersuchen und feststellen müssen, ob die Zuwendung den Empfänger unter einen derartigen Entscheidungszwang setzt (BVerfG NJW 2004, 2008, 2010). Die Argumentation des OLG Frankfurt a.M. ist auch in dieser Hinsicht in vollem Umfang nachzuvollziehen.

Redaktion beck-aktuell, 26. März 2019.

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