OLG Hamm: Die lenkende Ausschlagung der Erbschaft durch Eltern minderjähriger Kinder ist genehmigungsfrei

BGB § 1643 II 2

Der Senat lehnt entgegen der überwiegend vertretenen Auffassung die Ausdehnung der Genehmigungspflicht gemäß § 1643 Abs. 2 Satz 2 BGB auf den Fall einer lenkenden Erbausschlagung im Wege einer teleologischen Reduktion gegen seinen Wortlaut ab. Im Fall einer lenkenden bzw. selektiven Ausschlagung der Erbschaft durch die Sorgeberechtigten für den Minderjährigen bedarf es keiner Genehmigung, falls die Erbschaft dem Minderjährigen erst infolge der Ausschlagung eines sorgeberechtigten Elternteils angefallen ist und der Elternteil nicht neben dem Kind berufen war.

OLG Hamm, Beschluss vom 28.06.2018 - II-11 WF 112/18, BeckRS 2018, 14992

Anmerkung von 
JR Dr. Wolfgang Litzenburger, Notar in Mainz
 
Aus beck-fachdienst Erbrecht 09/2018 vom 25.09.2018

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Sachverhalt

Der 2003 geborene Antragsteller erstrebt zwecks Vorlage bei der Nachlassabteilung des Amtsgerichts eine Bescheinigung, dass die von seinen sorgeberechtigten Eltern für ihn erklärte Erbausschlagung nach seinem Großvater keiner Genehmigung bedarf.

Der Antragsteller ist der Enkel des 2017 verstorbenen Erblassers. Der Erblasser errichtete keine Verfügung von Todes wegen. Seine Ehefrau war vorverstorben. Er hinterließ zwei Kinder, nämlich den Vater des Antragstellers und eine Tochter. Der Antragsteller ist das einzige Kind seiner Eltern.

Im Jahr 2009 hatte der Erblasser dem Vater des Antragstellers ein mit einem Haus bebautes Grundstück schenkweise übertragen. Eine ähnliche Schenkung an seine Tochter unterblieb. Nach dem Vortrag des Antragstellers, seiner Eltern und weiterer, vom Amtsgericht angeschriebener Personen hatte der Erblasser die Absicht, das andere ihm gehörende Grundstück seiner Tochter zuzuwenden, um seine beiden Kinder gleichmäßig zu bedenken. Die Schenkung unterblieb jedoch. Der Nachlass besteht im Wesentlichen aus diesem weiteren Grundstück.

Der Vater des Antragstellers möchte dem Willen des Erblassers zur Geltung verhelfen. Um Schenkungssteuern in nicht unerheblicher Höhe zu ersparen, sah er davon ab, die Erbschaft anzunehmen und seinen hälftigen Anteil an der Immobilie seiner Schwester zu schenken. Vielmehr schlug er zunächst für sich und sodann gemeinsam mit seiner ebenfalls sorgeberechtigen Ehefrau auch für den Antragsteller die Erbschaft aus.

Die Schwester des Vaters des Antragstellers beantragte sodann, ihr einen Erbschein zu erteilen, durch den sie als alleinige Erbin nach ihrem Vater ausgewiesen werde. Das Nachlassgericht forderte die familiengerichtliche Genehmigung der Ausschlagung für den minderjährigen Antragsteller. Der Normzweck des § 1643 Abs. 2 S. 2 BGB gebiete vorliegend eine Genehmigung in Fällen, in dem eine werthaltige Erbschaft durch die Ausschlagung in eine bestimmte Richtung gelenkt werden solle. Der Antragsteller beruft sich demgegenüber auf den klaren Wortlaut dieser Norm. Das Amtsgericht hat das beantragte Negativattest abgelehnt und die hilfsweise beantragte familiengerichtliche Genehmigung verweigert. Es ist von einer Genehmigungspflicht ausgegangen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Beschwerde des Antragstellers, mit der er seine erstinstanzlichen Anträge weiter verfolgt.

Rechtliche Wertung

Ausgangspunkt dieser Entscheidung ist die Ausnahmevorschrift des § 1643 Abs. 2 S. 2 BGB, wonach die Eltern für die Ausschlagung einer Erbschaft für das Kind keiner Genehmigung des Familiengerichts bedürfen, wenn die Erbschaft dem Minderjährigen erst infolge der Ausschlagung eines sorgeberechtigten Elternteils angefallen ist. Der Senat sieht vorliegend die Voraussetzungen für die Genehmigungsfreiheit als erfüllt an.

Der Senat lehnt es sodann entgegen einer vielfach in der obergerichtlichen Rechtsprechung (OLG Frankfurt a.M., NJW 1955, 466). und der Literatur (MüKoBGB/Huber, 7. Auflage 2017, BGB § 1643 Rn. 7, 23 ff.) vertretenen Auffassung ab, im Wege einer teleologischen Reduktion von § 1643 Abs. 2 S. 2 BGB die Genehmigungspflicht auf Fälle auszudehnen, in denen ein Elternteil die testamentarische Erbschaft für sich und sein Kind ausschlägt, um den gesetzlichen Erbgang zu ermöglichen, bei welchem er selbst und weitere Verwandte, nicht jedoch sein Kind, als Erben zum Zuge kommen (sog. lenkende Ausschlagung). Der Senat schließt sich für diesen Fall der Gegenmeinung in der Literatur (z.B. Sagmeister, ZEV 2012, 121, 124) und Rechtsprechung (OLG Frankfurt a.M., FamRZ 2012, 664; OLG Köln, DNotZ 2012, 855) an.

Die teleologische Reduktion setze sich mit dem Wortlaut der Rechtsnorm in Widerspruch. Zudem fehle es an einer verdeckten Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes.

Es lasse sich den Gesetzesmaterialien nicht entnehmen, dass der Gesetzgeber nicht gewollt habe, dass durch die Ausschlagung des Elternteils für sich und für sein minderjähriges Kind ein werthaltiger Nachlass einer anderen Person zugutekommt. Bereits bei Schaffung des Bürgerlichen Gesetzbuches sei vorgesehen gewesen, dass der Elternteil, der selbst die Erbschaft ausgeschlagen hat, die Ausschlagung genehmigungsfrei für sein minderjähriges Kind erklären könne, wenn das Kind erst infolge der Ausschlagung des Elternteils Erbe geworden ist. Der Gesetzgeber habe nicht zwischen werthaltigen und überschuldeten Nachlässen unterschieden.

Gegen eine Auslegung, die dem klaren Wortlaut widerspreche, sei ferner einzuwenden, dass die Rechtssicherheit und Rechtsklarheit es erfordere, das Gesetz seinem unmissverständlichen und jedermann eindeutigen Wortlaut gemäß anzuwenden. Zudem gebiete die Sicherheit des Rechtsverkehrs eine klare Regelung auch deshalb, weil sich der Elternteil, dem eine Erbschaft angefallen sei und der sich mit dem Gedanken trage, diese auszuschlagen, wegen der kurzen Ausschlagungsfrist in Zeitnot befände. Diese Zeit stehe ihm aber nicht zur Verfügung, wenn er – womöglich über mehrere Instanzen – erst noch gerichtlich klären lassen müsse, ob in seinem speziellen Fall von einer Genehmigungspflicht auszugehen und ob ggf. eine Genehmigung zu erteilen sei.

Sollte die Bestimmung der Genehmigungsfreiheit allgemein für grob unbillig gehalten werden, wäre es Sache des Gesetzgebers, die Bestimmung zu ändern und eine andere Regelung einzuführen.

Auch nach Sinn und Zweck der Vorschrift sei nicht zu erkennen, dass der Minderjährige, für den die Ausschlagung erklärt werde, eines besonderen Schutzes bedürfe. Die Genehmigungsfreiheit betreffe ausschließlich den Fall, dass das Kind nur deshalb Erbe werde, weil ein Elternteil zuvor für sich die Erbschaft ausgeschlagen hat. Hätte der Elternteil die Erbschaft angenommen, hätte das Kind keinerlei Anspruch darauf erworben. Der Elternteil hätte das ererbte Vermögen ebenso gut an andere Personen verschenken können. Gerade das mache einsichtig, dass der betreffende Elternteil dann – gemeinsam mit dem anderen sorgeberechtigten Elternteil – auch für das Kind genehmigungsfrei die Erbschaft ausschlagen können muss. Er könne nicht gezwungen werden, stattdessen die Erbschaft anzunehmen und sie dann zu verschenken.

Im Übrigen bedeute der Umstand, dass die Eltern durch die Zuleitung der Erbschaft nur auf eines ihrer Kinder diese einem anderen Kind vorenthalten, für sich genommen noch längst nicht, dass sie dieses Kind schlechter stellen wollen. Womöglich haben sie auf andere Weise einen Ausgleich geschaffen. Aber selbst wenn eine gezielte Benachteiligungsabsicht bestehen sollte, hätten sie die Möglichkeit hierzu ebenfalls, wenn der zunächst zum Erbe berufene Elternteil die Erbschaft angenommen hätte. Denn dann hätte er das Vermögen anschließend ebenso nur einem seiner Kinder schenken können.

Praxishinweis

Die Entscheidung ist begrüßenswert. Darin lässt der Senat erkennen, dass er nicht nur im Falle der hier relevanten Motivation einer sog. lenkenden Erbausschlagung eine teleologisch begründete Ausweitung der Genehmigungspflicht ablehnt, sondern auch im Falle einer sog. selektiven Ausschlagung für nur eines von mehreren Kindern (OLG Hamm, NJW-RR 2014, 779; KG, NJW-RR 2012, 976).

Darüber hinaus kann mit der Begründung, die der Senat gegeben hat, auch der Meinung eine Absage erteilt werden, die ganz generell bei der Ausschlagung eines werthaltigen Nachlasses eine Genehmigungspflicht befürwortet (OLG Naumburg, NJOZ 2007, 2021). § 1643 Abs. 2 BGB ist nach dieser Entscheidung eng auszulegen.

Die Begründung des Senats überzeugt dabei in jeder Hinsicht, doch verdient vor allem der Hinweis auf die überaus kurz bemessene Ausschlagungsfrist an dieser Stelle besonders hervorgehoben zu werden. Mit Recht macht der Senat deutlich, dass in der Kürze dieser Zeit es einem Erben nicht zumutbar ist, schwierigere Rechtsfragen zu entscheiden. Nicht zuletzt deshalb ist dieser Beschluss richtig und wegweisend.

Es ist zu hoffen, dass diese Entscheidung Gefolgschaft unter den anderen Obergerichten und eventuell sogar eine höchstrichterliche Bestätigung erfahren wird.

Redaktion beck-aktuell, 26. September 2018.

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