OLG Hamm: Eigenhändig geschriebene Vollmacht als Zuwendung eines Vermächtnisses

BGB §§ 133, 1922, 2084, 2087, 2147, 2174, 2247

Eigenhändig ge- und unterschriebene Schriftstücke können Testamente sein, auch wenn die sie verfassende Erblasserin die Schriftstücke nicht mit "Testament" oder "mein letzter Wille", sondern mit einer anderen Bezeichnung wie z.B. "Vollmacht" überschrieben hat. (amtl. Leitsatz)

OLG Hamm, Urteil vom 11.05.2017 - 10 U 64/16, BeckRS 2017, 138759

Anmerkung von 
JR Dr. Wolfgang Litzenburger, Notar in Mainz
 
Aus beck-fachdienst Erbrecht 01/2018 vom 26.01.2018

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Sachverhalt

Die Klägerin, eine Nichte der Beklagten, nimmt diese auf Erfüllung von Vermächtnissen nach der 2014 verstorbenen Erblasserin in Anspruch. Die Erblasserin war die Tante der Klägerin, unverheiratet und kinderlos.

In einem mit „Testament“ überschriebenen Schriftstück vom 07.06.2013 bestimmte die Erblasserin, dass sie das ihr gehörende Elternhaus nebst Grundstück nach ihrem Tod zu je ½ an ihre beiden Schwestern überträgt.

In zwei Schriftstücken vom 11.06.2013 – überschrieben jeweils mit „Vollmacht“ - erteilte sie der Klägerin Vollmacht, und zwar in dem einen Schriftstück „über meinen Bausparvertrag bei der B Bausparkasse … Bausparvertrags Nr. … über meinen Tod hinaus, zu verfügen und sich das Guthaben auszahlen zu lassen“ und in dem anderen Schriftstück „über sämtliches Vermögen, welches bei der Volksbank Q auf meinem Girokonto und Ersparnissen ( Sparbuch, Geldanlagen) besteht, über meinen Tod hinaus, zu verfügen“. Zudem fertigte die Erblasserin eine mit „Vermögensaufstellung“ überschriebene Zusammenstellung ihrer Sparbücher und Sparverträge.

Die Erblasserin hatte der Mutter der Klägerin bereits zu ihren Lebzeiten Kontovollmachten über ihre Geldanlagen erteilt, die nach dem Erbfall von der Beklagten widerrufen worden sind.

Im Zeitpunkt des Erbfalls besaß die Erblasserin das im „Testament“ genannte Hausgrundstück sowie Barvermögen im Werte von rd. 72.500 EUR. Das Guthaben auf den Konten der Erblasserin bei der Volksbank belief sich auf 59.301 EUR. Der Bausparvertrag bei der Bausparkasse wies beim Erbfall einen Guthabenbetrag von 4.137,30 EUR auf.

Die Mutter der Klägerin beantragte beim Nachlassgericht unter Berufung auf die Schriftstücke vom 07. und 11.06.2013 die Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins, der sie und ihre Schwester, die Beklagte, als Miterben zu einem Anteil von je ½ ausweist. Zur Begründung führte sie aus, dass es sich „bei diesem Grundstück um das Hauptvermögen der Erblasserin handelt“ und deshalb das Testament so auszulegen sei, dass sie und ihre Schwester Erben zu je ½ geworden seien. Der Erbschein wurde antragsgemäß erteilt.

Die Klägerin ist der Auffassung, die Erblasserin habe ihr in den mit „Vollmacht“ überschriebenen Schriftstücken Vermächtnisse zugewandt. Während die Mutter der Klägerin diesen Anspruch anerkannt und in Höhe der Hälfte der Guthaben ausbezahlt hat, wird dieser von deren Schwester, der Beklagten, bestritten. Die Klägerin hat im vorliegenden Rechtsstreit einen Betrag i.H.v. weiteren 31.709 EUR gegenüber der Beklagten eingeklagt.

Das LG hat die Beklagte verurteilt, die Guthaben der Erblasserin bei der Bausparkasse und bei der Volksbank, abzüglich eines bereits gezahlten Betrages i.H.v. 31.709 EUR abzutreten. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.

Mit ihrer Berufung verfolgt die Beklagte ihren erstinstanzlichen Antrag auf Klageabweisung weiter.

Rechtliche Wertung

Der Senat schließt sich der Auffassung des LG an und stellt unter Korrektur des erstinstanzlichen Urteilsausspruchs fest, dass sich der Anspruch der Klägerin nur auf eine Zustimmung der Beklagten zur Abtretung der Forderungen durch die Erbengemeinschaft richte. Nur die Erbengemeinschaft, nicht aber eine Miterbin allein könne über die Guthabenbeträge der Erblasserin verfügen und diese gemäß § 398 BGB abtreten.

Wie das LG geht auch der Senat davon aus, dass der Klägerin gemäß §§ 2147, 2174 BGB aufgrund der beiden mit „Vollmacht“ überschriebenen Schriftstücke der Erblasserin vom 11.06.2013 ein Vermächtnisanspruch gegen die Erbengemeinschaft auf Abtretung der Guthabenforderungen zustehe. Diese Schriftstücke erfüllten die formalen Anforderungen des § 2247 BGB für ein eigenhändig ge- und unterschriebenes privatschriftliches Testament. Es sei nicht notwendig, eine letztwillige Verfügung mit „Testament“ oder „mein letzter Wille“ zu überschreiben.

Auch der ernstliche Testierwille der Erblasserin sei im Wege der Auslegung (§ 133 BGB) der „Vollmachten“ zweifelsfrei feststellbar. Es bestehe kein Zweifel, dass die Erblasserin die von ihr erstellten Urkunden als rechtsverbindliche letztwillige Verfügung angesehen habe, und nicht nur als bloße Verfügungsvollmachten. Für eine Vollmachtserteilung an die Klägerin habe keine Veranlassung bestanden, weil der Mutter der Klägerin eine entsprechende Kontovollmacht bereits erteilt worden war. Darüber hinaus habe selbst die Beklagte eingeräumt, dass die mit „Vollmacht“ überschriebenen Schriftstücke nicht bei den dort genannten Banken verwahrt, sondern von der Erblasserin zusammen mit dem „Testament“ vom 07.06.2013 in ihrer Wohnung aufbewahrt worden seien.  Diese Schriftstücke seien vor dem Erbfall weder im Rechtsverkehr verwandt, noch der Klägerin übergeben worden. Schließlich belege die von der Mutter der Klägerin vorgelegte „Vermögensaufstellung“, dass die Erblasserin der Inhaberin der Kontovollmacht einen Überblick über ihre damalige Vermögenslage verschaffen wollte. Dies zeige, dass es der Wille der Erblasserin war, dass sich die Mutter der Klägerin, aber nicht die Klägerin nach dem Tode um alles kümmern sollte.

Auch der Umstand, dass die Erblasserin ihre Schriftstücke statt als „Testament“ oder „letzten Willen“ mit „Vollmacht“ überschrieben habe, spreche nicht gegen den Testierwillen. Bereits die Formulierung des von der Erblasserin am 07.06.2013 verfassten „Testaments“ zeige, dass sie sich mit den üblicherweise zu treffenden erbrechtlichen Verfügungen nicht ausgekannt habe. So habe die Erblasserin darin zwar nur das Hausgrundstück zu einem Anteil von je ½ an ihre beiden Schwestern übertragen wollen, doch hätten alle Beteiligten dies als Erbeinsetzung gemäß § 2087 Abs. 1 BGB aufgefasst. Für eine solche Erbeinsetzung wäre allerdings die im Schriftstück verfügte Übertragung an die beiden Miterbinnen nicht erforderlich gewesen, weil die Rechtsnachfolge an den zum Nachlass gehörenden Gegenständen bereits von Gesetzes wegen erfolge. Dessen sei sich die Erblasserin aber offensichtlich nicht bewusst gewesen.

Für diese Auslegung spreche schließlich auch die die Formulierung in der den Bausparvertrag betreffenden Verfügung, wonach die Klägerin nicht nur „über meinen Tod hinaus“ über das dortige Guthaben verfügen, sondern dieses sich auch „auszahlen“ lassen könne. Dies deute auf eine Zuwendung des Guthabens hin. Einen solchen Zusatz enthalte das Schriftstück bezüglich der Konten bei der Volksbank zwar nicht, doch sei kein Grund ersichtlich, das Schriftstück insoweit anders aufzufassen.

Praxishinweis

Der Senat hat über einen Sachverhalt entschieden, der in der erbrechtlichen Praxis häufig vorkommt. Juristische Laien verwenden oft den Begriff „Vollmacht“, um erbrechtliche Fragen zu regeln. Dabei lassen sich die Erblasser von der Sorge leiten, die Erben bzw. Vermächtnisnehmer könnten Probleme bei der Nachlassabwicklung haben, wenn diesen keine Vollmacht „über den Tod hinaus“ erteilt werde. Besonders häufig sind die Fälle, in denen mit dieser Formulierung die Anordnung einer Testamentsvollstreckung verbunden ist. Aber auch Erbeinsetzungen oder Vermächtnisse können mit einer Vollmachtserteilung gemeint sein.

Deshalb ist dieser Entscheidung des OLG Hamm uneingeschränkt zuzustimmen. Auch wenn – anders als im vorliegenden Fall – lediglich eine eigenhändig ge- und unterschriebene Vollmachtsurkunde bspw. „über mein Vermögen“ oder „mein Bargeld“ vorliegt, sollte bei juristischen Laien der Testierwille nicht von vorneherein ausgeschlossen werden. Die langjährige Erfahrung in der erbrechtlichen Praxis zeigt, dass in diesen Fällen regelmäßig der Erblasser nur ungenau formuliert ausgedrückt hat, was er wirklich will, nämlich eine letztwillige Verfügung, also eine erbrechtliche Zuwendung (Erbeinsetzung, Vermächtnis) oder die Anordnung einer Testamentsvollstreckung. Doch Gerichte, die bei der Auslegung gemäß §§ 133, 2084 BGB so vorgehen wie das Landgericht und der Senat des OLG Hamm in diesem Fall, werden dabei sicher zum richtigen Ergebnis gelangen, nämlich zum wirklichen Willen des Erblassers.

Im Einzelnen gelten folgende Grundsätze für die Auslegung einer Vollmacht als testamentarische Zuwendung:

1. Der Erblasser muss das Schriftstück vollständig selbst mit der Hand geschrieben und unter dem Text unterschrieben haben. Ort, Datum und eine Überschrift können fehlen. Selbst eine Bezeichnung als „Vollmacht“ schließt nicht aus, das Schriftstück als letztwillige Verfügung aufzufassen, weil Fachbegriffe – vor allem bei Verwendung durch juristische Laien – in vollem Umfang der Auslegung zugänglich sind (Vgl. BayObLG, FamRZ 1999, 1392; ZEV 1994, 377; FamRZ 1991, 98; FamRZ 1989, 786).

2. Das Schriftstück darf nicht zur Verwendung als Vollmacht i.S.d. §§ 164 ff. BGB bestimmt oder benutzt worden sein. Aber auch dann, wenn die Vollmacht nicht ausgeübt worden ist, erscheint eine Auslegung als letztwillige Verfügung mindestens zweifelhaft, wenn das Schriftstück dem „Bevollmächtigten“ ausgehändigt worden ist (vgl. § 172 Abs. 2 BGB).

3. Eine erbrechtliche Zuwendung kommt schließlich nur dann in Betracht, wenn aus dem Schriftstück hervorgeht, dass der „Bevollmächtigte“ nicht nur über den Nachlass, das Konto usw. verfügen können soll, sondern auch zu seinen Gunsten verfügen darf, also den Vermögenswert an sich nehmen darf. Ist ein solcher Zuwendungswille nicht feststellbar, so kommt allenfalls eine Auslegung als Anordnung einer Testamentsvollstreckung in Betracht.

Redaktion beck-aktuell, 2. Februar 2018.