BFH: Keine Erbschaftsteuerbefreiung für den Erwerb von Wohnungseigentum ohne Selbstnutzung

ErbStG § 13 I Nr. 4c

Der Erwerb von Wohnungseigentum von Todes wegen durch ein Kind ist nicht steuerbefreit, wenn das Kind die Wohnung nicht selbst nutzt, sondern unentgeltlich einem Dritten zur Nutzung überlässt. Das gilt auch bei einer unentgeltlichen Überlassung an nahe Angehörige. (Leitsatz des Gerichts)

BFH, Urteil vom 05.10.2016 - II R 32/15, BeckRS 2016, 95738

Anmerkung von 
JR Dr. Wolfgang Litzenburger, Notar in Mainz
 
Aus beck-fachdienst Erbrecht 01/2017 vom 23.01.2017

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Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist Alleinerbin ihres 2010 verstorbenen Vaters (V), nachdem ihre Mutter (M) als testamentarisch eingesetzte Erbin die Erbschaft nach V ausgeschlagen hat. Zum Nachlass gehört u.a. ein Miteigentumsanteil zu 1/2 an einer Eigentumswohnung. V hat zusammen mit M die Wohnung bis zu seinem Tod selbst bewohnt. Nach dem Tod des V wohnt M weiterhin in der Wohnung. Die Klägerin überlässt M ihren hälftigen Miteigentumsanteil unentgeltlich zur Nutzung. Sie selbst übernachtet dort gelegentlich und nutzt einen Raum der Wohnung für die Verwaltung des Nachlasses.

 In ihrer Erbschaftsteuererklärung beantragte die Klägerin für den Erwerb des hälftigen Miteigentumsanteils an der Wohnung die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG. Das Finanzamt verweigerte die beantragte Steuerbefreiung. Die unentgeltliche Überlassung des Miteigentumsanteils an M stelle keine Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken i.S.d. § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG dar.

Der Einspruch und die Klage (EFG 2015, 1286) blieben erfolglos.

Mit ihrer Revision macht die Klägerin eine Verletzung des § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG geltend. Auch die unentgeltliche Überlassung an einen nahen Angehörigen sei eine Selbstnutzung der Wohnung. Die Besonderheiten des Streitfalls erforderten eine Ausdehnung der Steuerbefreiung.

Rechtliche Wertung

Auch der Senat verneint eine steuerbefreiende Selbstnutzung der Eigentumswohnung.

Eine Wohnung sei nur dann zur Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken bestimmt, wenn der Erwerber die Absicht habe, die Wohnung selbst zu eigenen Wohnzwecken zu nutzen, und diese Absicht auch tatsächlich umsetze. Die Feststellung der Absicht des Erwerbers zur Selbstnutzung erfordere, dass der Erwerber in die Wohnung einziehe und sie als Familienheim für eigene Wohnzwecke nutze (BFH, BFHE 250, 203). Eine bloße Widmung zur Selbstnutzung durch den Erwerber, beispielsweise durch Angabe in der Erbschaftsteuererklärung, reiche nicht aus (BFH, a.a.O.).

Auch die unentgeltliche Überlassung der Wohnung zur Nutzung an einen Dritten stellt nach Auffassung des Senats keine Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken dar, und zwar auch bei einer unentgeltlichen Überlassung an Angehörige i.S.d. § 15 AO (Kapp/Ebeling/geck, § 13 ErbStG, Rz 39.6; Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG, § 13 Rz 74; Moench/Weinmann/Kien-Hümbert, § 13 ErbStG, Rz 4; Viskorf/Knobel/Schuck/Wälzholz/Viskorf, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Bewertungsgesetz, 4. Aufl., § 13 ErbStG, Rz 76 ff.; Wilms/Jochum, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, § 13, Rz 89; a.A. Gürsching/Stenger/Hartmann, Bewertungsrecht, § 13 ErbStG, Rz 26.7).

Der Zweck des § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG rechtfertige die Anwendung der Vorschrift auf die unentgeltliche Überlassung des Erwerbs zur Nutzung an (nahe) Familienangehörige nicht. Der Gesetzgeber habe zwar in der Gesetzesbegründung lediglich den Verkauf, eine Vermietung oder einen längeren Leerstand als steuerschädlich aufgeführt (BTDrucks 16/11107, S. 9). Schädlich sei darüber hinaus aber auch eine unentgeltliche Überlassung an Dritte, selbst wenn es sich um Angehörige i.S.d. § 15 AO handelt. Denn auch in diesem Fall liege eine unmittelbare tatsächliche Selbstnutzung der Wohnung nicht vor. Nehme der Erwerber die Selbstnutzung einer Wohnung zu eigenen Wohnzwecken überhaupt nicht auf, sei die von Todes wegen erworbene Wohnung kein Familienheim und damit der Erwerb nicht nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG steuerbefreit (BFH, a.a.O.).

Darüber hinaus lehnt der Senat eine Ausdehnung der Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG auf Fälle der unentgeltlichen Überlassung der Wohnung an Angehörige ab und tritt einer entsprechenden Anwendung des § 4 EigZulG entgegen. Diese Vorschrift bestimme ausdrücklich, dass eine Wohnung auch dann als zu eigenen Wohnzwecken genutzt anzusehen sei, soweit der Anspruchsberechtigte sie unentgeltlich zu Wohnzwecken an einen Angehörigen i.S.d. § 15 AO überlasse. Dadurch unterscheide sich § 4 EigZulG von anderen Normen, die ebenfalls die Selbstnutzung einer Wohnung voraussetzten (z.B. § 10e EStG; BTDrucks 13/2235, S. 15). Der Gedanke des § 4 Satz 2 EigZulG sei nicht auf § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG übertragbar. Das EigZulG und das ErbStG verfolgten unterschiedliche Zwecke. Durch das EigZulG sollte die Vermögensbildung der Bevölkerung durch Wohneigentum gefördert und die Wohnung als wesentlicher Bestandteil der privaten Altersvorsorge herausgestellt werden. § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG hingegen solle als begrenzte Steuerfreistellung für Kinder neben dem Schutz des familiären Lebensraums auch dem Ziel der Lenkung in Grundvermögen schon zu Lebzeiten des Erblassers dienen (BTDrucks 16/11107, S. 9).

Die eng am Wortlaut vorgenommene Auslegung des § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG sei auch deshalb geboten, weil die Steuerbefreiung verfassungsrechtlichen Bedenken unterliegt (vgl. BFH, BeckRS 2012, 96140; BeckRS 2013, 96384; BeckRS 2014, 95601, BeckRS 2015, 95566 Rdnr. 21 m.w.N.). Eine Anwendung dieser Vorschrift über ihren Wortlaut hinaus wäre jedenfalls verfassungsrechtlich noch bedenklicher und sei somit ausgeschlossen.

Die gelegentliche Mitbenutzung von Räumlichkeiten in der Wohnung zur Übernachtung oder zur Nachlassverwaltung reiche als Selbstnutzung im Sinne dieser steuerbefreienden Vorschrift nicht aus.

Praxishinweis

Mit dieser Entscheidung entzieht der Senat des BFH vielen steuersparenden Gestaltungen im Zusammenhang mit der Selbstnutzung des Familienheims den Boden und bekennt sich in diesem Zusammenhang ausdrücklich zu einer äußerst restriktiven Auslegung des § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG.

Im vorliegenden Fall stellt sich die Ausschlagung der Erbschaft nach dem vorverstorbenen Ehemann für seine Ehefrau in erbschaftsteuerlicher Hinsicht nachträglich als Fehler heraus. Hätte sie nämlich das Erbe angetreten, wäre die Eigentumswohnung unstreitig als Familienheim steuerfrei geblieben.

Diese Entscheidung erzwingt ein Umdenken bei der steuerrechtlichen Einschätzung des sog. Berliner Modells. Viele Steuerberater bewerten diese Erbfolgegestaltung wegen der beim ersten Erbfall nicht genutzten Freibeträge der Kinder usw. als steuerrechtlich nachteilig. Angesichts der Steuerbefreiung des Familienheims führt jedoch kein Weg daran vorbei, dass der überlebende Ehepartner entweder als Alleinerbe aufgrund eines Berliner Testaments oder als Vermächtnisnehmer dessen Eigentümer werden sollte.

Interessant ist in diesem Zusammenhang eine weitere Frage, die das FG Münster in seinem Urteil vom 28.09.2016 (FD-ErbR 2017, 385251) zu beantworten hatte: Reicht für die Steuerfreiheit im Sinne dieser Vorschrift der Vorbehalt des Nießbrauchs aus, wenn das Eigentum hieran bereits zu Lebzeiten im Wege vorweggenommener Erbfolge auf einen anderen übertragen worden ist? Das FG hat hierzu die Revision zugelassen. Nach der hier besprochenen Entscheidung kann mit ziemlicher Sicherheit prognostiziert werden, dass der BFH sich der Auffassung des FG anschließen und die Steuerfreiheit wegen der Weiterübertragung des Eigentums verweigern wird.

Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung knüpft das ErbStG an die zivilrechtliche Rechtslage an, so dass wirtschaftliche Betrachtungen in diesem Bereich keine Rolle spielen. Auf dieser Grundlage hat der BFH am 22.09.1982 (NJW 1983, 904) entschieden, dass eine Schenkung i.S.d. § 9 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG ausgeführt ist, selbst wenn der Schenker aufgrund eines Nießbrauchvorbehalts an einem Grundstück dessen „wirtschaftlicher“ Eigentümer geblieben sein sollte. Selbst ein freier Widerrufsvorbehalt steht nach Auffassung des BFH dem Schenkungsvollzug nicht entgegen (BeckRS 1989, 22009166). Diese höchstrichterliche Rechtsprechung sollte auch nicht mit Blick auf die sachliche Steuerfreiheit des Familienheims in Frage gestellt werden, hängt davon doch auch der Beginn der Zehnjahresfrist im Rahmen des allgemeinen Steuerfreibetrags gemäß § 14 ErbStG ab. Seit der Grundsatzentscheidung des BFH aus dem Jahre 1982 herrscht Einigkeit darüber, dass auch beim Vorbehalt von Nutzungen und/oder des freien Widerrufs die Zehnjahresfrist zu laufen beginnt. Würde man dagegen auf den wirtschaftlichen Vollzug abstellen, so würde bei allen Übertragungen unter Nießbrauchsvorbehalt die Frist erst mit dem Tod des Nießbrauchers beginnen. Die Finanzminister aller Länder könnten sich dann über gewaltige Steuermehreinnahmen aus lange zurückliegenden Schenkungsvorgängen freuen.

Deshalb ist es so wichtig, dass im Erbschaft- und Schenkungssteuerrecht am Vorrang des Zivilrechts festgehalten wird, und zwar nicht nur dann, wenn es für die Steuerpflichtigen von Vorteil ist, sondern auch bei Auslegung der Steuerbefreiungsregeln. Die Einführung wirtschaftlicher Betrachtungsweisen in diesen Bereich des Steuerrechts kann unübersehbare Folgen haben. Deshalb: Wehret den Anfängen!

Abschließend sei hervorgehoben, dass der Senat in ständiger Rechtsprechung Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der steuerlichen Privilegierung des Familienheims erhebt, so auch in dieser Entscheidung. Es ist meines Erachtens nicht von der Hand zu weisen, dass hierdurch derjenige benachteiligt wird, der – aus welchen Gründen auch immer – zur Miete wohnt. Eine sachliche Rechtfertigung für diese Bevorzugung von Immobilieneigentum ist schwerlich zu finden. Nach der Neuregelung der Erbschaftsteuer zum 30.6.2016 ist bei passender Gelegenheit mit einer Vorlage der Frage, ob diese Privilegierung mit Art. 3 GGG vereinbar ist, gemäß Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG an das BVerfG durch den BFH zu rechnen (vgl. dazu das Argument bei BFH, BeckRS 2015, 95511 Rdnr. 30). Jeder Berater sollte daher damit rechnen, dass § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG auf Dauer keinen Bestand haben wird.

Redaktion beck-aktuell, 30. Januar 2017.