BAG: Beweiswirkung eines Empfangsbekenntnisses

ArbGG § 66 I, ZPO § 174 I

Ein Empfangsbekenntnis nach § 174 I ZPO erbringt grundsätzlich Beweis für den Zeitpunkt der Zustellung. Dem Prozessgegner steht der Gegenbeweis der Unrichtigkeit des angegebenen Datums offen; dieser setzt jedoch die vollständige Entkräftung der Beweiswirkung des § 174 ZPO voraus. (Orientierungssatz der Richterinnen und Richter des BAG)

BAG, Urteil vom 20.11.2019 - 5 AZR 21/19 (LAG Rheinland-Pfalz), BeckRS 2019, 39748

Anmerkung von
RA Dr. Matthias Böglmüller, Gleiss Lutz, München

Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 15/2020 vom 16.04.2020

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Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Höhe eines tariflichen Besitzstandbetrags und einer Jahressonderzahlung. Das ArbG hat der Klage stattgegeben. Das erstinstanzliche Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten mit Empfangsbekenntnis zugestellt. Der Prozessbevollmächtigte unterzeichnete das Empfangsbekenntnis unter dem Datum des 5.10.2017. Am 2.11.2017 ging die von der Beklagten eingelegte Berufung beim LAG ein. Der Kläger rügt die Berufung der Beklagten als nicht fristgerecht eingelegt. Er macht geltend, das erstinstanzliche Urteil sei der Beklagten bereits am 27.11.2017 zugestellt worden.

Entscheidung

Voraussetzung einer wirksamen Zustellung gegen Empfangsbekenntnis an eine der in § 174 I ZPO aufgeführten Personen ist neben der Übermittlung des Schriftstücks in Zustellungsabsicht die Empfangsbereitschaft des Empfängers. Die Entgegennahme des zuzustellenden Schriftstücks muss mit dem Willen erfolgen, es als zugestellt gegen sich gelten zu lassen. Zustellungsdatum ist deshalb der Tag, an dem der Zustellungsadressat vom Zugang des übermittelten Schriftstücks persönlich Kenntnis erlangt, es empfangsbereit entgegennimmt und dies durch die Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses beurkundet (st. Rspr., vgl. BGH, BeckRS 2014, 20664 Rn. 9; BeckRS 2012, 11164). Demnach erfolgte die Zustellung des erstinstanzlichen Urteils an den Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 5.10.2017. Die am 2.11.2017 beim LAG eingegangene Berufungsschrift wahrte damit die Frist zur Berufungseinlegung gem. § 66 I 1, 2 ArbGG. Die Berufungsbegründung ist folglich fristwahrend am 4.12.2017 beim LAG eingegangen.

Nach der Auffassung des BAG erbringe das Empfangsbekenntnis grds. Beweis nicht nur für die Entgegennahme des darin bezeichneten Schriftstücks als zugestellt, sondern auch für den Zeitpunkt der Entgegennahme durch den Unterzeichner und damit für den Zeitpunkt der Zustellung. Dem Prozessgegner stehe allerdings der Gegenbeweis der Unrichtigkeit des im Empfangsbekenntnis angegebenen Datums offen. Dieser Gegenbeweis setze voraus, dass die Beweiswirkung des § 174 ZPO vollständig entkräftet und jede Möglichkeit ausgeschlossen ist, dass die Angaben des Empfangsbekenntnisses richtig sein können. Der Gegenbeweis sei nicht schon dann geführt, wenn lediglich die Möglichkeit der Unrichtigkeit besteht, die Richtigkeit der Angaben also nur erschüttert ist.

Vorliegend bot der Kläger keinen Beweis dafür an, dass das handschriftlich auf dem Empfangsbekenntnis angegebene Datum falsch sei. Damit habe er die Beweiswirkung des Empfangsbekenntnisses nicht widerlegt. Denn für das Datum der Zustellung ist nur entscheidend, ab wann der Prozessbevollmächtigte der Beklagten das Urteil als zugestellt gelten lassen wollte. Der Kläger berief sich lediglich auf eine lebensnahe Betrachtung der Postlaufzeiten. Dies genüge nicht den Anforderungen eines Gegenbeweises.

Praxishinweis

Nach dem BAG sind Anforderungen an eine Entkräftung der Beweiswirkung eines Empfangsbekenntnisses hoch. Der Gegenbeweis scheint nur dann erfolgversprechend zu sein, wenn das im Empfangsbekenntnis abgegebene Datum offensichtlich falsch ist.

Die Grundsätze der Beweiswirkung und die Anforderungen an den Gegenbeweis gelten gleichermaßen bei der Abgabe eines elektronischen Empfangsbekenntnisses über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA). Die Beweiswirkung des Empfangsbekenntnisses kann nicht deshalb einfacher entkräftet werden, weil der elektronische Eingang über das beA nachvollzogen werden könnte. Es kommt nicht darauf an, wann das zuzustellende Dokument in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, sondern darauf, wann er das Dokument tatsächlich und empfangsbereit entgegengenommen hat.

Redaktion beck-aktuell, 17. April 2020.

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