BAG: Bemessungsobergrenze für Sonderzuwendungen – Anwendung von § 315 BGB

BGB § 315 I

1. Der Arbeitgeber muss die Bemessungsobergrenze für Sonderzuwendungen dann nicht nach § 315 I BGB bestimmen, wenn die Höhe der Obergrenze im Vertrag vereinbart worden ist und nicht offenbleibt.

2. Findet sich im Arbeitsvertrag eine Formulierung, die den Arbeitgeber zur Prüfung der Höhe der Bemessungsobergrenze alle zwei Jahre verpflichtet, ergibt sich hieraus keine Anpassungspflicht, sondern lediglich eine Überprüfungs- und Informationspflicht.

BAG, Urteil vom 27.02.2019 - 10 AZR 341/18 (LAG Schleswig-Holstein), BeckRS 2019, 9436

Anmerkung von 
RA Dr. Stefan Lingemann, Gleiss Lutz, Berlin, Hamburg

Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 23/2019 vom 13.06.2019

Diese Urteilsbesprechung ist Teil des wöchentlich erscheinenden Fachdienstes Arbeitsrecht. Neben weiteren ausführlichen Besprechungen der entscheidenden aktuellen Urteile im Arbeitsrecht beinhaltet er ergänzende Leitsatzübersichten und einen Überblick über die relevanten neu erschienenen Aufsätze. Zudem informiert er Sie in einem Nachrichtenblock über die wichtigen Entwicklungen in Gesetzgebung und Praxis des Arbeitsrechts. Weitere Informationen und eine Schnellbestellmöglichkeit finden Sie unter www.beck-online.de

Sachverhalt

Der Kläger fordert von der beklagten Arbeitgeberin weiteres Weihnachts- und Urlaubsgeld.

Der Arbeitsvertrag nimmt Bezug auf ein Leistungspaket aus dem Jahr 1996, das zum Ausgleich des Wegfalls der Tarifbindung vereinbart wurde. Dem Kläger stehen danach erfolgsbezogene Ansprüche auf zusätzliches Urlaubsgeld i.H.v. 50 % eines Monatsgehaltes und zusätzliches Weihnachtsgeld i.H.v. 70 % eines Monatsgehaltes zu.  Für diese Sonderzuwendungen gilt eine Bemessungsobergrenze eines entsprechenden Monatsgehaltes von „z. Zt. DM 8.000“. Weiter ist vereinbart: „Diese Obergrenze wird alle zwei Jahre überprüft“. Im Leistungspaket ist zudem geregelt, dass die in der Metallindustrie Schleswig-Holstein ausgehandelten tariflichen Gehaltssteigerungen freiwillig an die Beschäftigten weitergegeben werden, soweit dies (u.a.) aus wirtschaftlichen Gründen vertretbar ist. Die Beklagte hat die Bemessungsobergrenze in der Folgezeit überprüft, aber nicht erhöht.

Der Kläger meint, er habe Anspruch auf Weihnachts- und Urlaubsgeld auf Grundlage seines vollen Bruttomonatsentgelts von 5.943,26 EUR ohne Berücksichtigung der Grenze von 8.000 DM (4.090,34 EUR). Die Beklagte hätte die Bemessungsgrundlage alle zwei Jahre gem. § 315 I BGB anpassen müssen, die Bestimmung müsse nun gem. § 315 II3 BGB durch das Gericht erfolgen. ArbG und LAG haben die Klage abgewiesen.

Entscheidung: Verpflichtung zur Überprüfung, nicht zur Anpassung

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Die Beklagte musste die Bemessungsobergrenze nicht erhöhen. Die Obergrenze sei nicht nach billigem Ermessen i.S.v. § 315 BGB zu bestimmen. Die Anwendung von § 315 I BGB setze voraus, dass eine Partei durch einseitige Willenserklärung den Inhalt einer Vertragsleistung bestimmen kann. Eine solche Vereinbarung haben die Parteien nicht getroffen. Sie haben vielmehr die Obergrenze im Vertrag festgelegt. Die Beklagte müsse die Obergrenze - anders, als wenn die Höhe offenbleibt – daher nicht (erneut) bestimmen.

Es handele sich bei dem Leistungspaket um Allgemeine Geschäftsbedingungen, die nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen seien, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden. Damit ergebe sich folgendes: Die Bemessungsobergrenze sei dem Wortlaut nach lediglich zu überprüfen und nicht anzupassen. Damit diese Verpflichtung nicht ins Leere läuft, könne der Arbeitnehmer verlangen, dass der Arbeitgeber das Ergebnis seiner Prüfung mitteilt. Die rechtlich verbindlichen Verpflichtungen aus der Überprüfungsklausel seien damit erschöpft.

Eine Änderungspflicht ergebe sich auch nicht aus der Formulierung „z. Zt“ (zur Zeit) im Vertragstext. Diese besage nur, dass der Betrag sich ändern könne, nicht aber, dass er sich ändere.

Die Regelung sei auch unter Abwägung der Interessen aus Sicht der normalerweise beteiligten Verkehrskreise nicht als Anpassungsklausel zu verstehen. Dies ergebe sich insbesondere aus einem Vergleich mit der Regelung zur freiwilligen Weitergabe von Gehaltssteigerungen in der Metallindustrie, die – anders als die Bemessungsobergrenze - eine Anpassungspflicht ausdrücklich vorsehen. Die Arbeitnehmer müssten dies auch hinnehmen, weil sie nicht erwarten könnten, in allen Bereichen so gestellt zu werden, als hätte die Tarifbindung nicht geendet.

Die Klausel sei auch ohne Anpassungspflicht nicht sinnlos. Es werde sichergestellt, dass der Arbeitgeber an die Überprüfung der Obergrenze denkt und der Arbeitnehmer dies alle zwei Jahre einfordern kann, dadurch entstehe „ein gewisser Legitimations- und Begründungsdruck“, der auch im Interesse der Arbeitnehmer sei.

Praxishinweis

Die Entscheidung ist zu begrüßen, denn sie schafft für die Vertragsgestaltung Klarheit bei der Unterscheidung zwischen Anpassungspflicht und Überprüfungspflicht.

Redaktion beck-aktuell, 17. Juni 2019.

Mehr zum Thema