Anmerkung von
RA Dr. Christian Arnold, LL.M. (Yale), Gleiss Lutz, Stuttgart
Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 09/2019 vom 07.03.2019
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Sachverhalt
Der Kläger verlangt von dem Beklagten die Abgeltung von 51 Urlaubstagen aus den Jahren 2012 und 2013. Der Kläger war vom 01.08.2001 bis 31.12.2013 befristet als Wissenschaftler beim Beklagten beschäftigt. Mit Schreiben vom 23.10.2013 bat der Beklagte den Kläger, seinen Urlaub vor Ende des Arbeitsverhältnisses zu nehmen. Der Kläger nahm jedoch nur zwei Tage Erholungsurlaub und verlangte dann mit Schreiben vom 23.12.2013 die Abgeltung von 51 nicht genommenen Urlaubstagen. ArbG und LAG gaben der Klage statt. Das BAG legte die Frage nach einer Vereinbarkeit der Rechtsprechung zum Verfall von Urlaub nach § 7 III 2 BUrlG dem EuGH zur Vorabentscheidung vor (BAG, NZA 2017, 271). Der EuGH entschied, dass der pauschale Verfall des Urlaubsanspruchs des Arbeitnehmers bei fehlender Antragstellung unvereinbar mit Art. 7 I RL 2003/88/EG und Art. 31 GRCh sei (FD-ArbR 2018, 412322 m. Anm. Arnold).
Entscheidung: Arbeitgeber trägt die Initiativlast für die Verwirklichung des Urlaubsanspruchs
In seiner bislang nur als Pressemitteilung vorliegenden Entscheidung (FD-ArbR 2019, 414265) schließt sich das BAG erwartungsgemäß dem EuGH an. Nach § 7 III 1 BUrlG verfällt Urlaub, wenn er bis zum Jahresende nicht gewährt und genommen wird. Nach bisheriger höchstrichterlicher Rechtsprechung gilt dies auch dann, wenn der Arbeitnehmer den Arbeitgeber rechtzeitig, aber erfolglos aufgefordert hat, ihm Urlaub zu gewähren. Nur soweit sich der Arbeitgeber nach einer entsprechenden Antragstellung des Arbeitnehmers im Schuldnerverzug befand, konnte der Arbeitnehmer Schadensersatz verlangen. Dieser Schadensersatz bestand nach bisheriger Rechtsprechung in der Gewährung von Ersatzurlaub während des weiteren Arbeitsverhältnisses und im Falle von dessen Beendigung in der Abgeltung der nicht genommenen Urlaubstage.
Diese Rechtsprechung modifiziert nun das BAG. Zwar zwinge § 7 I 1 BUrlG, wonach die zeitliche Lage des Urlaubs unter Berücksichtigung der Urlaubswünsche des Arbeitnehmers vom Arbeitgeber festgelegt werde, den Arbeitgeber nicht dazu, den Arbeitnehmer von sich aus Urlaub zu gewähren. Dies bestätige auch die Entscheidung des EuGH. Allerdings sei mit dem EuGH davon auszugehen, dass der Arbeitgeber die Initiativlast für die Verwirklichung des Urlaubsanspruchs trage. Der EuGH habe darauf hingewiesen, dass der Arbeitgeber gehalten sei, „konkret und in völliger Transparenz dafür zu sorgen, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage [ist], seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, indem er ihm – erforderlichenfalls förmlich – auffordert, dies zu tun“. Daher müsse der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer klar und rechtzeitig mitteilen, dass der Urlaub am Ende des Bezugszeitraums oder eines Übertragungszeitraums verfallen wäre, wenn der Arbeitnehmer ihn nicht nehme. Das BAG verweist die Sache daher an das LAG zurück, um aufzuklären, ob der Beklagte seinen Obliegenheiten nachgekommen sei, den Kläger konkret aufzufordern, den Urlaub zu nehmen und ihn klar und rechtzeitig darauf hinzuweisen, dass der Urlaub andernfalls erlösche.
Praxishinweis
Nach der Entscheidung des EuGH war die Umsetzung dieser Entscheidung durch das BAG zu erwarten. Für die Praxis bedeutet diese neue Rechtsprechung eine ganz erhebliche Umstellung. Arbeitgeber müssen ihre Personalprozesse grundlegend anpassen. Jeweils in der zweiten Jahreshälfte muss der Arbeitgeber den tatsächlichen Urlaubsstand und bereits vereinbarte Urlaubszeiträume prüfen, um festzustellen, in welchem Umfang der jeweilige Arbeitnehmer prognostisch noch offene Urlaubsansprüche hat. Anschließend muss der Arbeitgeber einen entsprechenden Hinweis an die Arbeitnehmer i.S.d. neuen Rechtsprechung erteilen, falls er sicherstellen möchte, dass der Urlaub verfällt. Die Reaktion der Arbeitnehmer ist aber absehbar. Es werden dann massenweise Urlaubsanträge für das 4. Quartal oder sogar die Weihnachtszeit gestellt werden. Falls der Arbeitgeber diese wiederum ablehnt, kommt es zu einer Übertragung oder – unter Verzugsgesichtspunkten – zu einem Anspruch auf Ersatzurlaub. Die „automatische“ Ausbuchung von Resturlaubsansprüchen am Jahresende kommt folglich in Zukunft nicht mehr in Betracht – mit entsprechenden Folgen für die Bildung von Rückstellungen.