BAG: Eine den Mindestlohn umfassende arbeitsvertragliche Ausschlussklausel im Formulararbeitsvertrag ist unwirksam

BGB § 307; MiLoG § 3

Eine vom Arbeitgeber vorformulierte arbeitsvertragliche Ausschlussklausel, die ohne Einschränkung alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und damit auch den gesetzlich garantierten Mindestlohn erfasst, verstößt gegen das Transparenzgebot und ist daher insgesamt unwirksam. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Arbeitsvertrag nach dem 31.12.2014 geschlossen wurde.

BAG, Urteil vom 18.09.2018 - 9 AZR 162/18 (LAG Hamburg)

Anmerkung von
Rechtsanwalt Dr. Stefan Lingemann, Gleiss Lutz, Berlin/Hamburg

Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 39/2018 vom 04.10.2018

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Sachverhalt

Der Kläger war beim Beklagten als Fußbodenleger angestellt. Der zwischen den Parteien vereinbarte Arbeitsvertrag vom 1.9.2015 regelte, dass alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verfallen, wenn sie nicht innerhalb von drei Monaten nach Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich geltend gemacht worden sind. Mindestlohnansprüche nahm die Klausel nicht explizit aus.

Nachdem der Beklagte das Arbeitsverhältnis gekündigt hatte, schlossen die Parteien im Kündigungsrechtsstreit einen Vergleich, demzufolge das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 15.8.2016 enden sollte und der Beklagte sich verpflichtete, das Arbeitsverhältnis bis zum 15.9.2016 ordnungsgemäß abzurechnen. Die vom Beklagten erstellte Abrechnung für August 2016 wies jedoch keine Urlaubsabgeltung aus. Der Beklagte berief sich darauf, der Anspruch auf Urlaubsabgeltung sei verfallen, weil der Kläger diesen nicht rechtzeitig innerhalb der arbeitsvertraglich geregelten Ausschlussfrist geltend gemacht habe.

Das ArbG gab der Klage statt, das LAG wies sie ab.

Entscheidung

Die Revision des Klägers hatte Erfolg. Der 9. Senat des BAG sprach dem Kläger gemäß § 7 IV BurlG die Urlaubsabgeltung zu. Dass der Kläger den Anspruch nicht innerhalb der vertraglich festgelegten Ausschlussfrist geltend gemacht hatte, sei unschädlich, da die Ausschlussklausel unwirksam sei.

Sie verstoße gegen § 307 I 2 BGB. Sie sei nicht klar und verständlich, da sie den nach § 3 S. 1 MiLoG seit dem 01.01.2015 zu zahlenden Mindestlohn nicht von der – nach dem 1.1.2015 vereinbarten - Verfallfrist ausnehme.

Sie könne auch nicht für den Anspruch auf Urlaubsabgeltung aufrechterhalten werden (§ 306 BGB). § 3 S. 1 MiLoG schränke weder seinem Wortlaut noch seinem Sinn und Zweck nach die Anwendung der §§ 306, 307 I 2 BGB ein.

Praxishinweis

Das Urteil, das bislang nur als Pressemitteilung vorliegt (FD-ArbR 2018 410611), bringt Klarheit dahingehend, dass Mindestlohnansprüche aus einer formularvertraglichen Ausschlussklausel ausgenommen werden müssen. Bereits die Rechtsprechung des 5. Senats des BAG im Jahr 2016 zu Mindestentgeltansprüchen aus § 2 PflegeArbbV, die wegen §§ 9 S. 3, 13 AentG nicht von Ausschlussklauseln erfasst werden, deutete in diese Richtung (BAG NZA 2016, 1539). Da die Ansprüche im dortigen Fall nicht ausdrücklich aus der Verfallklausel ausgenommen waren, war die Klausel nach § 307 I 2 BGB intransparent und insoweit insgesamt nichtig. Nach der Entscheidung vom 18.09.2018 gilt das auch für Ansprüche auf Mindestlohn. Dagegen hatten beachtliche Stimmen in der Literatur argumentiert, § 3 MiLoG sehe mit dem Terminus „insoweit“ gerade eine geltungserhaltende Reduktion vor, die Verfallklausel sei daher nur hinsichtlich des Mindestlohns unwirksam (u.a. Bayreuther, NZA 2014, 870; NZA 2015, 387). Das sieht der Senat offenbar anders; es bleibt abzuwarten, welchen Sinn er dem Terminus „insoweit“ in § 3 S. 1 MiLoG beimisst.

Leider beginnen für den Vertragsgestalter mit der Entscheidung die Probleme erst: Reicht es, wenn der Anspruch auf Mindestlohn ausgenommen wird, oder müssen zur Vermeidung von Intransparenz dann gleich alle Ansprüche ausdrücklich ausgenommen werden, auf die die Arbeitsvertragsparteien nicht oder nicht ohne Beteiligung Dritter (vgl. § 77 IV S. 2 BetrVG, § 4 IV TVG) verzichten können, oder für die die Geltendmachungsfrist nicht verkürzt werden kann (vgl. §§ 309 Nr. 7a und 7b BGB)? Wegen der ungeklärten Rechtslage könnte man versuchen, alle Ansprüche ausdrücklich auszunehmen, für die eine Ausschlussklausel nicht gilt, und muss gleichzeitig hoffen, dass man alle erfasst und die Klausel dann nicht wegen ihres Umfangs als intransparent angesehen wird. Es wäre daher zu begrüßen, wenn die Urteilsgründe sich gleichzeitig zu den Anforderungen an die korrekte Formulierung einer Ausschlussklausel verhalten.

Redaktion beck-aktuell, 8. Oktober 2018.