BAG: Rechtsweg bei Streit über abgeführte Sozialversicherungsbeiträge

ArbGG §§ 2 I Nr. 3a, 48 I; GVG § 17a II 3, IV 2; ZPO § 36 I Nr. 6

Legt der Arbeitgeber nachvollziehbar dar, dass er bestimmte Abzüge für Sozialversicherungsbeiträge einbehalten und abgeführt hat, kann der Arbeitnehmer die nach seiner Auffassung unberechtigt einbehaltenen und abgeführten Beträge nicht erfolgreich mit einer Vergütungsklage beim Arbeitsgericht geltend machen. Er ist vielmehr auf die sozialrechtlichen Rechtsbehelfe beschränkt.

BAG, Beschluss vom 14.05.2018 - 9 AS 2/18 (ArbG Regensburg), BeckRS 2018, 14909

Anmerkung von
Rechtsanwalt Dr. Frank Merten, Gleiss Lutz, Stuttgart

Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 33/2018 vom 23.08.2018

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Sachverhalt

Die Parteien streiten über Ansprüche der klagenden Arbeitnehmerin auf Zahlung der von der beklagten Arbeitgeberin als Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung abgeführten Leistungen. Die Klägerin hat geltend gemacht, ihr – bereits vor Klageerhebung beendetes – Arbeitsverhältnis habe nicht der Sozialversicherungspflicht unterlegen und die Beklagte habe deshalb zu Unrecht Sozialversicherungsbeiträge abgeführt, weshalb sie zur Zahlung an die Klägerin verpflichtet sei. Das SG hat den Rechtsweg zu den Sozialgerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das ArbG verwiesen. Der Beschluss ist rechtskräftig. Das ArbG hat eine Übernahme des Rechtsstreits abgelehnt und diesen dem BAG zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.

Entscheidung

Das BAG hat entschieden, dass das SG das zuständige Gericht ist. Dessen Verweisungsbeschluss sei wegen einer krassen Rechtsverletzung offensichtlich unhaltbar. Das SG habe zwingendes Verfahrensrecht verletzt, weil es seinen Verweisungsbeschluss entgegen § 17a IV 2 GVG nicht mit einer Begründung versehen habe. Die Gründe des Beschlusses beschränkten sich auf den pauschalen Hinweis, es handele sich um die Klage einer Arbeitnehmerin gegen ihre frühere Arbeitgeberin aus dem Arbeitsverhältnis. Damit erfülle das SG nicht im Ansatz die Mindestanforderungen an eine ordnungsgemäße Begründung. Für eine solche müsse mindestens die herangezogene Rechtsnorm bezeichnet und angegeben werden, aus welchen tatsächlichen und rechtlichen Gründen ein Tatbestandsmerkmal der genannten Norm vorliege bzw. nicht vorliege. Bereits in der groben Missachtung der nicht zur Disposition des einzelnen Richters stehenden gesetzlichen Begründungspflicht liege regelmäßig eine krasse Rechtsverletzung, welche die Durchbrechung der gesetzlichen Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses ausnahmsweise rechtfertige. Etwas anderes könne nur dann gelten, wenn – was hier nicht der Fall sei – dem Akteninhalt mit ausreichender Sicherheit und für die Beteiligten erkennbar entnommen werden könne, dass die Verweisung nicht auf sachfremden Erwägungen beruht. Die Zuständigkeit des SG ergebe sich aus § 51 SGG. Zwischen den Parteien bestehe keine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit i.S.v. § 2 I ArbGG. Ob es sich um eine bürgerlich-rechtliche oder eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit handele, bestimme sich nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch hergeleitet werde. Mit ihrer Klage wolle die Klägerin in erster Linie die Berechtigung des Abzugs von Sozialversicherungsbeiträgen überprüfen lassen. Ob das Arbeitsverhältnis der Parteien der Sozialversicherungspflicht unterlag, könne allein unter Heranziehung öffentlich-rechtlicher Vorschriften beantwortet werden. Während die Beschäftigung i.S.v. § 7 SGB IV regelmäßig zur Versicherungspflicht in der Sozialversicherung führe, seien Personen, die einer nur geringfügigen Beschäftigung i.S.v. § 8 I SGB IV nachgehen, in der Kranken-, Renten-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung gewöhnlich versicherungsfrei. Diese öffentlich-rechtlichen Bestimmungen gäben dem Streit über die Sozialversicherungspflicht der Klägerin das Gepräge. Die Gerichte für Arbeitssachen seien indes nicht befugt, die Berechtigung der Abzüge für Sozialversicherungsbeiträge zu überprüfen. Vorliegend stehen zwischen den Parteien gerade nicht im Streit, ob die Beklagte Sozialversicherungsbeiträge abgeführt hat, sondern die allein nach öffentlich-rechtlichen Vorschriften zu beurteilende Frage, ob sie dazu verpflichtet war. Auch das (Nicht-)Bestehen einer Meldepflicht zur Sozialversicherung ergäbe sich aus Rechtsnormen des öffentlichen Rechts. So habe der Arbeitgeber nach § 28a SGB IV i.V.m. der gem. § 28c SGB IV erlassenen Datenerfassungs- und übermittlungsverordnung (DEÜV) für jeden kraft Gesetzes in der Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung oder nach dem Recht der Arbeitsförderung versicherten Beschäftigten der Einzugsstelle Meldung zu erstatten. Der Annahme einer öffentlich-rechtlichen Verpflichtung der Beklagten stehe nicht entgegen, dass die sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften eine auf § 242 BGB beruhende Nebenpflicht des Arbeitgebers begründen könne.

Praxishinweis

Mit seiner Entscheidung führt das BAG seine Rechtsprechung zur (fehlenden) Bindungswirkung von Verweisungsbeschlüssen fort (vgl. BAG, NZA 2015, 1020). Gem. § 17a II 3 GVG, § 48 I ArbGG sind rechtskräftige Verweisungsbeschlüsse für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen wird, grundsätzlich bindend. Ausnahmsweise hat indes der zuerst angerufene oberste Gerichtshof des Bundes die Zuständigkeit zu bestimmen, wenn es innerhalb eines Verfahrens zu Zweifeln über die Bindungswirkung eines rechtskräftigen Verweisungsbeschlusses kommt. Dies war hier der Fall und das BAG hat mit bemerkenswert harscher Begründung klargestellt, dass ein Rechtsstreit über die Verpflichtung zur Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen nicht von den Arbeitsgerichten, sondern von den Sozialgerichten zu entscheiden ist.

Redaktion beck-aktuell, 28. August 2018.