BAG: Kein Konzernbetriebsrat bei Konzernspitze im Ausland

BetrVG § 54 I 1, II; AktG § 18

Hat das herrschende Unternehmen seinen Sitz im Ausland und besteht keine im Inland ansässige Teilkonzernspitze, die über wesentliche Entscheidungsbefugnisse in personellen, sozialen und wirtschaftlichen Angelegenheiten verfügt, kann ein Konzernbetriebsrat nicht errichtet werden.

BAG, Beschluss vom 16.05.2018 - 7 ABR 60/16 (LAG Nürnberg)

Anmerkung von
Rechtsanwalt Florian Stark, Gleiss Lutz, Stuttgart

Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 23/2018 vom 14.06.2018

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Sachverhalt

Die fünf an dem Beschlussverfahren beteiligten Unternehmen gehören einer weltweit tätigen Unternehmensgruppe an, deren Konzernobergesellschaft ihren Sitz in der Schweiz hat. Eines der beteiligten Unternehmen ist als Tochtergesellschaft der Konzernobergesellschaft eine Holding ohne eigene Geschäftstätigkeit. Die übrigen vier Unternehmen sind die „operativen“ Tochtergesellschaften der Holding in Deutschland. Die Geschäftsführer der operativen Gesellschaften berichten an die Leiter der auf der Ebene der Konzernobergesellschaft angesiedelten Business Units. Von den Leitern der Business Units erhalten die Geschäftsführer hinsichtlich der von ihnen zu treffenden Entscheidungen und Maßnahmen verbindliche Weisungen. Diese Weisungen betreffen auch personelle, soziale und wirtschaftliche Angelegenheiten. Die Holding übt gegenüber den operativen Gesellschaften dagegen keine Leitungsfunktion aus. Das LAG stellte fest, dass es sich bei ihr um eine reine „Finanzholding“ handelt, auf deren Ebene die Jahresergebnisse der deutschen operativen Gesellschaften konsolidiert werden.

Die in den Betrieben von drei der operativen Gesellschaften bestehenden Betriebsräte beschlossen, einen Konzernbetriebsrat zu errichten. Einer dieser Betriebsräte lud am 4.9.2014 zur konstituierenden Sitzung des Konzernbetriebsrats ein. In dieser Sitzung wurden ein Vorsitzender sowie ein stellvertretender Vorsitzender des Konzernbetriebsrats bestimmt.

Die fünf beteiligten Unternehmen haben beantragt festzustellen, dass der Konzernbetriebsrat nicht besteht. Das ArbG und das LAG haben den Antrag jeweils stattgegeben.

Entscheidung

Die vom Konzernbetriebsrat und den drei beteiligten örtlichen Betriebsräten dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde hatte keinen Erfolg. Der Konzernbetriebsrat sei nicht wirksam errichtet worden, denn die Konzernobergesellschaft befinde sich in der Schweiz. In Deutschland bestehe keine Teilkonzernspitze, die über wesentliche Leitungsaufgaben in personellen, sozialen und wirtschaftlichen Angelegenheiten verfüge. Die Holding übe derartige Funktionen nicht aus.

Praxishinweis

Der Leitsatz des bisher nur als Pressemitteilung vorliegenden Urteils (FD-ArbR 2018, 405913) bestätigt die bisherige Rechtsprechung des BAG. Danach kann ein Konzernbetriebsrat nicht errichtet werden, wenn die Konzernobergesellschaft ihren Sitz im Ausland hat (BAG, FD-ArbR 2007, 213946 m. Anm. Arnold). Etwas anderes gilt dem BAG zufolge nur dann, wenn bei einem mehrstufigen Konzern einem im Inland ansässigen Unternehmen als inländischer Teilkonzernspitze noch wesentliche Leitungsaufgaben in personellen, sozialen und wirtschaftlichen Angelegenheiten zur eigenständigen Ausübung gegen den diesem nachgeordneten Unternehmen verbleiben.

Die Rechtsfrage blieb in der juristischen Literatur stets umstritten (vgl. Fitting, BetrVG, 29. Aufl. 2018, § 54 Rn. 34 - 37). Von den Kritikern wird insbesondere die Gefahr gesehen, dass Unternehmen durch organisatorische Maßnahmen die Mitbestimmung von Arbeitnehmervertretungen vermeiden oder zumindest in ihrer Effektivität einschränken. Das BAG deutete an, diesen Bedenken Rechnung tragen zu wollen und warf in einer Entscheidung zu einem gemischt öffentlich-rechtlichen Unterordnungskonzern die dort nicht streitgegenständliche Frage auf, ob an seiner Rechtsprechung zu einer im Ausland gelegenen Konzernspitze uneingeschränkt festzuhalten sei (BAG, FD-ArbR 2011, 316694 mit Anm. Günther). Vom Grundsatz her tut es dies. Eventuell trägt das BAG den in der Literatur geäußerten Bedenken allerdings Rechnung, indem es die Anforderungen an das Vorliegen einer inländischen Teilkonzernspitze herabsenkt. Insoweit sind die Urteilsgründe abzuwarten. Die Pressemitteilung enthält dazu keine Hinweise. Im streitgegenständlichen Fall war aber auch sehr eindeutig, dass die Holding die Anforderungen an das Vorliegen einer inländischen Teilkonzernspitze nicht erfüllt.

Redaktion beck-aktuell, 14. Juni 2018.

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