BAG: «Sanktionslisten-Screening» ist keine mitbestimmungspflichtige Verhaltenskontrolle

BetrVG § 87 I Nr. 6; BDSG § 26

Der automatische Abgleich von Arbeitnehmernamen mit Namen auf sog. Sanktionslisten löst kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats wegen technischer Verhaltenskontrolle aus.

BAG, Beschluss vom 19.12.2017 - 1 ABR 32/16 (LAG, Sachsen-Anhalt), BeckRS 2017, 146236

Anmerkung von
Rechtsanwältin Dr. Katrin Haußmann, Gleiss Lutz, Stuttgart

Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 21/2018 vom 30.05.2018

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Sachverhalt

Die beklagte Konzerngesellschaft führte mit Hilfe einer spezialisierten Software einen automatischen Abgleich von Vor- und Nachnamen der bei ihr beschäftigten Arbeitnehmer mit der  Namensliste durch, die nach einer Verordnung des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen natürliche Personen nennt, bei denen davon ausgegangen wird, dass sie „terroristische Handlungen begehen oder zu begehen versuchen oder sich an deren Begehung beteiligen oder diese erleichtern“. Im Fall einer Übereinstimmung ist die Entgeltzahlung einzustellen und eine zuständige Behörde zu informieren.

In den Vorinstanzen setzten sich die Beteiligten auch über Fragen der Zuständigkeit des Konzernbetriebsrats im Verhältnis zum Gesamtbetriebsrat auseinander. Gesamtbetriebsrat und ein Betriebsrat hatten erstinstanzlich geltend gemacht, dass der automatisierte Datenabgleich sich nachhaltig auf Arbeitsverhältnisse auswirken könnte und als technisch unterstützte Verhaltenskontrolle nach § 87 I Nr. 6 BetrVG deshalb mitbestimmungspflichtig sei. In der zweiten Instanz wurde auch der Konzernbetriebsrat beteiligt.

Entscheidung

Das BAG wies die Rechtsbeschwerde des Gesamtbetriebsrats zurück und hielt die Beteiligung des Konzernbetriebsrats nicht für geboten. Für dessen Zuständigkeit ergaben sich keine Anhaltspunkte. Das Screening werde nicht von der Konzerngesellschaft für den Konzern durchgeführt.

Der Anwendungsbereich eines Mitbestimmungsrechts nach § 87 I Nr. 6 BetrVG sei nicht eröffnet. Auch wenn die spezialisierte Software eine technische Einrichtung sei, sei sie weder dazu bestimmt, noch dazu geeignet, Informationen über das Verhalten von Arbeitnehmern zu erheben, aufzuzeichnen und späterer Wahrnehmung zugänglich zu machen. Das hier streitige „Screening“ sei ausschließlich darauf gerichtet, die Übereinstimmung von Namen festzustellen. Aufschlüsse über das Verhalten eines Arbeitnehmers erlange der Arbeitgeber dadurch nicht. Die Identität eines Arbeitnehmers mit einer auf eine Sanktionsliste geführten Person gebe Auskunft darüber, dass sich gegen diese Person ein sog. Bereitstellungsverbot richte, d.h. an diese Person keine Zahlungen geleistet werden dürfen. Darin liege jedoch keine Aussage zum tatsächlichen Verhalten des Arbeitnehmers, weder zu seinem betrieblichen noch zu seinem außerbetrieblichen Verhalten. Selbst wenn die Entgeltzahlung eingestellt werden müssten und weitere Ermittlungen dann Rückschlüsse auf ein Verhalten des betreffenden Arbeitnehmers erlaubten, sei dies keine technische Verhaltenskontrolle und aus diesem Grund nicht mitbestimmungspflichtig.

Praxishinweis

Einer der wenigen Fälle, in denen der Einsatz technischer Mittel nicht geeignet ist, Verhalten oder Leistung von Arbeitnehmern zu beobachten. Während nahezu jede andere Software Mitbestimmungspflichten auslöst, allein weil eine Software nachvollziehbar mitschreibt, wer wann welche Arbeitsschritte damit unternommen hat, bleibt das „Sanktionslisten-Screening“ mitbestimmungsfrei. Dies ist von besonderer Bedeutung, weil hier zum Teil zeitaufwändige Verhandlungen über eine Betriebsvereinbarung die rechtzeitige Einhaltung gesetzlicher Pflichten vorrübergehend gefährden könnte.  

Ob Sanktionslisten-Screenings „für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses […] erforderlich“ und deswegen nach § 26 I 1 BDSG bzw. § 32 I 1 BDSG-alt kraft Gesetzes datenschutzrechtlich zulässig sind, wurde vom Bundesfinanzhof bejaht (BFH, BeckRS 2012, 95804). Die wohl überwiegende Ansicht bejaht dies (Behling, NZA 2015, 1359, 1361; Byers/Fetsch, NZA 2015, 1364, 1365; Kort, RdA 2018, 24, 26; Otto/Lampe, NZA 2011, 1134, 1137). Sanktionslisten-Screenings seien Voraussetzung, um festzustellen, ob der Arbeitgeber Gehaltszahlungen oder sonstige Gegenleistungen an Arbeitnehmer erbringen darf oder einem Verbot unterliege (siehe z.B. Art. 2 I lit. b VO [EG] Nr. 2580/2001; Art. 2 II VO [EG] Nr. 881/2002). Damit betreffe die Datenverarbeitung die Durchführung des Beschäftigungsverhältnisses – bei neu einzustellenden Arbeitnehmern – die Entscheidung über die Begründung des Beschäftigungsverhältnisses. Die datenschutzrechtliche Zulässigkeit wäre andernfalls aus Art. 6 DSGVO abzuleiten.

Redaktion beck-aktuell, 4. Juni 2018.

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