LAG Düs­sel­dorf: Vor­sicht Falle! Neue An­griffs- und Ver­tei­di­gungs­mit­tel in der Be­ru­fungs­be­grün­dung

ArbGG §§ 64 VI, 67; ZPO § 520 III

Wird die Be­ru­fung auf neue An­griffs- und Ver­tei­di­gungs­mit­tel ge­stützt, sind nach § 520 III 2 Nr. 4 ZPO die Vor­aus­set­zun­gen des § 67 II, III ArbGG für ihre Zu­las­sung dar­zu­le­gen. Waren erst­in­stanz­lich wirk­sam Aus­schluss­fris­ten ge­setzt wor­den und feh­len in der Be­ru­fungs­be­grün­dung jeg­li­che Aus­füh­run­gen zur Zu­läs­sig­keit neuen An­griffs- oder Ver­tei­di­gungs­vor­brin­gens und sind auch im Üb­ri­gen keine der Vor­ga­ben aus § 520 III 2 Nr. 2 und 3 ZPO er­füllt, ist die Be­ru­fung un­zu­läs­sig.

LAG Düs­sel­dorf, Ur­teil vom 21.03.2017 - 3 Sa 762/16 (ArbG Essen), BeckRS 2017, 118673

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Aus beck-fach­dienst Ar­beits­recht 36/2017 vom 14.09.2017

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Sach­ver­halt

Die Par­tei­en strit­ten über die Wirk­sam­keit einer Kün­di­gung. Der Klä­ge­rin wurde vor­ge­wor­fen, sie hätte ihr un­ter­stell­te Mit­ar­bei­te­rin­nen unter Über­schrei­tung ihrer Kom­pe­ten­zen Auf­ga­ben ent­zo­gen, hätte sich zu Un­recht auf Kos­ten der Be­klag­ten be­wir­ten las­sen und hätte zu­las­ten der Be­klag­ten einen ver­such­ten Pro­zess­be­trug be­gan­gen, indem sie sich auf eine Er­gän­zungs­ver­ein­ba­rung zu ihrem Ar­beits­ver­trag be­ru­fen habe, die sie im kol­lu­si­ven Zu­sam­men­wir­ken mit einem Ge­schäfts­füh­rer der Be­klag­ten ab­ge­schlos­sen haben soll. Das ArbG gab der Kün­di­gungs-schutz­kla­ge statt, u.a. mit der Be­grün­dung, die Vor­wür­fe im Zu­sam­men­hang mit der Er­gän­zungs­ver­ein­ba­rung ba­sier­ten auf pau­scha­len Be­haup­tun­gen und Ver­mu­tun­gen. Die Be­klag­te legte Be­ru­fung ein. In der Be­ru­fungs­be­grün­dung sub­stan­ti­ier­te sie ihren Vor­wurf be­züg­lich der Er­gän­zungs­ver­ein­ba­rung, indem sie ihren erst­in­stanz­li­chen Vor­trag wie­der­hol­te und mit Er­gän­zun­gen ver­sah. Hin­sicht­lich der üb­ri­gen Kün­di­gungs­grün­de be­schränk­te sie sich voll­stän­dig auf die Wie­der­ho­lung ihres erst­in­stanz­li­chen Vor­brin­gens.

Ent­schei­dung

Das LAG ver­warf die Be­ru­fung der Be­klag­ten als un­zu­läs­sig. Die Be­ru­fungs­be­grün­dung ge­nü­ge nicht den An­for­de­run­gen des § 520 III 2 Nr. 2 bis Nr. 4 ZPO. Sie lasse nicht er­ken­nen, in wel­chen Punk­ten tat­säch­li­cher oder recht­li­cher Art das an­ge­foch­te­ne Ur­teil nach An­sicht der Be­klag­ten un­rich­tig sei und auf wel­chen Grün­den diese An­sicht im Ein­zel­nen be­ru­he. Die Be­ru­fungs­be­grün­dung wie­der­ho­le im We­sent­li­chen die erst­in­stanz­li­chen Schrift­sät­ze wort­i­den­tisch, gehe dabei auf das erst­in­stanz­li­che Ur­teil über­haupt nicht ein und lese sich wie ein fort­ge­setz­ter Schrift­satz in ers­ter In­stanz. So­weit die Be­klag­te ihre Be­ru­fung be­züg­lich der Er­gän­zungs­ver­ein­ba­rung auf neue An­griffs- und Ver­tei­di­gungs­mit­tel stüt­ze, fehle es zudem an der nach § 520 III 2 Nr. 4 ZPO er­for­der­li­chen Dar­le­gung der Vor­aus­set­zun­gen des § 67 II, III ArbGG. Da erst­in­stanz­lich Aus­schluss­fris­ten ge­setzt wor­den waren, hätte in der Be­ru­fungs­be­grün­dung aus­ge­führt wer­den müs­sen, warum das neue An­griffs- und Ver­tei­di­gungs­vor­brin­gen zu­läs­sig war.

Pra­xis­hin­weis

Bei der Be­ru­fungs­be­grün­dung er­wei­sen sich – wie die­ses Ur­teil wie­der ein­mal be­stä­tigt – die Seg­nun­gen elek­tro­ni­scher Text­ver­ar­bei­tung nicht sel­ten als Fluch. Be­ru­fungs­füh­rer soll­ten nicht der Ver­füh­rung er­lie­gen, die Be­ru­fungs­be­grün­dung aus Text­bau­stei­nen der erst­in­stanz­li­chen Schrift­sät­ze zu­sam­men­zu­set­zen und die­ses „Ela­bo­rat“ nur noch mit flos­kel­haf­ten Wen­dun­gen („Das Ar­beits­ge­richt hat Fol­gen­des über­se­hen:“) über­schrei­ben. § 520 ZPO for­dert eine Aus­ein­an­der­set­zung mit den Grün­den des Ur­teils!

Eine zu­sätz­li­che for­ma­le Falle lau­ert beim Vor­brin­gen neuer An­griffs- und Ver­tei­di­gungs­mit­tel: In der Be­ru­fung vor den or­dent­li­chen Ge­rich­ten kön­nen neue Tat­sa­chen be­kannt­lich nur noch dann vor­ge­bracht wer­den, wenn sie nicht schon in der ers­ten In­stanz hät­ten vor­ge­bracht wer­den kön­nen (§ 531 II ZPO). Zwar hat das BAG mehr­fach ent­schie­den, dass diese Norm im Ar­beits­ge­richts­pro­zess nicht gilt, hier sei § 67 ArbGG lex spe­cia­lis. Nach dem LAG wirkt sich das aber nur ma­te­ri­ell auf die Frage aus, wel­che neuen Tat­sa­chen in der Be­ru­fung noch vor­ge­bracht wer­den kön­nen. In for­mel­ler Hin­sicht bleibt es aber bei den An­for­de­run­gen des § 520 III Nr. 4 ZPO. Es reicht des­halb nicht aus, in der Be­ru­fungs­be­grün­dung nur die neuen Tat­sa­chen vor­zu­tra­gen. Viel­mehr muss auch dazu aus­ge­führt wer­den, dass diese nach § 67 II bis IV ArbGG noch vor­ge­bracht wer­den kön­nen. Sind – wie meist – in der ers­ten In­stanz Aus­schluss­fris­ten ge­setzt wor­den, muss folg­lich in der Be­ru­fungs­be­grün­dung ent­we­der die Ver­spä­tung ent­schul­digt wer­den oder aber dar­ge­legt wer­den, dass die Be­rück­sich­ti­gung der neuen Tat­sa­chen den Rechts­streit nicht ver­zö­gert (§ 67 II ArbGG). Das ist zwar eine reine For­ma­lie, denn zwi­schen Be­ru­fungs­be­grün­dung und -ter­min lie­gen stets meh­re­re Mo­na­te, so dass eine Ver­zö­ge­rung des Be­ru­fungs­ver­fah­rens ei­gent­lich den­knot­wen­dig nicht ein­tre­ten kann. Nach Auf­fas­sung des LAG ent­bin­det das aber ge­ra­de nicht von der Pflicht, zu die­sem Punkt aus­drück­lich vor­zu­tra­gen.

Redaktion beck-aktuell, 18. September 2017.

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