Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Martin Diller; Rechtsanwalt Florian Stark, Gleiss Lutz, Stuttgart
Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 36/2017 vom 14.09.2017
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Sachverhalt
Die Parteien stritten über die Wirksamkeit einer Kündigung. Der Klägerin wurde vorgeworfen, sie hätte ihr unterstellte Mitarbeiterinnen unter Überschreitung ihrer Kompetenzen Aufgaben entzogen, hätte sich zu Unrecht auf Kosten der Beklagten bewirten lassen und hätte zulasten der Beklagten einen versuchten Prozessbetrug begangen, indem sie sich auf eine Ergänzungsvereinbarung zu ihrem Arbeitsvertrag berufen habe, die sie im kollusiven Zusammenwirken mit einem Geschäftsführer der Beklagten abgeschlossen haben soll. Das ArbG gab der Kündigungs-schutzklage statt, u.a. mit der Begründung, die Vorwürfe im Zusammenhang mit der Ergänzungsvereinbarung basierten auf pauschalen Behauptungen und Vermutungen. Die Beklagte legte Berufung ein. In der Berufungsbegründung substantiierte sie ihren Vorwurf bezüglich der Ergänzungsvereinbarung, indem sie ihren erstinstanzlichen Vortrag wiederholte und mit Ergänzungen versah. Hinsichtlich der übrigen Kündigungsgründe beschränkte sie sich vollständig auf die Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens.
Entscheidung
Das LAG verwarf die Berufung der Beklagten als unzulässig. Die Berufungsbegründung genüge nicht den Anforderungen des § 520 III 2 Nr. 2 bis Nr. 4 ZPO. Sie lasse nicht erkennen, in welchen Punkten tatsächlicher oder rechtlicher Art das angefochtene Urteil nach Ansicht der Beklagten unrichtig sei und auf welchen Gründen diese Ansicht im Einzelnen beruhe. Die Berufungsbegründung wiederhole im Wesentlichen die erstinstanzlichen Schriftsätze wortidentisch, gehe dabei auf das erstinstanzliche Urteil überhaupt nicht ein und lese sich wie ein fortgesetzter Schriftsatz in erster Instanz. Soweit die Beklagte ihre Berufung bezüglich der Ergänzungsvereinbarung auf neue Angriffs- und Verteidigungsmittel stütze, fehle es zudem an der nach § 520 III 2 Nr. 4 ZPO erforderlichen Darlegung der Voraussetzungen des § 67 II, III ArbGG. Da erstinstanzlich Ausschlussfristen gesetzt worden waren, hätte in der Berufungsbegründung ausgeführt werden müssen, warum das neue Angriffs- und Verteidigungsvorbringen zulässig war.
Praxishinweis
Bei der Berufungsbegründung erweisen sich – wie dieses Urteil wieder einmal bestätigt – die Segnungen elektronischer Textverarbeitung nicht selten als Fluch. Berufungsführer sollten nicht der Verführung erliegen, die Berufungsbegründung aus Textbausteinen der erstinstanzlichen Schriftsätze zusammenzusetzen und dieses „Elaborat“ nur noch mit floskelhaften Wendungen („Das Arbeitsgericht hat Folgendes übersehen:“) überschreiben. § 520 ZPO fordert eine Auseinandersetzung mit den Gründen des Urteils!
Eine zusätzliche formale Falle lauert beim Vorbringen neuer Angriffs- und Verteidigungsmittel: In der Berufung vor den ordentlichen Gerichten können neue Tatsachen bekanntlich nur noch dann vorgebracht werden, wenn sie nicht schon in der ersten Instanz hätten vorgebracht werden können (§ 531 II ZPO). Zwar hat das BAG mehrfach entschieden, dass diese Norm im Arbeitsgerichtsprozess nicht gilt, hier sei § 67 ArbGG lex specialis. Nach dem LAG wirkt sich das aber nur materiell auf die Frage aus, welche neuen Tatsachen in der Berufung noch vorgebracht werden können. In formeller Hinsicht bleibt es aber bei den Anforderungen des § 520 III Nr. 4 ZPO. Es reicht deshalb nicht aus, in der Berufungsbegründung nur die neuen Tatsachen vorzutragen. Vielmehr muss auch dazu ausgeführt werden, dass diese nach § 67 II bis IV ArbGG noch vorgebracht werden können. Sind – wie meist – in der ersten Instanz Ausschlussfristen gesetzt worden, muss folglich in der Berufungsbegründung entweder die Verspätung entschuldigt werden oder aber dargelegt werden, dass die Berücksichtigung der neuen Tatsachen den Rechtsstreit nicht verzögert (§ 67 II ArbGG). Das ist zwar eine reine Formalie, denn zwischen Berufungsbegründung und -termin liegen stets mehrere Monate, so dass eine Verzögerung des Berufungsverfahrens eigentlich denknotwendig nicht eintreten kann. Nach Auffassung des LAG entbindet das aber gerade nicht von der Pflicht, zu diesem Punkt ausdrücklich vorzutragen.