BAG: Voll­stre­ckungs­fä­hi­ge Zeug­nis­ti­tu­lie­rung

GewO §§ 109 I; ZPO §§ 253 II Nr. 2, 794 I Nr. 1

1. Ein Pro­zess­ver­gleich ist nur dann Voll­stre­ckungs­ti­tel, wenn er einen voll­stre­ckungs­fä­hi­gen In­halt hat.

2. Ein Voll­stre­ckungs­ti­tel, der den Ar­beit­ge­ber zur Er­tei­lung eines Zeug­nis­ses ver­pflich­tet, des­sen In­halt einer be­stimm­ten No­ten­stu­fe ent­spricht, ent­spricht nicht den zwangs­voll­stre­ckungs­recht­li­chen Be­stimmt­heits­an­for­de­run­gen.

BAG, Be­schluss vom 14.02.2017 - 9 AZB 49/16 (LAG Hes­sen), BeckRS 2017, 103516

An­mer­kung von 
Rechts­an­walt Prof. Dr. Jobst-Hu­ber­tus Bauer, Gleiss Lutz, Stutt­gart

Aus beck-fach­dienst Ar­beits­recht 13/2017 vom 06.04.2017

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Sach­ver­halt

Die Schuld­ne­rin, die Bekl. im Aus­gangs­ver­fah­ren, ist eine GmbH. Sie be­schäf­tig­te den Gläu­bi­ger, den Klä­ger im Aus­gangs­ver­fah­ren, als Mit­ar­bei­ter im In­nen­dienst. Mit Schrei­ben vom 26.11.2015 kün­dig­te die Schuld­ne­rin das Ar­beits­ver­hält­nis zum 31.01.2016. Am 08.01.2016 schlos­sen die Par­tei­en im Kün­di­gungs­schutz­pro­zess vor dem ArbG einen Ver­gleich, in dem es unter Ziff. 4 heißt:

Die Bekl. er­teilt dem Klä­ger ein wohl­wol­len­des qua­li­fi­zier­tes Ar­beits­zeug­nis mit einer sehr guten Füh­rungs- und Leis­tungs­be­ur­tei­lung und einer Be­dau­erns-, Dan­kes- und Gute-Wün­sche-For­mu­lie­rung im Schluss­satz.“

Ende Fe­bru­ar 2016 er­teil­te die Schuld­ne­rin dem Gläu­bi­ger ein auf den 25.01.2016 da­tier­tes Ar­beits­zeug­nis, das aus­zugs­wei­se wie folgt lau­tet:

Herr T. ver­fügt über ein um­fas­sen­des und fun­dier­tes Fach­wis­sen, das er je­der­zeit in die Pra­xis um­zu­set­zen wuss­te. Er war sehr mo­ti­viert und zeig­te ein hohes Maß an In­itia­ti­ve und Leis­tungs­be­reit­schaft. Er ar­bei­tet sehr ef­fi­zi­ent, ziel­stre­big und sorg­fäl­tig und be­wies ein gutes Or­ga­ni­sa­ti­ons­ge­schick. Dabei war er auch er­höh­tem Zeit­druck und Ar­beits­auf­wand gut ge­wach­sen. Er lie­fer­te stets qua­li­ta­tiv und quan­ti­ta­tiv tolle Er­geb­nis­se. Herr T. hat un­se­re Er­war­tun­gen stets aus­ge­zeich­net er­füllt. Wir waren mit sei­nen Leis­tun­gen je­der­zeit sehr zu­frie­den. Sein Ver­hal­ten ge­gen­über Vor­ge­setz­ten, Kol­le­gen und Ex­ter­nen war immer ein­wand­frei.

Das Ar­beits­ver­hält­nis en­de­te im ge­gen­sei­ti­gen Ein­ver­neh­men zum 31.01.2016 aus be­triebs­be­ding­ten Grün­den. Wir dan­ken Herrn T., be­dau­ern sein Aus­schei­den sehr und wün­schen ihm für die Zu­kunft alles Gute.“

Mit Schrei­ben vom 03.03. und 06.04.2016 for­der­te der Gläu­bi­ger die Schuld­ne­rin auf, das Zeug­nis in­halt­lich zu än­dern. Dabei rügte der Gläu­bi­ger, aus dem Wort­laut des Zeug­nis­ses er­ge­be sich keine sehr gute Leis­tungs- und Füh­rungs­be­ur­tei­lung. Das Zeug­nis weise ins­ge­samt struk­tu­rell und in­halt­lich große Män­gel auf. Der Gläu­bi­ger be­an­trag­te am 21.03.2016 eine voll­streck­ba­re Aus­fer­ti­gung des Ver­gleichs vom 08.01.2016, die ihm das ArbG am 21.03.2016 er­teil­te. Am 25.04.2016 wurde diese der Schuld­ne­rin zu­ge­stellt. Zur Durch­set­zung der unter Ziff. 4 des Ver­gleichs vom 08.01.2016 ge­re­gel­ten Ver­pflich­tung der Schuld­ne­rin hat der Gläu­bi­ger unter dem 08.05.2016 be­an­tragt, gegen die Schuld­ne­rin ein Zwangs­geld und hilfs­wei­se Zwangs­haft gegen den Ge­schäfts­füh­rer an­zu­ord­nen. Mit Be­schluss vom 21.06.2016 hat das ArbG den An­trag des Gläu­bi­gers zu­rück­ge­wie­sen. Der so­for­ti­gen Be­schwer­de hat das ArbG nicht ab­ge­hol­fen und sie dem LAG zur Ent­schei­dung vor­ge­legt, das die so­for­ti­ge Be­schwer­de zu­rück­ge­wie­sen und die Rechts­be­schwer­de zu­ge­las­sen hat.

Ent­schei­dung

Der 9. Senat des BAG hat die Rechts­be­schwer­de zu­rück­ge­wie­sen. Nach § 794 I Nr. 1 ZPO finde die Zwangs­voll­stre­ckung aus Ver­glei­chen statt, die zwi­schen den Par­tei­en zur Bei­le­gung eines Rechts­streits ge­schlos­sen wor­den seien. Ein Pro­zess­ver­gleich sei je­doch nur dann Voll­stre­ckungs­ti­tel, wenn er einen voll­stre­ckungs­fä­hi­gen In­halt habe. Auf­ga­be des Voll­stre­ckungs­ge­richts sei es zu klä­ren, ob der Voll­stre­ckungs­schuld­ner sei­ner fest­ge­leg­ten Ver­pflich­tung nach­ge­kom­men sei, nicht aber, worin diese be­stehe. Ein Voll­stre­ckungs­ti­tel, der den Ar­beit­ge­ber zur Er­tei­lung eines Zeug­nis­ses i.S.v. § 109 I GewO ver­pflich­te und des­sen In­halt einer be­stimm­ten No­ten­stu­fe ent­spre­che, ge­nü­ge nicht den zwangs­voll­stre­ckungs­recht­li­chen Be­stimmt­heits­an­for­de­run­gen. Es bleibt viel­mehr Sache des Ar­beit­ge­bers, das Zeug­nis im Ein­zel­nen ab­zu­fas­sen, wobei die For­mu­lie­rung in sei­nem pflicht­ge­mä­ßen Er­mes­sen stehe.

Pra­xis­hin­weis

An der Ent­schei­dung gibt es nichts aus­zu­set­zen. Das Ver­fah­ren ist viel­mehr ein gutes Bei­spiel für völ­lig über­flüs­si­ge Zeug­nis­pro­zes­se. Auch wenn der Senat sich nicht dazu äu­ßern muss­te, ob das er­teil­te Zeug­nis dem ent­sprach, was in dem Ver­gleich fest­ge­legt wor­den war, fragt sich der Leser doch, was ei­gent­lich an dem Zeug­nis aus­zu­set­zen sein soll. Es ist mei­nes Er­ach­tens ein Zeug­nis mit einer sehr guten Füh­rungs- und Leis­tungs­be­ur­tei­lung. Im Üb­ri­gen kommt Zeug­nis­sen bei wei­tem nicht die Be­deu­tung zu, die ihnen teil­wei­se zu­ge­spro­chen wird.

Redaktion beck-aktuell, 10. April 2017.

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