Solidarität unter Frauen: Ein notwendiger Schritt zur beruflichen Gleichstellung
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Um Frauen und Männer im Arbeitsleben tatsächlich gleichzustellen, bedarf es mehr als halbherziger Förderprogramme. Wie ein echter Strukturwandel gelingen kann, beschreibt Anwaltsberaterin Barbara Helten.

Rund 50 Frauen aus verschiedenen Branchen hatten sich an einem Mittwochvormittag in den Räumen einer Anwaltskanzlei versammelt, um über Solidarität unter Frauen zu diskutieren. Ein vermeintlich alter Hut. Schließlich gibt es Frauennetzwerke und -initiativen in Kanzleien und anderswo wie Sand am Meer. Die Themen ähneln sich: Frauen vernetzen sich weniger erfolgreich als Männer und sind angeblich untereinander zu wenig solidarisch. Gespräche drehen sich um fehlende Kinderbetreuungsplätze und Klagen über Männer. Doch irgendetwas war diesmal anders, es entwickelte sich eine fruchtbare Diskussion über notwendige Solidarität unter Frauen.

Die Kanzlei hat zu der Runde eingeladen, denn sie will das Thema gezielt angehen. Keynote-Sprecherin Corinna Budras von der FAZ beginnt mit einem Rat: über fehlende Ziele und Konsequenzen von Frauennetzwerken nachzudenken. Sie betont, dass der Austausch über Ungerechtigkeiten oder fehlende Kinderbetreuung wichtig sei, daraus aber nicht unmittelbar der Impuls entstehe, sich im Berufsalltag gegenseitig zu unterstützen. Solidarität entstehe nicht von selbst, nur weil man vor ähnlichen Herausforderungen stehe.

Patriarchale Strukturen

Fragt man Mala Ullal, Expertin für interkulturelle Kompetenzen und Diversity, Equity und Inclusion, kurz DE&I, stellt sie klar: Das Vorurteil, Frauen würden sich gegenseitig im Weg stehen, ist ein patriarchaler Mythos, der in den Medien immer wieder inszeniert wird. "Die patriarchalen Strukturen, die es in der Arbeitswelt immer noch gibt, hindern Frauen oft daran, mehr füreinander da zu sein", erklärt sie. "Das Vorurteil gehört in den Bereich des Unconscious Bias (unbewusstes Vorurteil) und schadet den Frauen sehr. Es ist einfach, Frauen zu beschuldigen, dass sie sich gegenseitig behindern, anstatt die strukturellen und systemischen Benachteiligungen anzugehen."

Die Expertin ist besorgt: "Wir erleben gerade einen gewaltigen Push-back in den USA, aber auch in Deutschland mit dem Erstarken der Rechtsnationalen, die das weibliche Rollenbild der vergangenen Jahrzehnte wieder aufleben lassen wollen."

Der Schlüssel zu mehr Solidarität liegt also darin, gemeinsam alte Strukturen zu verändern, neben weiblichen auch männliche Verbündete zu finden und offener und vertrauensvoller miteinander umzugehen. Dazu gehört es, sich in Sitzungen hinter die andere zu stellen und die zu unterstützen, die sich gegen männliche Dominanz wehren. Dazu gehört es, nicht erst dann zuzustimmen, wenn das Treffen zu Ende ist und man wieder unter sich ist. Das bedeutet, solidarischer zu sein und sich nicht mit Äußerlichkeiten aufzuhalten.

Härtere Konkurrenzkämpfe

Wie sieht der Arbeitsalltag wirklich aus? "Wir verschwenden unnötig viel Energie mit Konkurrenzkämpfen", meint Suzan Karakivrak, die als deutsche Rechtsanwältin in Istanbul arbeitet. Sie findet, dass Neid und Missgunst die Kommunikation, das Klima und die Produktivität am Arbeitsplatz erschweren. "Mein Mittel dagegen ist, das eigene Selbstbewusstsein zu stärken und andere Frauen nicht als Konkurrentinnen zu sehen."

Der Wettbewerb unter Frauen ist möglicherweise auch deswegen härter, weil noch immer wenige Posten für Frauen in den oberen Positionen existieren: Gibt es für eine Frau nur einen Platz an der Spitze, bedeutet das, dass Frauen um diesen einen Platz konkurrieren. Für Männer gibt es mehr Plätze, also ist es einfacher, solidarisch zu sein und sich gegenseitig in die Machtpositionen zu befördern.

Ullal regt aber auch an, darüber nachzudenken, ob man das gleiche Verhalten bei Männern und Frauen unterschiedlich bewertet: "In meinen Trainings zu DE&I mache ich Übungen mit sogenannten Flip Questions, in der Fallbeispiele vorgestellt werden und wir uns fragen: Wenn sich zwei Männer im Job aggressiver angehen, würden wir das als gegenseitige Behinderung ansehen oder als gesunde Konkurrenz? Oft gilt ein doppelter Standard, bei dem dasselbe Verhalten von Frauen anders und negativ bewertet wird, als das von Männern."

Konkrete Schritte zur Veränderung

In der deutschen Kanzleiwelt gibt es nach wie vor nicht allzu viele Frauen in der Partnerschaft – nicht anders als in den Chefetagen der hiesigen Unternehmen. Ullal dazu: "Ich positioniere mich ganz klar zur Frauenquote. Ein Beispiel: Indien hat eine verbindliche Kastenquote, die Menschen aus den untersten sozialen Schichten helfen soll, Schritte in Richtung Emanzipation zu gehen. Das leuchtet in Deutschland jedem ein, aber dass eine Frauenquote genau das Gleiche ist, wollen die Menschen hier oft nicht akzeptieren."

Ohne männliche Verbündete, so Ullal weiter, gehe es nicht. "Bei der Deutschen Telekom hat sich der Vorstandsvorsitzende für strukturelle Veränderungen und für Frauen eingesetzt, das hatte einen enormen Einfluss auf die Unternehmenskultur. Ich selbst habe meine Karriere mit Hilfe von Sponsoren und Mentoren aufgebaut, die oft Männer waren, weil sie in den für mich relevanten Positionen saßen", erklärt Mala Ullal. "Mentoring und noch mehr Sponsoring sind enorm wichtig, weil sie Frauen dabei helfen, in Positionen mit Einfluss und Gestaltungsmöglichkeiten zu kommen. Thomas fördert immer noch gerne Thomas – wegen der Ähnlichkeit. Deshalb sollte Thomas lernen, Sabine oder Sunita zu fördern, auch wenn sie auf den ersten Blick anders erscheinen."

Die Netzwerke von Männern sind immer noch einflussreicher, deshalb ist es wichtig, dass Frauen Zugang zu diesen Netzwerken bekommen. "Ein Programm, das ich gerade bei einem Kunden durchführe, basiert auf Reverse Mentoring: Frauen sind die Mentoren und Männer in höheren Positionen sind die Mentees, deren Aufgabe es ist, den Frauen gut zuzuhören und ein Gefühl dafür zu bekommen, wie es den Frauen im Unternehmen geht, welche Bedürfnisse und Ideen sie haben. Grundsätzlich geht es bei Frauenförderprogrammen darum, endlich einmal den Frauen zuzuhören, denn Frauen wissen sehr gut, was sie brauchen – zum Beispiel flexible Arbeitszeit- und Lebensphasenmodelle."

"Fix the System, Not the Women"

Die Diskussion über Solidarität unter Frauen zeigt, dass es nicht allein in der Verantwortung der Frauen liegt, sich gegenseitig zu unterstützen. Die Veranstaltung in der Kanzlei machte deutlich, dass es oft tief verwurzelte patriarchale Strukturen und unbewusste Vorurteile sind, die Frauen daran hindern, solidarisch zu handeln. Der Fokus muss auf strukturellen Veränderungen liegen. Frauen sollten gemeinsam mit Gleichgesinnten und Verbündeten aus privilegierten Positionen für tiefgreifende Veränderungen kämpfen.

Die Arbeitswelt muss so umgestaltet werden, dass sie den Lebensrealitäten von Frauen entspricht. Initiativen wie "Reverse Mentoring" und die Forderung nach DE&I-Programmen sind wichtige Schritte, um patriarchale Strukturen aufzubrechen und eine integrative Arbeitskultur zu fördern.

Mentoring und Sponsoring spielen eine große Rolle, aber der wirkliche Wandel kommt von systemischen Veränderungen, die Barrieren für Frauen abbauen und ihre Stimmen in Führungspositionen bringen. Es ist höchste Zeit, dass wir uns gemeinsam für eine gleichberechtigte Arbeitswelt einsetzen. Dafür müssen wir Strukturen verändern und Frauen und Männer müssen sich gegenseitig unterstützen. Der Schlüssel liegt darin, das System zu ändern, nicht die Frauen. Nur so kann die Arbeitswelt den Bedürfnissen aller gerecht werden und echte Gleichstellung erreicht werden. 

Barbara Helten ist Rechtsanwältin und Beraterin bei Helten Bischof Communications. Als Mediencoach und strategische Beraterin unterstützt sie Juristen und Unternehmen dabei, sich erfolgreich am Markt zu positionieren.

Redaktion beck-aktuell, Barbara Helten, 5. Juni 2024.