74. Deutscher Anwaltstag in Wiesbaden eröffnet

Nach einem virtuellen Wochenstart ist heute in Wiesbaden der Präsenzteil des Deutschen Anwaltstages 2023 unter dem Motto "Mit Recht nachhaltig" gestartet – mit zahlreiche Veranstaltungen vom Agrar- bis zum Zwangsvollstreckungsrecht, verschiedenen Netzwerk-Events und der Fachmesse AdvoTec. DAV-Präsidentin Edith Kindermann stellte in ihrer Eröffnungsrede die Rolle des Rechts in Sachen Nachhaltigkeit klar – und plädierte für eine Anpassung der Anwaltsvergütung. 

DAV-Präsidentin: "Recht ist der Maßstab unseres Handelns"

DAV-Präsidentin Edith Kindermann macht gleich zu Beginn der Veranstaltung klar, dass Nachhaltigkeit viele Facetten hat: Blicke man auf die 17 Nachhaltigkeitsziele der UN, die Bestandteil der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie sind, werde klar, dass niemand diese Ziele im Einzelnen infrage stelle. Es könne aber zu Zielkonflikten kommen – eine einfache Lösung gebe es dafür nicht. "Diese Ziele können nur mit dem Recht erreicht werden. Das Recht – nicht Gewalt, nicht Wirtschaftsmacht – ist der Weg, und das Recht ist der Maßstab unseres Handelns", betont Kindermann. Die Rolle der Anwaltschaft dabei sei mindestens eine doppelte: in Form der Begleitung der Gesetzgebung sowie der Umsetzung in der Gesellschaft.

RVG-Anpassung als Garant für Zugang zum Recht

Die Rechtsanwältin betont in ihrer Ansprache auch die Notwendigkeit einer zeitnahen Anpassung des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG). Damit die Anwaltschaft ihren elementaren Beitrag zum Rechtsstaat leisten kann, bedürfe es einer angemessenen Vergütung. Damit stieß sie beim Bundesjustizminister auf offene Ohren: "Ich bin zuversichtlich, dass Bund und Länder eine gute Lösung finden werden für die auch ökonomische Unabhängigkeit der Anwaltschaft", so Marco Buschmann (FDP) – auch in Richtung der Hessischen und Rheinland-Pfälzischen Justizminister.

Buschmann unterstreicht Bedeutung der Unabhängigkeit der Anwaltschaft

Der Bundesjustizminister setzte den Schwerpunkt seiner Rede auf die Unabhängigkeit der Anwaltschaft: "Ohne unabhängige Anwaltschaft kann es keinen zukunftsfähigen und damit nachhaltigen Rechtsstaat geben." Auch dem Prinzip der Selbstverwaltung komme eine wichtige Rolle zu – Bürgerrechte zu vertreten, funktioniere so eben besser als unter staatlicher Aufsicht. Buschmann widmete sich auch den umstrittenen Plänen der EU zur Chatkontrolle – ein Thema, das auch der Deutsche Anwaltverein seit Langem kritisch begleitet: "Das Briefgeheimnis gilt auch in der digitalen Welt." Gegenstand der Kritik ist die geplante anlasslose Massenüberwachung digitaler Kommunikation zum Zweck des Kinderschutzes.

Barley: Sicherung der Werte als Aufgabe der Anwaltschaft

Die Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, Katarina Barley, beschwört in ihrer Festrede die Resilienz des Rechtsstaats, der sich auf EU-Ebene immer öfter auch gegen Angriffe von innen wappnen müsse – mit Blick etwa auf Polen und Ungarn. "Ich möchte nicht in einer Gesellschaft von Wölfen leben", betont sie. "Wir müssen uns klar positionieren für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit." Und sie sei überzeugt: "Die Sicherung des Rechts und unserer Grundwerte liegt auch in den Händen der Anwaltschaft." Die Tagung geht noch bis morgen Abend. Erwartet werden insgesamt rund 1.700 Teilnehmende.

Redaktion beck-aktuell, 15. Juni 2023.