60 Jahre Kartellrecht – Kartellamt möchte Verbraucher besser schützen

Als vor 60 Jahren, Anfang Juli 1957, das deutsche Kartellrecht verabschiedet wurde, hatten die Macher die Zwangskartelle des NS-Staats noch in frischer Erinnerung. Auch auf Druck der Besatzungsmächte ging es um die Entflechtung deutscher Industrie-Schlüsselbranchen wie Stahl, Zement und Papier. Heute ist die Arbeit des Bundeskartellamtes oft kleinteiliger und näher an die Verbraucher herangerückt: Die Behörde hilft mit einer Transparenzstelle beim Benzin-Preisvergleich, nimmt Bier-, Zucker- und Kaffeepreise unter die Lupe, überprüft den Lebensmittelhandel, Milchpreise und die Fernwärmeversorgung und kämpft gegen illegale Wurstkartelle.

Mehr Rechte nach Gesetzesnovelle

Lange Jahre war Berlin der Sitz der Behörde, Ende der 1990er Jahre zog sie um nach Bonn. Eins ihrer zentralen Themen heute ist Hilfe für die Verbraucher, wenn sie sich im Internet bewegen – gegen Abzocke und Datenklau. Dazu bekam die 350-Mitarbeiter-Behörde mit einer Anfang Juni in Kraft getretenen Gesetzesnovelle mehr Rechte. "Gerade in der Internetwirtschaft gibt es Fälle, in denen Unternehmen durch eine einzige rechtswidrige Maßnahme Millionen Verbrauchern auf einmal schaden können", erklärte Behördenchef Andreas Mundt jüngst. Das Kartellamt hat für solche Fälle eine neue Abteilung für Verbraucherschutz eingerichtet.

Keine direkten Eingriffsmöglichkeiten

Die Kartellwächter können jetzt Untersuchungen ganzer Branchen einleiten, wenn es Hinweise auf die Benachteiligung von Verbrauchern gibt und vor Gericht mit ihrem Fachwissen Stellungnahmen abgeben. Direkte Eingriffsmöglichkeiten gegen schwarze Schafe wie das Abschöpfen widerrechtlicher Gewinne bekam das Kartellamt dagegen vorerst noch nicht. "Das kommt nach der Bundestagswahl wieder auf den Tisch", heißt es unter Fachleuten.

Aufsehen mit Facebook-Verfahren erregt

Die Behörde hat bereits vor gut einem Jahr Aufsehen mit ihrem Verfahren gegen den mächtigen Internetdienst Facebook erregt. Die Bonner wollen prüfen, ob der Konzern seine Marktmacht als soziale Plattform ausnutzt, um widerrechtlich Daten seiner Kunden abzusaugen. Hier will das Kartellamt noch in diesem Jahr Ergebnisse präsentieren, wie Mundt sagte. Die Kartellwächter fühlen sich ermutigt durch die am 27.06.2017 verkündete Rekord-Strafe der EU-Kommission gegen Google von mehr als 2,4 Milliarden Euro.

Bestpreis-Klauseln von Hotelbuchungsportalen untersagt

Durchgegriffen hat das deutsche Amt bereits gegen mehrere Hotelbuchungsportale im Internet und die Kauf-Plattform Amazon-Marketplace: Sie untersagten den Portalen Bestpreis-Klauseln, nach denen Hoteliers und Händler nirgendwo günstigere Angebote machen durften als auf dem Portal des Vertragspartners.

"Wurstlücke" geschlossen

Ein schweres Handicap für die Arbeit der Behörde hat sich mit der Gesetzesnovelle vom Juni erledigt: Die "Wurstlücke". Konzerne konnten, wenn teure Bußgelder gegen einzelne Gesellschaften drohten, einfach intern umstrukturieren und die angegriffene Firma rechtlich verschwinden lassen. So musste die Behörde das Bußgeld abschreiben. Allein bei den 2014 verhängten Bußgeldern gegen Wursthersteller wegen Preisabsprachen fielen so 238 Millionen Euro unter den Tisch. "Das war wie eine Handbremse bei Ermittlungen", sagt ein Insider. Aus alten Fällen seien noch Bußgelder in dreistelliger Millionenhöhe gefährdet, sagte Mundt. Für die Zukunft gelte das aber nicht mehr.

Bußgelder der Behörde deutlich gesunken

Zuletzt sind die Bußgelder der Behörde deutlich gesunken: 2016 waren es knapp 125 Millionen, im ersten Halbjahr 2017 rund 33 Millionen Euro, 2014 dagegen noch mehr als eine Milliarde Euro. Aus Sicht des Bundeskartellamtes sagt das aber wenig. Die Bußgeldhöhe pro Jahr schwanke nun mal, betont ein Sprecher. Sie hänge nicht zuletzt davon ab, wann ein Verfahren abgeschlossen wird.

Kartellsünder sollen von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen werden

Ein neues "scharfes Schwert" droht Kartellsündern nach Mundts Worten von Anfang 2020 an: Dann werden gravierende Verstöße in ein Wettbewerbsregister eingetragen und die betroffenen Unternehmen für mehrere Jahre von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen – für Firmen mit vielen Staatsaufträgen eine einschneidende Sanktion.

Redaktion beck-aktuell, 30. Juni 2017 (dpa).

Mehr zum Thema