100 Jahre Hitler-Putsch – Lehren für heute
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Am 8./9. November 1923 versuchte Adolf Hitler, nach der Macht zu greifen. Der Putsch in München scheiterte, die NSDAP wurde verboten, Hitler wegen Hochverrats verurteilt. Knapp zehn Jahre später folgte Hitlers Machtübernahme. Historiker ziehen wichtige Lehren für heute.

Die Novemberverbrecher, das sind in der Denke der Rechtsextremen diejenigen, die zum Ende des Ersten Weltkrieges im November 1918 die Monarchie gestürzt und die parlamentarisch-demokratische Republik ausgerufen hatten. Ihnen lasten sie die Kriegsniederlage ebenso an wie die Reparationszahlungen, die Deutschland nach dem Frieden von Versailles zahlen muss. Die Hyperinflation tut ein Übriges. Sie macht mühsam Erspartes wertlos und lässt Preise etwa für Lebensmittel ins Fantastische steigen. So kostet zum Beispiel im November 1923 ein Kilogramm Roggenbrot 233 Milliarden Mark. 

In diesen politisch äußerst unruhigen Anfangsjahren der Weimarer Republik begeistert der Österreicher Hitler die Menschen mit Hetzreden. Er habe vorhandene nationalistische, antibolschewistische und antisemitische Tendenzen gezielt bedient und zwischen 1920 und 1923 zunehmend ein Massenpublikum erreicht, sagt Andreas Wirsching, der Direktor des Instituts für Zeitgeschichte (ifZ). Einflussreiche Leute auch aus Regierung und Militär vor allem in Bayern sympathisieren mit ihm, zum Beispiel Generalstaatskommissar Gustav Ritter von Kahr, der ebenfalls einen Staatsstreich plant. 

Warum gerade Bayern und München, Hitlers "Stadt der Bewegung"? "Hier gingen Nationalismus, Rassismus und bajuwarisches Sonderbewusstsein auch in Teilen der Elite eine problematische Verbindung ein", erklärt Wirsching. Hinzu kamen separatistische Tendenzen: "'Weg von Berlin' war für viele eine durchaus attraktive Parole", schreibt der Historiker Wolfgang Niess im Buch "Der Hitlerputsch 1923 - Geschichte eines Hochverrats". "Hier arbeiteten führende Vertreter der Staatsregierung und der bewaffneten Macht ganz unverhohlen auf die Errichtung einer nationalen Diktatur in Berlin hin." 

Hochverratsprozess bot Hitler Bühne

Hitler ist schneller als die anderen Verschwörer. "Hitler trieb die Sorge um, dass man nun offensichtlich ohne ihn Schritte gegen die verhasste Regierung in Berlin plante", heißt es in einem Audiobeitrag des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw). "Er ist nicht eingebunden, er weiß nicht genau, was da geschehen wird, und entscheidet sich dann eben, das Momentum zu nutzen", sagt darin der Historiker Peter Tauber, auf dessen Buch "Der Hitlerputsch 1923" der Beitrag beruht. 

Durchdacht ist offenbar nichts. "Die Regierung der Novemberverbrecher in Berlin ist heute für abgesetzt erklärt worden", proklamieren Adolf Hitler, Erich Ludendorff und Gesinnungsgenossen am 8.11.1923. Putschisten stürmen mit der Sturmabteilung (SA) der NSDAP den Bürgerbräukeller, wo von Kahr eine Rede hält. Es kommt zum Tumult, Putschisten nehmen Regierungsvertreter als Geiseln und versuchen in ganz München, zentrale Einrichtungen zu übernehmen, scheitern aber an Landespolizei und Reichswehr. Tags darauf soll ein Marsch auf die Feldherrnhalle mit tausenden Menschen den Umsturz retten, doch er endet blutig. 16 Demonstranten und 4 Polizisten sterben. Hitler flieht, wird zwei Tage später festgenommen und am 1.4.1924 wegen Hochverrats verurteilt - zur Mindestfreiheitsstrafe von fünf Jahren. Schon rund neun Monate später kommt er auf Bewährung frei. 

Der Historiker Tauber wertet das Verfahren als "Selbststilisierung". Hitler habe den Prozess als Bühne benutzt, etwa für Agitation gegen die Republik oder die Unterzeichner des Versailler Vertrages, und für antisemitische Tiraden. "Und der Richter lässt ihn gewähren." Dabei sollte eigentlich der Staatsgerichtshof in Leipzig Recht sprechen. Doch auf Betreiben der bayerischen Regierung ging es vors Münchner Volksgericht I. "In Leipzig wäre anders ermittelt, in Leipzig wären andere Urteile gesprochen worden", glaubt Niess. "Die nachgiebige Haltung der demokratischen Institutionen hatte katastrophale Folgen für Deutschland und die Welt." 

Lehre für heute: Feinden der Demokratie kein Podium geben 

Vielleicht hätte man Hitler mit seinem völkisch-nationalistischen Gedankengut damals Einhalt gebieten können. Bis zu seinem nationalen Durchbruch 1929 sei er aus außerbayerischer Sicht "wenig mehr als ein Münchner Bierkelleragitator" gewesen, sagt Wirsching. Zudem wird nach dem Putsch ein Redeverbot verhängt. Doch 1927 wird es aufgehoben - eine Chance, die der Demagoge zu nutzen weiß. Statt auf Umsturz setzt er mit der 1925 neu gegründeten NSDAP auf Legalität. Er habe Wahlen, Parlamentsmandate und vor allem das Demonstrationsrecht auf den Straßen zur agitatorischen Waffe gegen die Demokratie geschmiedet, beschreibt es Wirsching. 

Auch in heutiger Zeit kommen in Europa Rechtsextreme und Populisten wieder an die Macht, mit Wahlen. "Radikale Freund-Feind-Ideologien und teilweise reine Hetze haben heute erneut Einzug in die Parlamente gehalten, so auch im Bundestag", warnt Wirsching und verweist auf die AfD. Ihr Erstarken erschwere die demokratische Willensbildung massiv. Niess rät deshalb, den Anfängen zu wehren: "Wir sollten Feinden der Demokratie kein Podium lassen, auf dem sie ihre Propaganda verbreiten können, mögen sie im Moment noch so ungefährlich erscheinen."

Cordula Dieckmann, 6. November 2023 (dpa).