Anmerkung von
Rechtsanwalt beim BGH Dr. Guido Toussaint, Toussaint & Schmitt, Karlsruhe
Aus beck-fachdienst Zivilverfahrensrecht 10/2022 vom 20.05.2022
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Sachverhalt
In der mündlichen Verhandlung vor dem LG hat der Kläger beantragt, die Beklagte durch Versäumnisurteil antragsgemäß zu verurteilen. Nachdem das LG die mündliche Verhandlung geschlossen und eine Entscheidung am Ende des Sitzungstages angekündigt hatte, hat es die Sache am selben Tag wieder aufgerufen. In dem mit vollem Rubrum versehenen Protokoll heißt es: „Im Namen des Volkes ergeht das folgende Versäumnisurteil: …“; daran schließt sich ein Urteilstenor an, mit dem der Klage stattgegeben worden ist. Dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten ist vom Gericht ein als „Abschrift des Protokolls“ bezeichnetes Dokument an das beA übermittelt worden; das dazugehörige elektronische Empfangsbekenntnis hat er zurückgesandt. Einen Monat später hat er gegenüber dem LG erklärt, seines Erachtens sei allein durch die Übersendung des Protokolls der mündlichen Verhandlung keine wirksame Zustellung des Versäumnisurteils erfolgt. Daraufhin ist ihm unverzüglich eine beglaubigte Abschrift des Protokolls zugestellt worden. Den eine Woche später eingegangenen Einspruch gegen das Versäumnisurteil hat das LG wegen Versäumung der Einspruchsfrist als unzulässig verworfen. Das OLG hat die Berufung zurückgewiesen.
Entscheidung
Der BGH hat die von ihm auf Nichtzulassungsbeschwerde zugelassene Revision des Beklagten gegen das Berufungsurteil zurückgewiesen.
Versäumnisurteil wurde zwar nicht fehlerfrei, aber wirksam verkündet
Zutreffend gehe das Berufungsgericht davon aus, dass das Versäumnisurteil, gegen das sich der Einspruch der Beklagten richte, wirksam geworden sei. Die Sitzungsniederschrift stelle zugleich das vollständige gem. § 317 I 1 ZPO der Beklagten zuzustellende Urteil dar, weil dieses als Versäumnisurteil gem. § 313b I 1 ZPO weder eines Tatbestandes noch der Entscheidungsgründe bedürfe und das Protokoll hier neben der gem. § 160 III Nr. 6 ZPO festzustellenden Entscheidung des Gerichts die nach § 313 I Nr. 1–4 ZPO erforderlichen Angaben enthalte und von allen mitwirkenden Richtern unterschrieben sei. Dieses Versäumnisurteil sei auch wirksam verkündet worden. Wie durch das Protokoll der mündlichen Verhandlung vor dem LG gem. § 165 S. 1 ZPO nachgewiesen sei, sei die die Urteilsformel im Anschluss an den erneuten Aufruf der Sache zur Aufzeichnung auf den Tonträger diktiert worden. Danach sei gem. § 160 III Nr. 7 ZPO in dem Protokoll eine mündliche Mitteilung der Urteilsformel festgestellt, die nach § 311 II 3 ZPO (anstelle einer Verlesung der schriftlich abgefassten Urteilsformel bzw. der Bezugnahme hierauf, § 311 II 1, 2 ZPO) für die Verkündung eines Versäumnisurteils genüge. Dass dies entgegen § 310 I 1 ZPO weder vor Schluss der mündlichen Verhandlung noch in einem gesonderten Verkündungstermin nach § 310 II ZPO geschehen sei, sei unbedenklich, weil Verkündungsmängel nach der Rspr. des BGH dem wirksamen Erlass eines Urteils nur entgegenstünden, wenn gegen elementare, zum Wesen der Verlautbarung gehörende Formerfordernisse verstoßen worden seien, so dass von einer Verlautbarung im Rechtssinne nicht mehr gesprochen werden könne, hier aber die Mindestanforderungen an eine solche Verlautbarung gewahrt seien.
Zustellung der einfachen Protokollabschrift setzte Einspruchsfrist in Gang
Ebenso zutreffend nehme das Berufungsgericht an, dass die Einspruchsfrist des § 339 I ZPO mit Zugang des Protokolls begonnen habe. Allerdings sei das Versäumnisurteil nach den getroffenen Feststellungen dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten allerdings unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen. Ein Mangel der Zustellung ergebe sich zwar nicht daraus, dass in dem (elektronischen) Empfangsbekenntnis lediglich das Protokoll genannt und das darin enthaltene Versäumnisurteil nicht gesondert aufgeführt worden sei, wohl aber daraus, dass dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten entgegen §§ 317 I 1, 169 II 1 ZPO lediglich eine einfache statt einer – bei elektronischer Abschrift gem. § 169 IV 2 ZPO durch qualifizierte elektronische Signatur des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erfolgenden – beglaubigten Abschrift des Urteils zugestellt worden sei. Dieser Zustellungsmangel sei aber gem. § 189 ZPO geheilt worden, weil nach den Feststellungen des Berufungsgerichts das in dem Protokoll enthaltene Versäumnisurteil dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten als richtigem Zustellungsadressaten nach § 172 I 1 ZPO tatsächlich zugegangen sei, es ausweislich des abgegebenen Empfangsbekenntnisses auch nicht an dem bei einer Zustellung nach § 174 ZPO erforderlichen Willen, das angebotene Schriftstück als zugestellt entgegenzunehmen, gefehlt habe und das LG die Zustellung schließlich auch mit dem für eine Heilung erforderlichen Zustellungswillen habe bewirken wollen. Die – bislang streitige – Frage, ob § 189 ZPO auch eine von der Geschäftsstelle entgegen §§ 317 I 1, 169 II 1 ZPO veranlasste Zustellung einer einfachen statt einer beglaubigten Abschrift eines Urteils erfasse, habe das Berufungsgericht zu Recht bejaht. Der darin liegende Zustellungsmangel werde – wie weiter ausgeführt wird – richtigerweise dann nach § 189 ZPO geheilt, wenn keine Zweifel an der Authentizität und Amtlichkeit der Abschrift bestehe. Das sei jedenfalls bei einer Übermittlung der Urteilsabschrift an das beA des Rechtsanwaltes der Partei anzunehmen, denn diese ist als sicherer Übermittlungsweg ausgestaltet (vgl. § 130a IV Nr. 2 ZPO).
Praxishinweis
Die im Leitsatz zusammengefassten Aussage der Entscheidung, dass der in der Zustellung lediglich einer einfachen statt einer gesetzlich vorgeschriebenen beglaubigten Abschrift liegende Verfahrensfehler nach § 189 ZPO durch den tatsächlichen Zugang der einfachen Abschrift jedenfalls dann geheilt wird, wenn die Zustellung über das beA erfolgt, ist zwar so bislang nicht formuliert worden, entspricht jedoch der allg. Rechtsprechung, dass § 189 ZPO einen Zugang des (hier zwar nicht beglaubigten, aber in seiner Authentizität aufgrund des Übermittlungsweges nicht zweifelhaften) „Dokuments“ als solchen verlangt, insbesondere die bloße Kenntniserlangung des Dokumenteninhalts nicht genügt. Die besondere „Tücke“ des vom BGH entschiedenen Fall lag allerdings weitergehend darin, dass die Wirkung einer Urteilszustellung durch die (fehlerhafte) Zustellung eines nicht auf den ersten Blick als Urteil zu erkennenden Dokuments (nämlich des bloßen Terminsprotokolls) ausgelöst wurde und das Urteil darüber hinaus einen Verkündungsmangel aufwies (weil es nicht „im“ Verhandlungstermin, sondern danach, aber auch nicht in einem besonders anberaumten Verkündungstermin verkündet worden war). Eine vergleichbare Situation kann zwar im Grundsatz wohl nur bei den in § 313b ZPO genannten (Versäumnis-, Anerkenntnis- und Verzichts-)Urteilen eintreten, doch lehrt die Entscheidung, dass auch bei Zugang lediglich eines Terminsprotokolls sorgfältig zu prüfen ist, ob nicht bereits hierdurch eine Frist in Gang gesetzt wird.
BGH, Urteil vom 11.02.2022 - V ZR 15/21, BeckRS 2022, 9396