Urteilsanalyse
Zuständigkeit der Sozialgerichte für Streitigkeiten über die Zahlung der Corona-Prämie
Urteilsanalyse
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Für Rechtsstreitigkeiten zwischen zugelassenen Pflegeeinrichtungen und deren Arbeitnehmern über die Berechnung und Höhe des Bundesanteils der Corona-Prämie nach § 150a I SGB XI ist nach einem Beschluss des BAG der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit eröffnet.

25. Apr 2022

Anmerkung von
RAin Josefine Chakrabarti LL.M., Gleiss Lutz, Berlin

Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 15/2022 vom 21.04.2022

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Sachverhalt

Der Kläger ist bei dem beklagten Verein als Pflegefachkraft beschäftigt. Der Beklagte hat an den Kläger im Jahr 2020 insgesamt 549,09 EUR als „Corona-Prämie Bund“ und 274,41 EUR als „Corona-Prämie Land“ ausgezahlt. Der Kläger ist der Auffassung, ihm stünden der Bundes- und Landesanteil der Corona-Prämie in voller Höhe von zusammengerechnet 1.500 EUR zu, weil er als Pflegefachkraft eingestellt worden sei und wöchentlich mehr als 35 Stunden gearbeitet habe. Sollte der Beklagte den Kläger prämienmindernd mit Aufgaben außerhalb des Tätigkeitsbildes einer Pflegefachkraft beschäftigt haben, resultiere der von ihm geltend gemachte Anspruch jedenfalls aus Organisationsverschulden. Der Beklagte meint, dem Kläger stünden die Prämien nur in anteiliger Höhe zu, weil er nur teilweise prämienfähige Arbeitsleistungen iSd SGB XI erbracht habe.

Die Parteien streiten über die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Gerichten für Arbeitssachen und in der Hauptsache über die Berechnung und Höhe der Corona-Prämien. Die arbeitsgerichtlichen Vorinstanzen hielten den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für eröffnet. Mit der Rechtsbeschwerde begehrte der Beklagte die Verweisung des Rechtstreits an das SG.

Entscheidung

Die Rechtsbeschwerde hatte Erfolg. Der 9. Senat hielt den Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit für eröffnet. Zwischen den Parteien bestehe nach Ansicht des 9. Senats keine bürgerlich-rechtliche, sondern eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit.

Nach § 2 I ArbGG seien die Gerichte für Arbeitssachen allein für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zuständig. Ob eine Streitigkeit bürgerlich-rechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Art sei, richte sich nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch abgeleitet werde. Der Kläger nehme den Beklagten auf Auszahlung des Bundes- und Landesanteils der Corona-Prämie nach § 150a I und IX SGB XI und damit auf die Erfüllung öffentlich-rechtlicher Pflichten in Anspruch.

Der Gesetzgeber habe mit der Corona-Prämie nach § 150a I SGB XI einen öffentlich-rechtlichen Zahlungsanspruch geregelt. Dem stehe nicht entgegen, dass die Norm den Arbeitgeber als zur Auszahlung der Prämie Verpflichteten bestimmt und der Anspruch grundsätzlich an die tatsächliche Ausübung der pflegerischen Tätigkeit im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses gebunden ist. Der Arbeitgeber fungiere nach Ansicht des 9. Senats allein als von der sozialen Pflegeversicherung in Dienst genommene Zahlstelle, denn er habe die Corona-Prämie nicht aus eigenen Mitteln zu bestreiten, sondern lediglich nach der Vorauszahlung durch die soziale Pflegeversicherung unverzüglich an die Arbeitnehmer durch deren Auszahlung weiterzuleiten.

Die öffentlich-rechtliche Natur der Streitigkeit bejaht der Senat auch für die Auszahlung des Landesanteils der Corona-Prämie gemäß § 150a IX SGB XI. Auch hier komme dem Arbeitgeber die Funktion einer Zahlstelle zu.

Weiterhin stellte das BAG fest, dass nicht der Verwaltungsrechtsweg, sondern der Rechtsweg zu den Sozialgerichten eröffnet sei. Es handele sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit in Angelegenheiten der sozialen Pflegeversicherung, die gemäß § 51 I Nr. 2, II 2 SGG der Sozialgerichtsbarkeit zugewiesen sei. Von der Sonderzuweisung sei auch der Streit über den Landesanteil der Corona-Prämie erfasst.

Der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit sei im Übrigen auch eröffnet, soweit der Kläger hilfsweise Schadenersatzansprüche wegen Organisationsverschuldens des Beklagten geltend mache. Die Zuständigkeit für die gesamte Klage bestimme sich nach dem Hauptantrag.

Praxishinweis

Die Entscheidung des BAG überzeugt in der Begründung und auch mit Blick auf die größere Sachnähe der Sozialgerichtsbarkeit. Die mitunter erheblich längere Verfahrensdauer sozialgerichtlicher Verfahren kann in der Praxis allerdings dazu führen, dass die Prämien erst mit einiger Zeitverzögerung ausgezahlt werden.


BAG, Beschluss vom 01.03.2022 - 9 AZB 25/21 (LAG Mecklenburg-Vorpommern), BeckRS 2022, 5529