Urteilsanalyse
Zurechnung der für den Beginn der Verjährung eines Anspruchs erforderlichen Kenntnis des Schuldners beim Insolvenzverwalter
Urteilsanalyse
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Hinsichtlich des Beginns der Verjährungsfrist hat sich - so der BGH - der Insolvenzverwalter die bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlangte Kenntnis des Insolvenzschuldners von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Drittschuldners grundsätzlich zurechnen zu lassen.

31. Mai 2022

Rechtsanwalt Harald Kroth, Fachanwalt für Insolvenzrecht, Schultze & Braun Rechtsanwaltsgesellschaft für Insolvenzverwaltung mbH

Aus beck-fachdienst Insolvenzrecht 11/2022 vom 27.05.2022

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Sachverhalt

Der Kläger ist Insolvenzverwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin, die zusammen mit anderen Gesellschaften der sogenannten G. ein betrügerisches Schneeballsystem betrieb.

Der Beklagte ist Inhaber von Genussrechten bei der Schuldnerin und hatte auf Basis der den Genussrechten zugrunde liegenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen von der Schuldnerin, deren Jahresabschlüsse für die Jahre 2011 bis 2013 Überschüsse auswiesen, in diesen Jahren Ausschüttungen von Basisdividenden und Übergewinnbeteiligungen erhalten, insgesamt 7.349 EUR.

Der Kläger, der die Feststellung der Jahresabschlüsse der Schuldnerin für die streitgegenständlichen Jahre angefochten hat, machte gegenüber dem Beklagten aufgrund von Schenkungsanfechtung, hilfsweise auf bereicherungsrechtlicher Grundlage, die Erstattung der Ausschüttungen geltend mit der Behauptung der dafür fehlenden vertraglichen Voraussetzungen.

Die Klage blieb in den Vorinstanzen erfolglos, die Revision des Klägers führte zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung an das Berufungsgericht.

Entscheidung

Der mit dem Beklagten geschlossene Genussrechtsvertrag sei trotz des von der Schuldnerin betriebenen Schneeballsystems nicht nach § 138 BGB oder § 134 BGB unwirksam und stelle mit den zugrundeliegenden und entsprechend auszulegenden Genussrechtsbedingungen einen Rechtsgrund für die Ausschüttungen dar, wenn die Schuldnerin in den entsprechenden Jahren tatsächlich Gewinne erwirtschaftet habe.

Seien tatsächlich keine Gewinne erwirtschaftet worden, fehle der Rechtsgrund für die Ausschüttungen, so dass ein Anspruch auf Rückgewähr zur Masse gem. §§ 143 Abs. 1, 134 Abs. 1 InsO in Betracht komme, wenn dem Bereicherungsanspruch des Insolvenzverwalters nicht gem. § 814 BGB Kenntnis der Schuldnerin von der etwaigen Nichtschuld entgegengehalten werden könne.

Da die Jahresabschlüsse Gewinne ausweisen, sei maßgeblich, ob die Abschlüsse fehlerhaft seien und bei fehlerfreier Erstellung Gewinne nicht angefallen seien, so dass mangels eines Auszahlungsanspruchs die Auszahlung rechtsgrundlos erfolgt sei. Dazu und zur Frage der Nichtigkeit der Abschlüsse nach § 256 AktG habe das Berufungsgericht keine Feststellungen getroffen. Davon sei revisionsrechtlich auszugehen.

Die Begründung des Berufungsgerichts zur Annahme des Vorliegens der Voraussetzungen des Ausschlusses der Rückforderung gem. § 814 BGB - positive Kenntnis der Schuldnerin oder für sie handelnder Personen von der fehlenden Verpflichtung zur Zahlung der Basisdividenden und einer Übergewinnbeteiligungen im Zeitpunkt der Zahlung sei unzureichend, decke diese Annahme nicht.

Ein in Betracht kommender Bereicherungsanspruch nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 BGB sei verjährt.

Abzustellen sei hinsichtlich der Kenntnis von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Drittschuldners auf die vom Schuldner schon vor Verfahrenseröffnung erlangte Kenntnis. Diese Kenntnis müsse sich der Insolvenzverwalter mit dem Übergang der Verfügungsbefugnis über die massezugehörigen Forderungen gem. § 80 Abs. 1 InsO ebenso zurechnen lassen, wie sich der neue Gläubiger bei einer Zession (§ 398 BGB), Legalzession (412 BGB) oder Gesamtrechtsnachfolge oder bei einem Verwalterwechsel (BGH BeckRS 2015, 10713 Rn. 12) entsprechend § 404 BGB die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis des alten Gläubigers zurechnen lassen müsse, „weil die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ansonsten zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Neubeginn der Verjährung führen würde (vgl. OLG Hamm, VersR 2017, 610, 611; BeckOGKBGB/Piekenbrock, 2022, § 199 Rn. 124). Der Neubeginn der Verjährung ist seit der Schuldrechtsreform gegenüber der Hemmung auf wenige Ausnahmefälle begrenzt (vgl. BT-Drucks. 14/6040, S. 97).“

Da vorliegend den Organen der Schuldnerin bereits 2013 bekannt gewesen sei, dass kein Gewinn erzielt worden sei, sei Verjährung bereits Ende 2016 eingetreten.

Der BGH hob das Urteil auf und verwies die Sache mit einer Segelanweisung zur Klärung der Frage, ob die für die Schuldnerin verantwortlich handelnden Personen wussten, dass keine Verpflichtung zur Zahlung von Basisdividenden und einer Übergewinnbeteiligung bestand, an das Berufungsgericht zurück.

Praxishinweis

Die vorliegende Entscheidung reiht sich ein in eine Kette von Revisions-Entscheidungen des BGH zu Klagen von Insolvenzverwalter:innen betreffend die Rückforderung von auf betrügerischen Schneeballsystemen beruhenden Dividendenausschüttungen etc.

Trotz des betrügerischen Schneeballsystems sind die mit den Anlegern geschlossenen Vereinbarungen, die diesen unter den vertraglich definierten und ggf. in Allg. Geschäftsbedingungen ergänzend geregelten Voraussetzungen  einen Dividendenanspruch etc. gewähren, regelmäßig nicht nach § 134 BGB oder § 138 BGB unwirksam, Ausschüttungen erfolgen auch dann, wenn sie der Aufrechterhaltung des Betrugssystems dienen, auf einer wirksamen Rechtsgrundlage.

Zumindest im Wege der Auslegung ist die tatsächliche Ertragslage für die Ausschüttung relevant, nicht die bei einem prof. Betrugssystem in gefälschten Jahresabschlüssen ausgewiesene positive Ertragslage.

Neben dem insolvenzanfechtungsrechtlichen Rückgewähranspruch nach §§ 143, 134 InsO, der die bis zu vier Jahre vor dem Eröffnungsantrag erfolgten Leistungen (§ 139 InsO) erfasst, kommt auch ein bereicherungsrechtlicher Anspruch nach § 812 BGB in Betracht (vgl. dazu z. B. BGH BeckRS 2020, 27802 Rn. 30 mwN m. Anm. Baumert, EWiR 2021, 23; BGH BeckRS 2021, 2271 Rn. 22; BGH BeckRS 2021, 41233 Rn. 21; BGH BeckRS 2021, 41229 m. Anm. Dömmecke, FD-InsR 202, 444876). Neben dem fehlenden Rechtsgrund dürfen aber die Voraussetzungen der Kondiktionssperre nach § 814 BGB nicht erfüllt sein, da nur das, was nicht sowieso herausgegeben werden muss, auch unentgeltlich im Sinne des § 134 InsO erlangt sein kann.

Im Rahmen des § 814 BGB trägt die Beweislast der Leistungsempfänger/Bereicherungsschuldner dafür, dass der Leistende/Bereicherungsgläubiger in Kenntnis der Nichtschuld geleistet hat.

Nicht nur für den entschiedenen Sachverhalt, sondern allgemein in Insolvenzverfahren maßgeblich und für die Arbeit des Insolvenzverwalters bedeutsam sind die Ausführungen des BGH zum Beginn der regelmäßigen Verjährung allgemeiner zivilrechtlicher Forderungen, die gem. § 80 Abs. 1 InsO mit Verfahrenseröffnung als Bestandteil der Masse der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters unterfallen und von diesem rechtzeitig zu ermitteln und zu verfolgen sind.

Nach § 199 Abs. 1 BGB wird der Verjährungsbeginn durch die Kenntnis von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Drittschuldners ausgelöst.

Abzustellen ist insoweit nicht auf den nachgelagerten Zeitpunkt der Kenntniserlangung durch den Insolvenzverwalter, sondern auf die schon früher erlangte Kenntnis der Schuldnerin bzw. ihrer Organe. Deren Kenntnis muss der Insolvenzverwalter sich zurechnen lassen. Eine Ausnahme gilt, worauf der BGH hinweist, nur für den Sonderfall der Existenzvernichtungshaftung, weil bei Personenidentität zwischen dem Schädiger und dem Geschäftsführer der anspruchsberechtigten Gesellschaft vorliegen kann und daher nicht die Kenntnis des Schädigers, der das einzige Organ der Gesellschaft ist, maßgeblich ist, sondern die des Insolvenzverwalters, dem gem. § 80 Abs. 1 InsO die Verfolgung des Anspruchs der Gesellschaft aus § 826 BGB zugewiesen ist (BGH BeckRS 2012, 18799; BGH BeckRS 2009, 10357 Rn. 34).


BGH, Urteil vom 07.04.2022 - IX ZR 107/20 (OLG Jena), BeckRS 2022, 9715