Urteilsanalyse
Zulassungsentziehung – Nichtausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit
Urteilsanalyse
Lorem Ipsum
© Stefan Yang / stock.adobe.com

Ein Facharzt für Humangenetik, der in vier aufeinanderfolgenden Quartalen (hier: Quartale IV/19 bis III/20) nach Zulassung lediglich ein bis zehn Fälle abrechnet und in den drei Folgequartalen keinen einzigen Fall, füllt von Anfang an seinen halben Versorgungsauftrag nicht aus, weshalb ihm die Zulassung wegen Nichtausübens der vertragsärztlichen Tätigkeit entzogen werden kann. Dabei ist nach einer Entscheidung des SG Marburg unerheblich, ob der Arzt nie beabsichtigt hat, den hälftigen Versorgungsauftrag tatsächlich auszufüllen oder lediglich äußere Umstände, wie die Coronakrise, einen Praxisaufbau verhindert haben.

5. Sep 2022

Anmerkung von 
Rechtsanwalt Uwe Scholz, BUSSE & MIESSEN Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Berlin
 
Aus beck-fachdienst Medizinrecht 09/2022 vom 02.09.2022

Diese Urteilsbesprechung ist Teil des monatlich erscheinenden Fachdienstes Medizinrecht. Neben weiteren ausführlichen Besprechungen der entscheidenden aktuellen Urteile im Medizinrecht beinhaltet er ergänzende Leitsatzübersichten und einen Überblick über die relevanten neu erschienenen Aufsätze. Zudem informiert er Sie in einem Nachrichtenblock über die wichtigen Entwicklungen in Gesetzgebung und Praxis des Medizinrechts. Weitere Informationen und eine Schnellbestellmöglichkeit finden Sie unter www.beck-online.de

Sachverhalt

Die Beteiligten stritten um die Entziehung der Vertragsarztzulassung wegen Nichtausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit.

Der Zulassungsausschuss (ZA) ließ den Kläger zum 01.10.2019 als Facharzt für Humangenetik im Umfang eines halben Versorgungsauftrages zur vertragsärztlichen Versorgung in B-Stadt zu. Der Kläger erklärte den Verzicht auf seine Zulassung mit Wirkung zum 01.02.2021 unter dem Vorbehalt einer Nachfolgeregelung und beantragte die Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens. Der ZA lehnte den Antrag mit der Begründung fehlenden Praxissubtrat als unzulässig ab. Der ZA wies daraufhin, dass die durchgeführte Versorgungsanalyse ergeben habe, dass der Kläger mit seinen Fallzahlen deutlich unterhalb des Fachgruppendurchschnitts liegen würde und daher die Entziehung der Zulassung von Amts wegen eingeleitet wird.

Der ZA entzog die Zulassung des Klägers und begründete dies damit, dass der Kläger seit dem Quartal IV/19 in einem äußerst geringen Umfang Leistungen abgerechnet habe, so im Quartal IV/19 drei Fälle, in den Quartalen I und II/19 keine Fälle und im Quartal III/20 einen Fall. Die durchschnittlichen Fallzahlen der Fachgruppe betrügen 213 bis 244 Fälle.

Gegen den Beschluss des ZA legte der Kläger Widerspruch ein und begründet diesen u.a. damit, dass im KV-Bereich nunmehr ein halber humangenetischer Sitz ausgeschrieben und somit der Bedarf nachgewiesen sei.

Unter Bezugnahme der durch das Hessische LSG und des Bayrische LSG statuierten Grundsatzes, wonach bei einem Unterschreiten einer Grenze von 10% des jeweiligen Fachgruppendurchschnitts nicht mehr von der Ausübung einer vertragsärztlichen Tätigkeit auszugehen ist, wies der Beklagte den Widerspruch zurück.

Entscheidung

Die gegen den Widerspruchsbescheid erhobene Klage blieb erfolglos.

Rechtsgrundlage für die Entziehung der Zulassung sei § 95 Abs. 6 SGB V. Danach sei die Zulassung u.a. zu entziehen, wenn der Vertragsarzt die vertragsärztliche Tätigkeit nicht mehr ausübt. Eine Nichtausübung liege vor, wenn der Arzt nicht mehr den Willen zur kontinuierlichen Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung hat. Die Entziehung einer Zulassung erfordere daher eine Prognoseentscheidung über die voraussichtliche Dauer der Untätigkeit anhand aller bekannter Umstände des Einzelfalls.

Nach Auffassung des LSG Hessen sei ab einer Fallzahl pro Quartal von weniger als 10% vom Fachgruppendurchschnitt und ohne weiteres von einer Nichtausübung der Vertragsarzttätigkeit auszugehen. Nach SG München sei ein Vertragsarzt in einem Umfang tätig, der annährend der gänzlichen Nichtausübung gleichzusetzen ist, wenn er unter 10% der Fallzahlen der Vergleichsgruppe aufweist.

Unter Berücksichtigung der Versorgungsanalyse, wonach die vom Kläger abgerechneten Behandlungsfälle weit unter 10% des Fachgruppendurchschnitts liegen, habe der Kläger von Anfang an seinen hälftigen Versorgungsauftrag nicht ausgefüllt. Insoweit komme es auch nicht darauf an, in welchen Umfang der Kläger tatsächlich Sprechstunden angeboten hat. Im Übrigen sei auch nicht zu erkennen, dass der Kläger allmählich eine Praxis aufgebaut hätte. Darauf wiesen sowohl die geringen Honorarumsätze als auch die geringen Fallzahlen hin. Nach Auffassung des SG Marburg komme es daher auch nicht darauf an, ob der Kläger nie beabsichtigt hat, den hälftigen Versorgungsauftrag tatsächlich auszufüllen oder lediglich äußere Umstände, wie die Coronakrise, einen Praxisaufbau verhindert haben. Denn es fehle an einem Willen zur kontinuierlichen Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung, wenn der Arzt über mehrere Quartale nur sporadisch abrechnet und nicht im Einzelnen darlegt, wie er zukünftig die vertragsärztliche Versorgung kontinuierlich ausüben will.

Praxishinweis

Im Rahmen eines Zulassungsentziehungsverfahren ist der Einwand, dass äußere Umstände einen Praxisaufbau oder eine kontinuierliche Patientenbehandlung verhindert haben, unbeachtlich, wenn der Arzt nicht zugleich darlegt, wie er künftig die Tätigkeit kontinuierlich auszuüben gedenkt.


SG Marburg, Gerichtsbescheid vom 30.03.2022 - S 12 KA 226/21, BeckRS 2022, 5900