Urteilsanalyse
Zulassungsentziehung aufgrund der Ausstellung von "Gefälligkeitsattesten"
Urteilsanalyse
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Der Entzug einer Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung aus gesundheitlichen Gründen sowie die Anordnung des Sofortvollzugs setzen als Eingriff in die Berufsfreiheit voraus, dass der Gesundheitszustand des Vertragsarztes durch ärztliche Befund- und Behandlungsberichte dokumentiert oder ein Gutachten  iSv § 21 Sätze 3 und 4 Ärzte-ZV festgestellt wird. Einschätzungen der ärztlichen Mitglieder des Zulassungsgremiums reichen laut LSG Schleswig-Holstein in der Regel nicht. 

13. Apr 2023

Anmerkung von 
Rechtsanwalt Florian Elsner, BUSSE & MIESSEN Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Berlin
 
Aus beck-fachdienst Medizinrecht 04/2023 vom 06.04.2022

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Sachverhalt

Dem seit 1977 als praktischer Arzt zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Antragssteller (AS), ist von dem Antragsgegner (AG) mit sofortiger Wirkung die Zulassung entzogen worden.

Laut des Berichts eines Journalisten, der als Patient den AS aufsuchte, steht gegen den AS der Verdacht im Raum, ohne Anamnese stand Untersuchung Atteste zur Befreiung von der Impflicht ausgestellt zu haben. Im Rahmen der Sitzung des AG, in der dieser die Entziehung der Zulassung des AS beschlossen hat, ist der AG zudem durch bloße Inaugenscheinnahme der ärztlichen Ausschussmitglieder zu der Überzeugung gelangt, dass der AS aufgrund einer Parkinsonerkrankung für die vertragsärztliche Versorgung ungeeignet sei.

Die beigeladene KV stellte unter Honorarkürzung die Abrechnung des AS sachlich-rechnerisch richtig, aufgrund eines überdurchschnittlich hohen Anteils Neupatienten, jeweils mit der gesicherten Diagnose F 41, 1 (generalisierte Angststörung) gekennzeichnet. Als Grund für den hohen Anteil vermuteten KV und AG sog. „Gefälligkeitsatteste“ zur Befreiung von der Impfpflicht. Eine grobe Fahrlässigkeit des AS wurde nicht thematisiert.

Der AS teilte mit, die Diagnose F 41, 1 sei aufgrund der mit der Pandemie einhergehenden Einschränkungen und Besonderheiten korrekt. Bei dem von dem Journalisten erlebten Fall des mutmaßlichen Gefälligkeitsattestes, handele es sich um einen Einzelfall. Den Antrag des AS auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen die Zulassungsentziehung, hat das Sozialgericht zurückgewiesen. Hiergegen wandte sich der AS mit seiner Beschwerde.

Entscheidung

Die Beschwerde des Antragsstellers sei zulässig und begründet. Die Anordnung des AG der sofortigen Vollziehung des Entzugs der vertragsärztlichen Zulassung greife unverhältnismäßig in die von Art. 12 GG geschützte Berufsfreiheit des AG ein. Die Abweichung von der im Gesetz grundsätzlich vorgesehenen aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs, stelle einen selbständigen Grundrechtseingriff dar. Damit liege eine der Berufswahl nahekommende Berufsausübungsregelung vor, in die ein Eingriff nur unter strengen Voraussetzungen zur Abwehr konkreter Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter und unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit statthaft sei. Allein die hohe Wahrscheinlichkeit, dass das Hauptsacheverfahren zum Nachteil des AS ausgehen werde, reiche nicht aus. Vorliegend könne anhand der derzeit von dem AG herangezogenen Tatsachengrundlage weder abschließend geprüft noch bei summarischer Prüfung prognostizieren werden, ob sich die Zulassungsentziehung in der Hauptsachentscheidung als rechtmäßig oder rechtswidrig erweisen werde. Ferner beschäftige sich die sachlich-rechnerische Richtigstellung der KV nicht mit der Frage, ob der AS grob fahrlässig gehandelt habe. Auch insoweit bestünden daher Zweifel, ob ein mit der sachlich-rechnerischen Berichtigung der KV begründeter (Sofort-)Entzug der vertragsärztlichen Zulassung auf eine ausreichend belastbare Tatsachengrundlage gestützt sei. Soweit der AS gegenüber dem AG eingeräumt habe, an Parkinson erkrankt zu sein, liege derzeit ebenfalls keine belastbare Tatsachengrundlage vor. Die Einschätzung der ärztlichen Mitglieder des AG möge ein Indiz sein, sei jedoch mangels Dokumentation und eingeholter Befunde nicht belastbar. Somit seien die voraussichtlichen Erfolgsaussichten in der Hauptsache als offen zu bewerten und eine Abwägung der für und der gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen durchzuführen. Aufgrund des hohen Anteils von GKV- Patienten beschneide der Sofortvollzug die Existenzgrundlage des AS hinsichtlich weiter anfallender Praxis- und Personalkosten und beschränke seine Rechte aus Art. 12 GG erheblich, weshalb die Gesamtabwägung zu Gunsten des AS ausfalle, weil zudem keine konkret benennbaren körperlichen Schäden bei Patienten des AS zu befürchten seien.

Praxishinweis

Die Entscheidung verdeutlicht anhand des vertragsarztrechtlichen Entziehungsverfahrens lehrbuchtauglich die Voraussetzungen, die Reichweite und die Beweislastverteilung des einstweiligen Rechtsschutzes.

LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 21.11.2022 - L 4 KA 105/22 B ER (SG Kiel), BeckRS 2022, 36633