Urteilsanalyse
Zulässiger Insolvenzantrag trotz dinglicher Sicherung der Gläubigerforderung bei Suizidgefahr des Schuldners
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Der Eröffnungsantrag eines an einem nicht wertausschöpfend belasteten Grundstück dinglich gesicherten Gläubigers darf nach einem Beschluss des BGH nicht wegen Fehlens eines rechtlich geschützten Interesses abgewiesen werden, wenn eine Befriedigung im Wege der Zwangsversteigerung wegen der Suizidalität des Schuldners unsicher ist.

8. Feb 2021

Anmerkung von

Rechtsanwalt Stefano Buck, Fachanwalt für Insolvenzrecht, Schultze & Braun Rechtsanwaltsgesellschaft für Insolvenzverwaltung mbH

Aus beck-fachdienst Insolvenzrecht 03/2021 vom 04.02.2021

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Sachverhalt

Die Schuldnerin schuldet dem Gläubiger insgesamt 31.522 EUR. Der Gläubiger versucht seit Jahren vergeblich, seine Forderung im Wege der Zwangsvollstreckung beizutreiben. Die Schuldnerin ist Eigentümerin eines mit einem Mehrfamilienhaus bebauten Grundstücks. Sie wohnt in einer der Wohnungen. Das Grundstück ist mit Grundpfandrechten in Höhe von insgesamt 426.150 EUR belastet. Auch der Gläubiger ließ mehrfach Zwangssicherungshypotheken zur Sicherung seiner Forderungen eintragen. Die Belastungen schöpfen den Wert des Grundstücks nicht aus. Im Zwangsversteigerungsverfahren wurde der Verkehrswert des Grundstücks auf 810.000 EUR festgesetzt.

Am 2.2.2010 wurde (auch) auf Antrag des Gläubigers die Zwangsversteigerung des Grundstücks angeordnet. Das Zwangsversteigerungsverfahren wurde im Jahr 2015 wegen fachärztlich bestätigter Suizidalität der Schuldnerin eingestellt.

Der Gläubiger hat am 19.7.2018 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin beantragt. Die anwaltlich vertretene Schuldnerin ist dem Antrag entgegengetreten. Sie hat darauf verwiesen, dass die Forderungen des Gläubigers vollständig dinglich gesichert seien. Sie beabsichtige, ihre Verbindlichkeiten durch die Aufteilung des Grundstücks in Wohnungseigentum und die anschließende Veräußerung einzelner Wohnungen zu begleichen. Nach dem im Eröffnungsverfahren eingeholten Gutachten des Beteiligten zu 2 betragen die fälligen Verbindlichkeiten der Schuldnerin jedenfalls 336.705 EUR.

Mit Beschluss vom 28.6.2019 hat das Insolvenzgericht das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet und den weiteren Beteiligten zu 2 zum Insolvenzverwalter bestellt. Die sofortige Beschwerde der Schuldnerin ist erfolglos geblieben. Mit ihrer vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde wollte die Schuldnerin weiterhin die Abweisung des Eröffnungsantrages erreichen. 

Entscheidung

Die Rechtsbeschwerde blieb im Ergebnis ohne Erfolg.

Der BGH führt aus, dass die dingliche Sicherung des Gläubigers alleine den Eröffnungsantrag noch nicht unzulässig werden lasse. Vielmehr komme es darauf an, ob eine Befriedigung der Forderung des antragstellenden Gläubigers mit Sicherheit zu erwarten sei. Das ergebe sich - trotz des weitergehenden Leitsatzes - bereits aus der Begründung des genannten Beschlusses vom 29.11.2007. Dort heißt es, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners verbessere die Rechtsstellung nicht, weil er gem. § 49 InsO auch nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach Maßgabe des Gesetzes über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung zur abgesonderten Befriedigung berechtigt sei. Das Insolvenzverfahren bringe ihm deshalb keine Vorteile mehr. Nur wegen einer Forderung, die auch ohne die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens mit Sicherheit vollständig befriedigt werden könne, dürfe das Insolvenzverfahren nicht eröffnet werden (BGH, Beschl. v. 29.11.2007, aaO Rn. 11 f.).

In der Regel ermögliche eine werthaltige Sicherheit die Befriedigung des gesicherten Gläubigers in angemessener Frist. Im damaligen Fall gab es nach dem festgestellten Sachverhalt keinen Grund für die Annahme, dass eine Verwertung des belasteten Grundstücks nicht möglich gewesen sei oder nicht zu einer alsbaldigen Befriedigung des Gläubigers geführt hätte. Auf diese komme es an.

Im vorliegenden Fall betreibe der Gläubiger seit vielen Jahren vergeblich die Zwangsvollstreckung in das Vermögen der Schuldnerin. Die Zwangsvollstreckung in deren einzigen bekannten Vermögensgegenstand, das Grundstück, habe bisher wegen der psychischen Erkrankung der Schuldnerin nicht zum Erfolg geführt. Daran werde sich in absehbarer Zeit nichts ändern. Auch sei sie im Insolvenzverfahren ihren Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen. Dem Beteiligten zu 2 sei es nicht gelungen, persönlich oder telefonisch Kontakt mit ihr aufzunehmen. Zusagen ihrer Verfahrensbevollmächtigten habe die Schuldnerin nicht eingehalten. Dass es im Zwangsversteigerungsverfahren zu erneuten auf die Erkrankung der Schuldnerin gestützten Schutzanträgen nach § 765a ZPO kommen könnte, stehe nicht in Abrede.

Aufgrund dessen sei der Antrag des Gläubigers trotz dinglicher Sicherung als zulässig anzusehen.

Praxishinweis

Im Insolvenzverfahren kann dem Schuldner bei Vollstreckungsmaßnahmen des Insolvenzverwalters nach § 148 Abs. 2 InsO auf Antrag ebenfalls Vollstreckungsschutz nach § 765a ZPO gewährt werden, soweit dies zur Erhaltung von Leben und Gesundheit des Schuldners erforderlich ist (vgl. BGH WM 2009, 124). Aber auch dieser Umstand lässt das Rechtsschutzinteresse des Gläubigers nicht entfallen. Kraft seiner aus § 80 InsO folgenden umfassenden Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis kann der weitere Beteiligte zu 2 die Aufteilung des Mehrfamilienhauses der Schuldnerin in Eigentumswohnungen betreiben und einzelne Wohnungen veräußern, ohne die Schuldnerin aus ihrer Wohnung verdrängen und sie so an Leib oder Leben zu gefährden. Hierauf wies der BGH nochmals ausdrücklich hin.

BGH, Beschluss vom 10.12.2020 - IX ZB 24/20 (LG Köln), BeckRS 2020, 37747