Urteilsanalyse
Zulässige Versetzung ins Ausland
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Der Arbeitgeber kann aufgrund seines arbeitsvertraglichen Direktionsrechts den Arbeitnehmer anweisen, an einem Arbeitsort des Unternehmens im Ausland zu arbeiten, wenn nicht ausdrücklich oder den Umständen nach konkludent etwas anderes vereinbart worden ist. § 106 GewO begrenzt das Weisungsrecht des Arbeitgebers nach Ansicht des BAG nicht auf das Territorium der Bundesrepublik Deutschland. Die Ausübung des Weisungsrechts unterliege allerdings einer Billigkeitskontrolle.

20. Dez 2022

Anmerkung von
RA Prof. Dr. Jobst-Hubertus Bauer, Stuttgart

Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 49/2022 vom 15.12.2022

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Sachverhalt

Der Kläger ist seit Januar 2018 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin – beides international tätige Luftverkehrsunternehmen mit Sitz im europäischen Ausland – als Pilot beschäftigt. Arbeitsvertraglich war die Geltung irischen Rechts und ein Jahresgehalt von 75.325 EUR brutto vereinbart. Aufgrund eines von der Beklagten mit der Gewerkschaft Vereinigung Cockpit (VC), deren Mitglied der Kläger ist, geschlossenen Vergütungstarifvertrags verdiente er zuletzt 11.726,22 EUR brutto monatlich. Stationierungsort des Klägers war der Flughafen Nürnberg. Der Arbeitsvertrag sieht vor, dass der Kläger auch an anderen Orten stationiert werden könne. Aufgrund der Entscheidung, die Homebase am Flughafen Nürnberg Ende März 2022 aufzugeben, versetzte die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 20.01.2020 zum 30.04.2020 an ihre Homebase am Flughafen Bologna. Vorsorglich sprach sie eine entsprechende Änderungskündigung aus, die der Kläger unter dem Vorbehalt ihrer sozialen Rechtfertigung annahm.

Der Kläger hält seine Versetzung nach Bologna für unwirksam und hat im Wesentlichen gemeint, das Weisungsrecht des Arbeitgebers nach § 106 S. 1 GewO erfasse nicht eine Versetzung ins Ausland; zumindest sei eine solche unbillig, weil ihm sein tariflicher Vergütungsanspruch entzogen werde und ihm auch ansonsten erhebliche Nachteile entstünden. Die Beklagte meint, § 106 S. 1 GewO lasse auch eine Versetzung ins Ausland zu; ihre Entscheidung wahre billiges Ermessen.

Die Vorinstanzen haben die gegen die Wirksamkeit der Versetzung gerichtete Klage abgewiesen.

Entscheidung

Die vom LAG zugelassene Revision des Klägers blieb vor dem 5. Senat des BAG ohne Erfolg. In der Pressemitteilung des BAG (FD-ArbR 2022, 454409) heißt es, soweit das LAG die Anwendbarkeit deutschen Rechts nach Art. 8 der Rom I-VO bejaht habe, seien hiergegen in der Revision von den Parteien keine Verfahrensrügen erhoben worden und revisible Rechtsfehler nicht ersichtlich. Sei arbeitsvertraglich ein bestimmter inländischer Arbeitsort nicht fest vereinbart, sondern ausdrücklich eine unternehmensweite Versetzungsmöglichkeit vorgesehen, umfasse das Weisungsrecht des Arbeitgebers nach § 106 S. 1 GewO auch die Versetzung an einen ausländischen Arbeitsort. Rechtsfehlerfrei habe das LAG auch angenommen, dass die Maßnahme billigem Ermessen entspreche und der Ausübungskontrolle standhalte. Die Versetzung sei Folge der unternehmerischen Entscheidung, die Homebase am Flughafen Nürnberg aufzugeben. Damit sei die Möglichkeit, den Kläger dort zu stationieren, entfallen. Die Beklagte habe das für einen solchen Fall in dem mit VC geschlossenen Tarifsozialplan vereinbarte Verfahren eingehalten. Offene Stellen an einem anderen inländischen Stationierungsort gebe es nicht, ein Einsatz als „Mobile Pilot“ sei nicht möglich, eine Base-Präferenz hätte der Kläger nicht angegeben. Alle am Flughafen Nürnberg stationierten Piloten seien an einen Standort in Italien versetzt worden. Die Weisung des Beklagten lasse den Inhalt des Arbeitsvertrags, insbesondere das arbeitsvertragliche Entgelt, unberührt. Dass der Kläger den Anspruch auf das höhere tarifliche Entgelt verliere, liege an dem von den Tarifvertragsparteien vereinbarten Geltungsbereich des Vergütungstarifvertrags, der auf die in Deutschland stationierten Piloten beschränkt sei. Zudem sehe der Tarifsozialplan vor, dass Piloten, die an einen ausländischen Stationierungsort verlegt würden, zu den dort geltenden Arbeitsbedingungen, insbesondere den dortigen Tarifgehältern, weiterbeschäftigt werden. Es sei auch nicht unbillig, wenn die Beklagte mit der Versetzung verbundene sonstige Nachteile des Klägers, der seinen Wohnort Nürnberg nicht aufgeben wolle, finanziell nicht stärker ausgleiche, als im Tarifsozialplan vorgesehen sei.

Praxishinweis

Der Entscheidung kann nur zugestimmt werden. § 106 S. 1 GewO kann in der Tat für Versetzungen keine Begrenzung auf das Territorium der Bundesrepublik Deutschland entnommen werden. Und die Versetzung des Piloten hält unter den gegebenen Umständen auch der Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB stand.

BAG, Urteil vom 30.11.2022 - 5 AZR 336/21 (LAG Nürnberg)