Urteilsanalyse
Zulässige Anordnung zum Tragen einer Atemschutzmaske in Hauptverhandlung
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Die Anordnung des Vorsitzenden zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes ist laut BayObLG als sitzungspolizeiliche Maßnahme zulässig. Werde ein Betroffener wegen ordnungswidrigen Benehmens gemäß § 177 GVG aus dem Sitzungssaal entfernt, rechtfertige dies nicht die Verwerfung seines gegen einen Bußgeldbescheid gerichteten Einspruchs. Vielmehr sei in einem solchen Fall nach § 231b Abs. 1 StPO in Verbindung mit § 71 Abs. 1 OWiG zu verfahren.

14. Okt 2021

Anmerkung von
Senator E. h. Ottheinz Kääb, LL.M., Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verkehrsrecht und Versicherungsrecht, München

Aus beck-fachdienst Straßenverkehrsrecht 19/2021 vom 30.09.2021

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OWiG §§ 71 I74 II; StPO § 231b I 1; GVG §§ 176177

Sachverhalt

Der Rechtsbeschwerdeführer hatte einen Bußgeldbescheid über 150 EUR wegen Verstoßes gegen die Infektionsschutzmaßnahmenverordnung erhalten, denn er hatte im öffentlichen Nahverkehr keine Mund-Nasen-Bedeckung getragen. Zu der auf seinen Einspruch hin angesetzten Hauptverhandlung erschien der Beschwerdeführer mit Maske, legte diese dann aber im Sitzungssaal ab. Der Vorsitzende forderte ihn auf, die Gesichtsmaske wieder anzulegen, was der Betroffene verweigerte. Darauf ordnete der Richter die Entfernung des Betroffenen aus dem Sitzungssaal an und verwarf sodann den Einspruch.

Rechtliche Wertung

Gegen das Verwerfungsurteil legte der Betroffene erfolgreich Beschwerde ein. Das Urteil des Amtsgerichts wurde aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Gerichts zurückverwiesen. Die erhobene Rüge sei zulässig und begründet, so das BayObLG. Zu dem streitigen Zeitpunkt habe eine Verwerfung des Einspruchs nicht erfolgen dürfen. In der Anordnung der Maßnahme, im Sitzungssaal eine Maske zu tragen, sei der Richter frei gewesen, denn dem Vorsitzenden obliege die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Sitzung. Dazu gehörten auch Maßnahmen, die davor schützen sollen, sich oder andere anzustecken. Die Anordnung verstoße daher auch nicht gegen das im GVG normierte Verhüllungsverbot.

Entscheidend sei hier die prozessuale Rüge, dass nach der Entfernung des Betroffenen aus dem Sitzungssaal eine Verhandlung bei Abwesenheit des Betroffenen nach § 71 Abs. 1 OWiG hätte durchgeführt werden müssen. Dsa sei nicht geschehen. Von einem Fall schuldhaften Fernbleiben des Betroffenen könne hier nicht ausgegangen werden.

Praxishinweis

Die Entscheidung ist für die Praxis sehr wesentlich, weil sie Neuland betritt. Dazu zitiert sie Literatur und Rechtsprechung in erheblichem Umfang. Das Gericht hat auch Hinweise für die Zukunft gegeben: Sollten - freilich unter Berücksichtigung der künftigen Pandemieentwicklung - erneut die Anordnung einer Maskenpflicht in der Hauptverhandlung und gegebenenfalls ein Ausschluss des Betroffenen wegen Nichtbefolgung in Erwägung gezogen werden, wird sich das weitere Verfahren nach § 231b StPO zu richten haben.

BayObLG, Beschluss vom 09.08.2021 - 202 ObOWi 860/21, BeckRS 2021, 25633