Urteilsanalyse
Zugang zu Lebensakte eines Geschwindigkeitsmessgeräts
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Auch aus der Lebensakte eines Geschwindigkeitsmessgeräts und etwaigen Reparatur-, Störung-, Reinigungs- und Wartungsnachweisen kann die Verteidigung des Betroffenen im Einzelfall relevante Informationen ziehen, die, ggf. auch nach weiterer Überprüfung durch einen Sachverständigen, auf Fehler bei der Geschwindigkeitsmessung hinweisen. Daher unterliegen laut Oberlandesgericht Celle auch diese Unterlagen dem Zugangsrecht des Betroffenen.

24. Jun 2022

Anmerkung von
Senator E. h. Ottheinz Kääb, LL.M., Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verkehrsrecht und Versicherungsrecht, München

Aus beck-fachdienst Straßenverkehrsrecht 12/2022 vom 23.05.2022

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OWiG §§ 79 III62; StPO § 344 II 2

Sachverhalt

Der Betroffene soll zu schnell gefahren sein. Auf der Autobahn wurde gemessen, dass die dort angeordnete zulässige Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h um 41 km/h überschritten wurde. Der Betroffene wurde vom Amtsgericht daher zu einer Geldbuße von 160 EUR verurteilt und es wurde ein Fahrverbot von einem Monat verhängt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde, in der er die Verletzung formellen und materiellen Rechtes rügt.

Die Rechtsbeschwerde hat – vorläufigen – Erfolg, denn der Bußgeldsenat hob das amtsgerichtliche Urteil samt den zugrunde liegenden Feststellungen auf und verwies zu neuer Entscheidung zurück ans Amtsgericht.

Rechtliche Wertung

Der Betroffene rügte zunächst, dass er das Schild mit der Anordnung der Geschwindigkeitsbegrenzung gar nicht richtig sehen konnte. Der Bußgeldsenat stellte fest, dass hier in der Tat Schwierigkeiten bestehen, weil das Amtsgericht nicht festgestellt habe, an welcher Stelle der Betroffene auf die Autobahn aufgefahren sei. Es könne durchaus sein, dass er erst 61 Meter vor der Messstelle aufgefahren sei. Ob er auf diesem kurzen Weg die Geschwindigkeit von 161 km/h überhaupt hätte erreichen können, müsse zumindest überprüft werden.

Der Hauptpunkt der Rechtsbeschwerde richtet sich allerdings dagegen, dass das Gericht die Lebensakte auf Antrag dem Betroffenen nicht zur Verfügung gestellt hatte. Ob dies rechtlich in Ordnung sei, sei jedoch fraglich, denn die Verwaltungsbehörde habe lediglich mitgeteilt, dass zwischen der letzten Eichung und dem Tag der Geschwindigkeitsmessung bzw. dem vier Tage später stattgefundenen nächsten Messtag keine Fehler aufgetaucht seien und keine Reparatur, Störung, Reinigungs- oder Wartungsmaßnahmen durchgeführt worden seien. Dies reiche indes nicht aus. Im Eichgesetz sei normiert, dass die Unterlagen drei Monate aufbewahrt werden müssten. Es sei die Verpflichtung niedergelegt, in welchem Rhythmus solche Geräte überprüft werden müssten.

Das Amtsgericht wäre daher gehalten gewesen, eine vollständige Aussage über all das, was mit dem Gerät geschehen sei, zu erteilen. Schließlich habe der Betroffene noch die Bedienungsanleitung gewünscht. Dies sei abgelehnt worden im Hinblick auf § 45 UrhG. Ein solcher Hinweis sei rechtlich fehl am Platz. Selbstverständig dürften Gerichte, sonstige Behörden und damit auch Rechtsanwälte Bedienungsanleitungen sehen und dürften nicht darauf verwiesen werden, «in der Behörde» diese Unterlagen einzusehen.

Ergänzend hat der Senat aber auch darauf hingewiesen, dass die Frage, in welchem Umfang solche Unterlagen herauszugeben seien, derzeit beim Bundesgerichtshof zur Entscheidung anstehe, weil divergierende Auffassungen zweier Oberlandesgerichte vorlägen. Schließlich hat der Senat für die neue Hauptverhandlung noch einige rechtliche Hinweise erteilt und er verweist ganz zuletzt auch angesichts der Zeiträume, die nun wohl noch vergehen werden auch darauf, dass unter Umständen von einem Fahrverbot schon deshalb abgesehen werden müsse, weil zwischen Tat und Entscheidung zwei Jahre oder mehr vergangen seien.

Praxishinweis

Die Entscheidung ist für die Praxis sehr wesentlich. Letztlich wird der Bundesgerichtshof die ständig wiederkehrende Frage, was alles Teil der Akten sei, zu beantworten haben. Die Praxis schaut gespannt zum BGH.

OLG Celle, Beschluss vom 22.02.2022 - 2 SsOWi 264/21 (AG Achim), BeckRS 2022, 12508