Seit der Corona-Zeit ist virtuelle Kommunikation allgegenwärtig. In vielen Bereichen sind vollvirtuelle Gremienentscheidungen ermöglicht worden (§ 32 II BGB, § 118a AktG, § 43b GenG). Hieran anknüpfend soll auch das Wohnungseigentumsrecht mit einer vollvirtuellen Eigentümerversammlung „beglückt“ werden, wenn dies mit einem Quorum von 75 % beschlossen wird (BT-Drs. 20/9890). Kritik und scharfe Kontroversen aufgreifend, verlangte der Bundesrat Einstimmigkeit (BR-Drs. 508/23). Am 19.2.2024 fand nun die Expertenanhörung im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags statt, bei der die gegensätzlichen Meinungen und Interessen deutlich wurden. Anlass genug, das Vorhaben noch einmal prinzipiell zu überdenken.
Neben zahlreichen Detailproblemen (dazu Zschieschack/Dötsch NZM 2023, 617) stellt sich die Grundfrage, ob es richtig ist, Instrumentarien für Wirtschaftsunternehmen auf das Wohnungseigentum zu übertragen. Sicher gibt es vermietende Eigentümer, die in der Wohnung (nur) eine Kapitalanlage sehen und digitale Versammlungen wegen des geringeren Aufwands bevorzugen. Das Quorum klingt hoch, Verwalter werden durch Zusatzkosten für Präsenzveranstaltungen aber Anreize setzen, die verfangen. Es lohnt daher, sich zu vergegenwärtigen, was 1951 die Idee des WEG war: Zur Stärkung des Wohnungsbaus als „eine der vordringlichsten Aufgaben der Gegenwart“, den Erwerb „eines eigenheimähnlichen Teils eines größeren Hauses“ zu ermöglichen (BR-Drs. 75/51, 1). Aus dem damit verbundenen Zusammenleben der Eigentümer in einem Haus resultieren die meisten Konflikte, die letztlich in Rechtsstreitigkeiten ausgetragen werden. Vollvirtuelle Versammlungen schließen nicht nur technikferne – zumeist ältere und selbstnutzende – Eigentümer von der Verwaltung eines wesentlichen Vermögensbestandteils aus. Vor allem wird eine institutionalisierte Möglichkeit beseitigt, auf der die Eigentümer ungeschminkt um die Entwicklung des gemeinsamen Eigentums ringen können. Wichtige Themen gibt es mit den erforderlichen energetischen Sanierungen und Heizungsertüchtigungen (§ 71 GEG) genügend. Der Autor ist ein großer Befürworter virtueller Gerichtsverhandlungen. Er hat aber die Erfahrung gemacht, dass Einigungen in konfliktträchtigen Beziehungen nur erreicht werden können, wenn sich die Parteien im Gerichtssaal begegnen, die Zornesröte des Kontrahenten sehen und seinen Angstschweiß riechen können. Persönliche Diskussionen sind durch virtuelle Gespräche nicht abbildbar. Dies zeigt auch der aktuelle Trend in der Arbeitswelt, das Homeoffice zu beschränken.
Bedauerlich ist, dass die im gleichen Gesetz vorgesehene Privilegierung von Balkonkraftwerken für Eigentümer und Mieter als Kollateralschaden verzögert wird. Hier ist man dem Trend gefolgt, Themen zu verknüpfen, die keine inhaltlichen Berührungspunkte haben, aber eine unterschiedliche Interessenklientel ansprechen.
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