NJW-Editorial
Zivilprozessuale Revolution
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Man mag es kaum glauben, aber die Präsidenten der Oberlandesgerichte möchten eine Revolution anzetteln. In ihrem Auftrag hat eine Arbeitsgruppe, deren Mitglied ich war, ein Diskussionspapier zur Modernisierung des Zivilprozesses erarbeitet. Ein wesentlicher Vorschlag ist die Einführung des strukturierten Parteivortrags.

18. Feb 2021

 Anwälte reichen keine Schriftsätze ein, sondern füllen eine Art Relationstabelle, das sogenannte Basisdokument. Vortrag und Gegenvortrag stehen sich unmittelbar gegenüber. Die Felder der Tabelle enthalten - chronologisch geordnet - sinnvoll aufgeteilte Elemente des Sachverhalts. Späterer Vortrag wird nicht irgendwo angefügt, sondern ändernd oder ergänzend, aber historisch nachvollziehbar, in ein solches Feld eingetragen. Alle Beteiligten erhalten sofort Nachricht hiervon. Das Basisdokument dient später als Urteilstatbestand.

Ist das nicht wieder nur eine Entlastung der Richter, die keinen Tatbestand mehr schreiben müssen? Eine solche Entlastung ist unverkennbar, aber dem Richter erwachsen auch neue Aufgaben. Er muss bei jedem neuen Vortrag die Struktur prüfen und (im Basisdokument) gegebenenfalls Hinweise geben - wesentlich früher und weitgehender als jetzt, da eine sinnvolle Strukturierung sich an rechtlichen Aspekten ausrichtet. Das erleichtert die Arbeit der Anwälte, die noch anderweitig gewinnen. Wer kennt nicht die Prozesse, in denen zu oft und zu viel geschrieben wird? Der Überblick geht verloren, und man muss sich aus neuem Vortrag mühsam das Relevante herausklauben. Das wird anders. In dem Basisdokument erkennt ein Anwalt sofort, was neu ist und wo Ergänzungen notwendig sind. Das erspart überflüssiges, oft ermüdendes Lesen und damit Zeit und Geld. Eigentliche Gewinner sind die Parteien. Der Streitstoff wird durch die Gegenüberstellung übersichtlicher. Die Gefahr, etwas zu übersehen, mindert sich. Durch die gemeinsame Arbeit von Anwälten und Richtern am Tatbestand wird die Qualität der Rechtsfindung steigen.

Aber Revolutionen fordern Opfer. Die Vorstellung, das Notwendige in Kästchen pressen zu müssen, anstatt hergebrachte anwaltliche Kunst auszuüben, mag manchem ein Graus sein. Das Vergnügen, einen gut geschriebenen Anwaltsschriftsatz lesen zu können, wird auch mir sicher fehlen. There is no free lunch! Aber das Opfer wird sich in Grenzen halten: Es wird möglich sein, frei von dem Kästchenzwang Vorgeschichte, Hintergründe und Interessen zu schildern, die Rechtslage darzustellen und eine Art Plädoyer zu halten.

Das alles ist eine tiefgreifende Änderung unserer Arbeitsweise. Es wird Umdenken, Übung und Gewöhnung erfordern. Aber es ist keine Verletzung des Beibringungsgrundsatzes oder der Berufsausübungsfreiheit. Und es wird sich lohnen. Ich hoffe, dass die Strukturierung nicht nur deswegen scheitert, weil Juristen Revolutionen nicht mögen. .

Elmar Streyl ist Vorsitzender Richter am Landgericht Krefeld.