NJW-Editorial
Zäsur für die Rechtskommunikation
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Wer erinnert sich nicht an den Jahreswechsel 1999/2000, an die Sorgen um den Millenium-Bug, die sich bald als unbegründet erwiesen. Oder an die Ausgabe des Euro Anfang 2002, der nach einer kurzen Übergangsfrist "unsere" gemeinsame Währung wurde. Vor einer ähnlichen Zäsur scheinen wir nun wieder bei der anwaltlichen Kommunikation mit den Gerichten zu stehen. 

28. Okt 2021

Mit Beginn des nächsten Jahres haben Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sowie andere „professionelle“ Beteiligte an Gerichtsverfahren nach § 130d S. 1 ZPO – und den Parallelvorschriften für die Fachgerichte – vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen als elektronische Dokumente zu übermitteln. Gemeint ist: ausschließlich als elektronische Dokumente.

Die Rechtslage ist nicht gerade übersichtlich. Wie die Anwaltschaft mit den Gerichten kommuniziert, ist in Gesetzen, Verordnungen und Bekanntmachungen geregelt. Den elektronischen Rechtsverkehr bestimmen die §§ 130a ff. ZPO, die ERVV und die ERVBekanntmachungen. Das ist, auch wenn es an den Vorschriften inhaltlich nichts zu kritisieren gibt, nicht der beste Weg. Hinzu kommt: Es treten noch wichtige Änderungen zum 1.1.2022 in Kraft.

Eine Zäsur findet daher sicher statt. Alle Beteiligten müssen Gewohntes aufgeben, mit Neuem umgehen, aus anwaltlicher Sicht immer mit dem Gedanken an Haftungsrisiken im Hinterkopf. Auch ist die Rechtsprechung zu Fragen des ERV noch im Fluss. Zu sorgenvoll sein müssen die Beteiligten aber nicht. Insbesondere wenn sie besser als bisher miteinander kommunizieren: Über die gesetzlich vorgegebene Hinweis- und Belehrungspflicht in § 130a VI ZPO hinaus ist ein Austausch im Gerichtsverfahren auch dann erforderlich, wenn es zu Störungen noch nicht gekommen ist.

Miteinander sprechen müssen auch die Rechtsanwaltskammern und die örtlichen Anwaltvereine, die Landesverbände des DAV und die Gerichte vor Ort, die Gerichtsverwaltungen, aber auch die Landesjustizministerien. Auf Bundesebene sind DAV und BRAK gesprächsbereit. Das BMJV wird im Blick haben, dass nicht nur die Anwaltschaft bald wissen muss, welche Formatvorgaben nach § 130a II 2 ZPO, § 2 II, V ERVV (in der Fassung des ERV-AusbauG) in der ERVB 2022 gemacht werden.

Und die Gerichte müssen bei Entscheidungen über Fehler im Zusammenhang mit dem ERV in Zukunft stärker berücksichtigen, dass die Anwaltschaft ab Januar einen Kommunikationsweg nutzen muss, um den Gerichten die Digitalisierung der eigenen Arbeit zu ermöglichen. Der Gesetzgeber hat mit §§ 130a VI 2, 130d S. 2 und 3 ZPO deutlich gemacht, dass bei Formfehlern oder bei technischen Störungen eine „Wiedereinsetzung“ unter erleichterten Voraussetzungen möglich ist. Zu strenge Anforderungen für die Ersatzeinreichung verbieten sich daher.

Martin Schafhausen ist Rechtsanwalt und Fachanwalt in Frankfurt a. M. sowie Vizepräsident des DAV.