Ihre Glaubwürdigkeit als Wissenschaftlerin, so die Richter, sei durch diese Verletzung der Grundsätze der guten wissenschaftlichen Praxis verloren und ein Festhalten am Arbeitsverhältnis unzumutbar. Um festzustellen, ob ein verhaltensbedingter Kündigungsgrund vorlag, prüften sie, welche Maßstäbe an die eingereichten Werke anzulegen waren. Ausgangspunkt der Entscheidung ist daher die – in sonstigen Verfahren um Plagiatsvorwürfe in wissenschaftlichen Arbeiten üblicherweise vor den Verwaltungsgerichten verhandelte – Frage, ob es sich bei den Publikationen um „Wissenschaft“ im Sinne des Art. 5 III 3 GG handelt und daher an diese die Grundsätze guter wissenschaftlicher Praxis anzulegen sind. Diese Verfahrenskonstellation führte zu der paradoxen Situation, dass sich die Wissenschaftlerin selbst darauf berief, ihre Werke stellten keine wissenschaftlichen Arbeiten dar, sondern seien lediglich „populärwissenschaftliche Schriften“. Und das, obgleich sie die Werke ursprünglich im Berufungsverfahren eingereicht und darauf verwiesen hatte, dass einer der Titel bereits als eine einer Habilitation gleichwertige Leistung anerkannt worden sei.
Reichweite des Wissenschaftsbegriffs
Das ArbG hatte zur Klärung der Ausgangsfrage also auszuleuchten, wie weit der Wissenschaftsbegriff reicht. Es legte das Grundrecht weit aus: „Dabei ist auch schlechte Wissenschaft geschützt, soweit diese nicht gleichzeitig unter einem Mangel an wissenschaftlicher Redlichkeit leidet.“ Diese Formulierung ist insofern missverständlich, als es ihm gerade um die Klärung der Frage geht, ob die Grundsätze wissenschaftlicher Redlichkeit auf die betreffenden Werke anzuwenden sind. Diese wäre dann gerade nicht Voraussetzung für das Vorliegen von Wissenschaft, sondern die als Kehrseite mit dieser einhergehende Pflicht. Dass das Gericht wissenschaftliche Redlichkeit gerade nicht als Voraussetzung für die Eröffnung des Schutzbereichs der Wissenschaftsfreiheit verstanden wissen will, wird deutlich, wenn es wenig später feststellt, Wissenschaft liege erst dann nicht mehr vor, „wenn das Handeln nicht auf Wahrheitserkenntnis gerichtet ist, sondern vorgefassten Meinungen oder Ergebnissen lediglich den Anschein wissenschaftlicher Gewinnung oder Nachweisbarkeit verleiht“.
Unter den Schutzbereich falle auch die Entscheidung darüber, auf welchem Weg das Werk der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werde, insbesondere in Hinblick auf Sprache und Form. Diese Auslegung entspricht auch der durch die Oberverwaltungsgerichte im Zusammenhang mit der Ausstellung „Körperwelten“ entwickelten Rechtsprechung zu populärwissenschaftlichen Darbietungsformen (vgl. OVG Berlin-Brandenburg BeckRS 2016, 40314 Rn. 30 und BeckRS 2009, 37425 Rn. 17; VGH Mannheim, BeckRS 2006, 20462 Rn. 47; VGH München NJW 2003, 1618 Rn. 28). Den durch die Wahl einer auch auf eine breitere Öffentlichkeit zielende Ansprache entstehenden Abgrenzungsschwierigkeiten begegnet das Gericht so: „Je weniger eine Disziplin über ‚harte‘ Kriterien der Verifikation bzw. Falsifikation von Forschung verfügt, die dann in der Regel auch eine Abgrenzung von Nichtwissenschaft bzw. Fehlverhalten erleichtern, desto breiter wird das Spektrum noch vertretbarer Wissenschaft ausfallen, deren Qualität und Überzeugungskraft sich im fachlichen Diskurs beweisen muss.“
Gerade im Bereich der Politikwissenschaft kann danach auch Populärliteratur Wissenschaft sein, wenn sie „als ernsthafter planmäßiger Versuch zur Ermittlung der Wahrheit anzusehen ist“. Die Grenze ist nach Auffassung des Gerichts allerdings dort zu ziehen, wo keine wissenschaftlichen Erkenntnisziele verfolgt würden oder inhaltliche Mindeststandards an die Rationalität der Begründung von Aussagen nicht erfüllt würden. Diese Grenze sei in diesem Fall jedoch noch nicht überschritten. Den Einwand der Forscherin, sie habe mit ihren populärwissenschaftlichen Schriften gerade keine Wissenschaft betrieben, lässt es zu Recht nicht gelten. Es handele sich um Werke im Kernbereich der wissenschaftlichen Expertise Guérots. Wer die Vorteile einer als wissenschaftliche Leistung anerkannten Publikation in Anspruch nimmt, so die Konsequenz, muss also auch die damit einhergehenden Pflichten beachten. Die „Kehrseite“ der Wissenschaftsfreiheit ist die Redlichkeit. Wer fremde Gedanken als eigene ausgibt, verstößt gegen diesen Grundsatz.
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