Urteilsanalyse
Wirksamkeit freiwilliger Beiträge zur Rentenversicherung – keine Rückwirkung
Urteilsanalyse
Lorem Ipsum
© Stefan Yang / stock.adobe.com

Freiwillige Beiträge sind wirksam, wenn sie bis zum 31.03. des Jahres, das dem Jahr folgt, für das sie gelten sollen, gezahlt werden. Für davorliegende Zeiträume können freiwillige Beiträge nur unter den engen Voraussetzungen des § 197 Abs. 3 SGB VI wirksam entrichtet werden. Dies setzt laut LSG Hessen nicht nur den Nachweis einer „besonderen Härte“ voraus, sondern auch die Feststellung, dass der Versicherte an der rechtzeitigen Beitragszahlung ohne Verschulden gehindert war.

21. Dez 2021

Anmerkung von

Rechtsanwalt Prof. Dr. Hermann Plagemann, Plagemann Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Frankfurt am Main

Aus beck-fachdienst Sozialversicherungsrecht 25/2021 vom 17.12.2021

Diese Urteilsbesprechung ist Teil des zweiwöchentlich erscheinenden Fachdienstes Sozialversicherungsrecht. Neben weiteren ausführlichen Besprechungen der entscheidenden aktuellen Urteile im Sozialversicherungsrecht beinhaltet er ergänzende Leitsatzübersichten und einen Überblick über die relevanten neu erschienenen Aufsätze. Zudem informiert er Sie in einem Nachrichtenblock über die wichtigen Entwicklungen in Gesetzgebung und Praxis des Sozialversicherungsrechts. Weitere Informationen und eine Schnellbestellmöglichkeit finden Sie unter www.beck-online.de


Sachverhalt

Der Versicherte, geboren 1960, ist seit dem 01.03.2002 Mitglied des Versorgungswerks der Steuerberater Hessen. Er wurde in der gesetzlichen Rentenversicherung für Zeiten zwischen 1977 und 1982 nachversichert. 1989 bis 2002 wurden Pflichtbeiträge zur DRV abgeführt. Im Mai 2017 beantragte der Kläger die Zulassung zur Entrichtung freiwilliger Beiträge für die Vergangenheit. Ab 01.08.2021 beabsichtige er, Altersrente für schwerbehinderte Menschen in Anspruch zu nehmen. Zur Erfüllung der Wartezeit benötige er weitere Beitragszeiten. Mit angefochtenem Bescheid vom Mai 2017 lehnte die beklagte DRV Bund die Nachzahlung freiwilliger Beiträge für Zeiträume vor dem 01.01.2016 ab, ebenso durch Widerspruchsbescheid vom März 2019. Zur Begründung der Klage führte der Kläger an, in den Jahren 2014 und 2015 durchgehend aufgrund gesundheitlicher Probleme (Depressionen) gehindert gewesen zu sein, sich um seine persönlichen Angelegenheiten zu kümmern. Bei ihm läge ein Härtefall vor, da er zur Erlangung des ihm zustehenden Altersruhegeldes auf die Beitragszeiten angewiesen sei. Das SG weist die Klage ab. Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers.

Entscheidung

Das LSG weist die zulässige Berufung als unbegründet zurück. Ein Anspruch des Klägers auf Zulassung zur Beitragsnachzahlung nach § 197 Abs. 3 SGB VI besteht nicht. Bei dem Kläger ist schon der Härtefall zweifelhaft. Bei ihm droht nämlich nicht der Verlust einer Anwartschaft, sondern mit Hilfe der Beitragsnachzahlung will er die Anwartschaft überhaupt erst erwerben. Es geht nur um die Altersrente. Die Wartezeit für die Rente wegen Erwerbsminderung ist erfüllt, die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen können durch die Entrichtung freiwilliger Beiträge nicht mehr erreicht werden. Ob es eine besondere Härte darstellt, dass der Kläger nicht wie gewünscht zum 01.08.2021 Altersrente für Schwerbehinderte in Anspruch nehmen kann, sondern erst nach weiteren 71 Monaten, nämlich am 01.07.2027, kann dahinstehen. Denn der Kläger war jedenfalls nicht ohne sein Verschulden gehindert, die Zahlung von freiwilligen Beiträgen so rechtzeitig aufzunehmen, um bereits zum 01.08.2021 Altersrente für schwerbehinderte Menschen in Anspruch nehmen zu können. Dies wäre ihm möglich gewesen, wenn er spätestens für die Zeit ab dem 01.02.2010 mit der Zahlung begonnen hätte. Dass sich der Kläger damals mit der im Verkehr gebotenen Sorgfalt (§ 276 BGB) um seine Beitragsangelegenheit kümmerte, ist nicht ersichtlich geworden. Ein damaliger Kontakt zur Beklagten ist weder dokumentiert noch wird er vom Kläger behauptet.

Praxishinweis

1. Die Nachzahlung freiwilliger Beiträge jenseits der Frist des § 197 Abs. 2 SGB VI kommt nur in ganz seltenen Härtefällen vor. Schon der Härtefall wird von der Rechtsprechung eng ausgelegt. Zwar kann ein Fall besonderer Härte vorliegen, wenn eine Wartezeit nicht erfüllt ist, jedoch durch die Entrichtung freiwilliger Beiträge erfüllt werden könnte. In solchen Fällen wird man in der Regel nicht den Nachweis führen können, an der Beitragszahlung ohne Verschulden gehindert gewesen zu sein (vgl. Scharf, in: Keck/Michaelis, Die Rentenversicherung im SGB, § 197, Anm. 5a und 5b). Die Prüfung des Verschuldens hat subjektiv zu erfolgen, d.h. ggfs. unter Berücksichtigung besonderer Umstände des Einzelfalles, wie z.B. einer Minderbegabung oder einer durchschnittlichen Erkenntnisfähigkeit. Die Versicherten können sich aber nicht zeitlich unbeschränkt auf mangelndes Verschulden berufen. Liegt die Beitragsentrichtungsfrist über ein Jahr zurück, ist nach BSG vom 11.05.2000 (BeckRs 2000, 41119) analog § 27 Abs. 3 SGB X eine Zahlung nur zuzulassen, wenn sie infolge höherer Gewalt unmöglich war.

2. Im vorliegenden Fall hat der Kläger außerdem geltend gemacht, er sei in der Vergangenheit unzureichend beraten worden, so dass er hinsichtlich der versäumten Frist zur Beitragszahlung Wiedereinsetzung erhalten müsse im Wege eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs. Das LSG lehnt dies explizit ab mit der Begründung, dass die Härtefallregelung des § 197 Abs. 3 SGB VI eine Sondervorschrift darstelle, die das allgemeine Rechtsinstitut des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs verdrängt.

3. Das LSG hat die Revision zugelassen. Die Rechtsfrage, ob im Rahmen der nachträglichen Zulassung zur freiwilligen Beitragszahlung das Rechtsinstitut des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs neben der Härtefallregelung des § 197 Abs. 3 SGB VI anwendbar ist, habe  Bedeutung.


LSG Hessen, Urteil vom 04.10.2021 - L 5 R 337/20, BeckRS 2021, 33785