Urteilsanalyse
Wirksamkeit einer Ersatzeinreichung
Urteilsanalyse
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Der Prozessbevollmächtigte, der aus technischen Gründen gehindert ist, einen fristwahrenden Schriftsatz elektronisch einzureichen, ist - so der BGH -, nachdem er die zulässige Ersatzeinreichung veranlasst hat, nicht mehr gehalten, sich vor Fristablauf weiter um eine elektronische Übermittlung zu bemühen.

2. Aug 2023

Anmerkung von
Rechtsanwalt beim BGH Dr. Guido Toussaint, Toussaint & Schmitt, Karlsruhe

Aus beck-fachdienst Zivilverfahrensrecht 15/2023 vom 28.07.2023

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Sachverhalt

In einem Revisionsverfahren hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers und Revisionsklägers die Revisionsbegründung innerhalb der verlängerten Revisionsbegründungsfrist dem BGH nicht wie gesetzlich gefordert als elektronisches Dokument übermittelt, sondern nach den allgemeinen Vorschriften (§§ 129 ff. ZPO) in Schriftform. Hierzu hat er unter Glaubhaftmachung iSd § 294 ZPO dargelegt, dass aufgrund einer Störung das beA-System den Anwendern nicht zur Verfügung gestanden habe, so dass der Zugriff auf beA-Dienste, insbesondere das Postfach, nicht möglich gewesen sei. Weiter hat er erklärt, er habe danach bis zum Büroschluss die Funktionsfähigkeit des beA weiterhin überprüft.

Entscheidung: Revisionsbegründung war formgerecht

Der BGH hat die Revision für zulässig gehalten und in der Sache zugunsten des Revisionsklägers entschieden. Dieser habe die Revision innerhalb der verlängerten Frist formgerecht begründet. Zwar habe er die nach § 130d S. 1 ZPO gesetzlich vorgeschriebene elektronische Form nicht eingehalten, doch seien die Voraussetzungen für eine Ersatzeinreichung gemäß § 130d S. 2, 3 ZPO erfüllt. Eine Störung des beA führe grundsätzlich zu einer vorübergehenden technischen Unmöglichkeit iSd § 130d S. 2 ZPO. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers habe die vorübergehende Unmöglichkeit der Übermittlung der Revisionsbegründung als elektronisches Dokument aus technischen Gründen mit der Ersatzeinreichung auch, wie von § 130d S. 3 Hs. 1 ZPO verlangt, bei der Ersatzeinreichung ausreichend glaubhaft gemacht. Dass er seine weitere Erklärung, er habe danach bis zum Büroschluss die Funktionsfähigkeit des beA weiterhin überprüft, nicht glaubhaft gemacht habe, sei unschädlich. § 130d S. 2 ZPO stelle auf die vorübergehende technische Unmöglichkeit im Zeitpunkt der beabsichtigten Übermittlung des elektronisch einzureichenden Dokuments ab. Nur diese müsse glaubhaft gemacht werden. Der Prozessbevollmächtigte, der aus technischen Gründen gehindert sei, einen fristwahrenden Schriftsatz elektronisch einzureichen, sei, nachdem er die zulässige Ersatzeinreichung veranlasst habe, nicht mehr gehalten, sich vor Fristablauf weiter um eine elektronische Übermittlung zu bemühen. Ein elektronisches Dokument sei nach § 130d S. 3 Halbsatz 2 ZPO bei ausreichender Ersatzeinreichung zusätzlich nur auf gerichtliche Anforderung nachzureichen.

Praxishinweis

Die Entscheidung ist von herausragender praktischer Bedeutung. Denn bisher war unklar, wie lange der Rechtsanwalt, der sich mit einer technischen Störung bei der elektronischen Übermittlung von Schriftsätzen konfrontiert sieht, eine solche Übermittlung versuchen muss. Grundsätzlich verweist der BGH für den elektronischen Rechtsverkehr auf die von der Rechtsprechung für die Fax-Übermittlung entwickelten Grundsätze. Versandte der Rechtsanwalt am Tag des Fristablaufs einen Schriftsatz per Telefax, durfte er hiernach bei Störungen „nicht vorzeitig“ aufgeben. Dies auf den elektronischen Rechtsverkehr zu übertragen, würde die Frage aufwerfen, wie lange bei Auftreten einer Störung des beA-Systems ungewisser Dauer eine Übermittlung versucht werden muss (bis Büroschluss?, bis Mitternacht?).

Indessen unterscheiden sich Faxversendung und elektronischer Rechtsverkehr in einem Punkt grundlegend: Während es für ein „Mitternachtsfax“ regelmäßig keine fristwahrende Alternative gibt, kennt der elektronische Rechtsverkehr die Ersatzeinreichung auf konventionellem Weg. Der BGH rückt in den Vordergrund den – zweifelsfreien – Umstand, dass eine nach Maßgabe des § 130d S. 2 ZPO zulässige Ersatzeinreichung die prozessualen Formvorschriften und damit auch eine einzuhaltende Frist wahrt, so dass keine – erneute – Einreichung auf elektronischem Wege (sondern nur – aber dies auch nur auf gerichtliche Anforderung und auch außerhalb der Frist – eine Nachreichung nach § 130d S. 3 Hs. 2 ZPO für die elektronische Aktenführung) erforderlich ist.

Der BGH hat zwar nicht ausdrücklich ausgesprochen, doch ist dies zwingend hieraus abzuleiten, dass es für die Zulässigkeit der Ersatzeinreichung allein auf den Zeitpunkt ankommt, in dem der Rechtsanwalt die Einreichung vornehmen will. Mit anderen Worten: Liegt im Zeitpunkt der beabsichtigten Einreichung eine technische Störung vor, kann der Rechtsanwalt auf die Ersatzeinreichung ausweichen und muss keine weiteren elektronischen Übermittlungsversuche mehr unternehmen. Dies darf aber selbstverständlich nicht als „Freibrief“ verstanden werden, denn die Wirksamkeit der Ersatzeinreichung ist daran geknüpft, dass tatsächlich eine Übermittlung iSd § 130d S. 2 ZPO „aus technischen Gründen vorübergehend“ nicht möglich ist, und dass dies iSd. §§ 130d S. 3 Hs. 1, 294 ZPO hinreichend glaubhaft gemacht wird (und zwar – was wiederum andere Probleme aufwirft, vgl. BGH NJW 2023, 456 m. abl. Anm Toussaint EWiR 2023, 221 – „bei der Ersatzeinreichung oder unmittelbar danach“). Da sich hieraus Risiken ergeben, wird der Rechtsanwalt gut daran tun, bei Feststellung einer Störung noch den einen oder anderen Versuch zu unternehmen, muss dies aber jedenfalls nicht über den Büroschluss hinaus tun.

BGH, Urteil vom 25.05.2023 - V ZR 134/22 (OLG Celle), BeckRS 2023, 17368