Rechtsanwalt Joachim Zobel, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Schultze & Braun GmbH Rechtsanwaltsgesellschaft
Aus beck-fachdienst Insolvenzrecht 04/2023 vom 03.03.2023
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Sachverhalt
Die Beteiligten streiten um einen Anspruch des Klägers auf Insolvenzgeld (InsG). Strittig war dabei die Wirksamkeit des zwischen ihm und dem insolvenzbedrohten Betrieb abgeschlossenen Arbeitsvertrags. Im streitgegenständlichen Zeitraum war der Kläger selbstständig als auf den Bereich „Turnaround - Management“ spezialisierter Unternehmensberater tätig. Darunter werden Maßnahmen zur Abwendung einer Insolvenz in insolvenzbedrohten Betrieben verstanden.
Bereits in den Jahren 2013 und 2014 war der Kläger bei den zwei anderen insolvenzbedrohten Betrieben als Arbeitnehmer tätig und erhielt in beiden Fällen das InsG.
Am 14.9.2014 schloss er mit der Firma H einen Anstellungsvertrag für leitende Angestellte. Bereits am 28.4.2014 beantragte die DRV die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des AG, das mit Beschl. v. 1.1.2015 eröffnet wurde. Mit Wirkung zum 31.12.2014 kündigte der AG das zwischen ihm und dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis. Am 15.1.2015 beantragte der Kläger die Gewährung von InsG. Ab 14.12.2014 war er zusätzlich bei der Firma S. beschäftigt. Auch dort beantragte der Kläger das InsG. Der Antrag wurde abgelehnt.
Mit Bescheid vom 15.6.2015 lehnte die Beklagte die Gewährung von InsG ab und verneinte die Arbeitnehmereigenschaft des Klägers. Der hiergegen gerichtete Widerspruch des Klägers blieb ohne Erfolg. Seine gegen den ablehnenden Widerspruchsbescheid gerichtete Klage wies das SG ab. Gegen das Urteil legte der Kläger Berufung ein.
Entscheidung
Die Berufung sei unbegründet.
Entgegen der Auffassung der Beklagten sei der Anspruch des Klägers auf InsG nicht gem. § 166 Abs. 1 Nr. 2 SGB III ausgeschlossen. Der Abschluss des Arbeitsvertrages sei von dem Insolvenzverwalter nicht angefochten worden. Eine hypothetische Anfechtbarkeit reiche im eröffneten Insolvenzverfahren nicht aus. In diesem Fall bestehe ein Leistungsausschluss nur bei tatsächlicher Anfechtung des entsprechenden Rechtsgeschäfts.
Der Arbeitsvertrag sei jedoch gem. § 138 BGB nichtig. Nach der Rspr. des BSG sei ein Rechtsgeschäft dann unwirksam, wenn den Beteiligten bei Abschluss bewusst sei, dass eine vereinbarte Leistung nicht durch den Schuldner finanziert werden kann und deshalb ein Sozialleistungsträger wirtschaftlich mit den entsprechenden Kosten belastet wird.
Aufgrund der Gesamtumstände habe sich der Senat die Überzeugung gebildet, dass der streitgegenständliche Arbeitsvertrag in dem Bewusstsein abgeschlossen worden sei, dass der AG die Gehaltszahlungsverpflichtungen aus diesem Arbeitsvertrag aufgrund der drohenden Insolvenz nicht erfüllen könne und der Arbeitsvertrag nur abgeschlossen worden sei, um die Vergütung des der umlagefinanzierten Insolvenzgeldversicherung aufzubürden.
Dafür spreche, dass es sich bei dem Arbeitsvertrag nicht um einen Einzelfall handele. Der Kläger habe in den Jahren 2013 bis 2014 mindestens fünfmal mit insolvenzbedrohten Betrieben einen Arbeitsvertrag geschlossen.
Des Weiteren habe der Kläger die Restrukturierung des AG unterstützt und sei auch der Ansprechpartner für den Insolvenzverwalter gewesen. Es sei davon auszugehen, dass er um die schwierige wirtschaftliche Situation des AG wusste.
Dies spreche dafür, dass es das Geschäftsmodell des Klägers gewesen sei, von Insolvenz bedrohten Betrieben seine Arbeitskraft als Arbeitnehmer anzubieten und die Finanzierung seiner Tätigkeit auf die Sozialversicherung zu verlagern.
Praxishinweis
Nach § 165 Abs. 1 SGB III haben AN Anspruch auf InsG; der Begriff „Arbeitnehmer“ ist in den §§ 165 ff. SGB III nicht abschließend geregelt (vgl. Fachliche Weisung Insolvenzgeld 165.5). Die urspr. Beurteilung der Arbeitnehmereigenschaft anhand der zu §§ 24, 25 SGB III entwickelten Grundsätzen zum Beschäftigungsverhältnis wurde durch das BSG aufgegeben (vgl. BSG, Urteil vom 3.11.2021 – B 11 AL 4/20 R). Das BSG versteht den insolvenzrechtlichen Arbeitnehmerbegriff nunmehr rein arbeitsrechtlich.
Die AfA hat vormals nur AN mit sog. Schlüsselfunktion bei Neueinstellung einen Anspruch auf InsG zugebilligt. Darüber hinaus wurde der Anspruch verneint, da bei Vertragsschluss bereits feststand, dass das Arbeitsentgelt nicht durch den Arbeitgeber gezahlt wird und damit eine Belastung der Versichertengemeinschaft gegeben wäre (so noch DA 2015, § 165, 2.2 (14)).
Diese Sichtweise hat die AfA aufgegeben: AN, die nach Stellung des Insolvenzantrags eingestellt werden, haben grds. einen Anspruch auf InsG (FW 165.6). Bei der Erbringung und Entgegennahme der Arbeitsleistung liegt keine „Sittenwidrigkeit“ vor, insbesondere wenn die Neueinstellung der Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs, der Abarbeitung von Aufträgen/Projekten, der Unterstützung der Sanierung, der allgemeinen Unterstützung der Ziele der Insolvenzordnung dient oder für Abwicklungsarbeiten notwendig ist.
Die AfA behält sich „im Interesse der Umlagezahler“ vor, bei Neueinstellungen die Sittenwidrigkeit zu prüfen (Zustimmungsvorbehalt, FW 165.7).
Es bleibt somit eine frühzeitige am Einzelfall orientierte Betrachtung und Prüfung der jeweiligen Neueinstellung erforderlich. Mit der AfA sollte transparent und zeitnah – gerade in den Fällen der Insolvenzgeldvorfinanzierung – der Insolvenzgeldanspruch bei Neueinstellungen und ein praktikables „Meldesystem“ abgestimmt werden.
LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 17.06.2022 - L 3 AL 24/20 (SG Itzehoe), BeckRS 2022, 28592