Kolumne
Wiedergänger Wahlperiode
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© Nicola Quarz
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Erneut wird vorgeschlagen, die Wahlperiode auch im Bund auf fünf Jahre zu verlängern. Dass ein so tiefgehender Eingriff in das Wahlrecht als Kernelement der parlamentarischen Demokratie für deren Funktionsfähigkeit erforderlich oder auch nur sachgerecht ist, ist bisher nicht überzeugend dargelegt.

22. Dez 2022

„Nach der Wahl ist vor der Wahl“ – die leicht abgewandelte Erkenntnis aus der Welt des Fußballs gilt auch und gerade für die Wahlen zum Deutschen Bundestag. Nahezu sechs Monate waren seit der Wahl zum 19. Deutschen Bundestag verstrichen, bis es nach quälend langwierigen Koalitionsverhandlungen zur Regierungsbildung kam. Erstaunt stellte man fest, dass dann gerade drei Jahre für ungestörte Regierungsarbeit verblieben, ehe die Parteien erneut in den Wahlkampfmodus eintreten würden. In bemerkenswerter parteiübergreifender Einigkeit, wie sonst vor allem in Fragen der Parteienfinanzierung, wurde in der Konsequenz eine Verlängerung der Legislaturperiode von vier auf fünf Jahre erwogen. Sie wird auch jetzt – wenig überraschend – von der Kommission zur Reform des Wahlrechts und zur Modernisierung der Parlamentsarbeit befürwortet, anders als eine Amtszeitbegrenzung für Regierungsmitglieder oder gar eine Begrenzung von ­Mandatszeiten. Auch dies überrascht nicht. Die Argumente sind vertraut. Eine Verlängerung der Legislaturperiode würde, so die Befürworter, den Zeitraum für die parlamentarische Sacharbeit des Bundestages verlängern und die Effektivität der Aufgabenerfüllung damit stärken.

Dass damit die Wahlberechtigten jeweils erst nach fünf statt nach vier Jahren von ihrem demokratischen Grundrecht Gebrauch machen könnten, wird wohl gesehen, aber nicht als relevanter Nachteil gewertet. Immerhin, so eine Sachverständigenäußerung in der erwähnten Kommission, dürften die Wahlberechtigten dann einen Bundestag für fünf und nicht nur wie bisher für vier Jahre wählen, hätte ihre Wahl­entscheidung also entsprechend mehr Gewicht. Diese Argumentation eines „weniger ist mehr“ verkennt die Funktion der Wahlen zum Parlament. Sie müssen periodisch wiederkehrend stattfinden, „um dem Volk, von dem alle Staatsgewalt ausgeht, die Möglichkeit zu geben, seinen Willen kund zu tun“ (BVerfG NJW 1966, 1499 [1506]). Diese Möglichkeit würde beschnitten, sollten Wahlen zum Bundestag nur noch alle fünf Jahre stattfinden.

Nicht zu überzeugen vermag auch der stete Hinweis auf die Rechtslage in den Ländern, wo lediglich Bremen bei der vierjährigen Wahlperiode geblieben ist. Eine Verlängerung wurde dort durch Volksentscheid abgelehnt – der Bundestag würde demgegenüber in eigener Sache entscheiden. Weniger Wahlen bedeuten weniger ­Demokratie, zumal wenn dem Volk als Träger der Staatsgewalt deren Ausübung durch Abstimmungen weiterhin verwehrt bleiben sollte – im Unterschied zu den Ländern, wo das Volk auch zwischen Wahlen die Möglichkeit hat, „seinen Willen kund zu tun“. Dass die Festlegung des Art. 39 I GG auf eine vierjährige Legislaturperiode die Stabilität der ­Demokratie in mehr als 70 Jahren in irgendeiner Weise gefährdet hätte, ist nicht ersichtlich. Dafür, dass ein so tiefgehender Eingriff in das Wahlrecht als Kernelement der parlamentarischen Demokratie für deren Funktionsfähigkeit erforderlich oder auch nur sachgerecht ist, ist darlegungspflichtig, wer die Veränderung will.

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Prof. Dr. Christoph Degenhart ist Professor für Staats- und Verfassungsrecht sowie ​Medienrecht an der Universität Leipzig.