Urteilsanalyse
Wiedereinstellung in der Insolvenz
Urteilsanalyse
urteil_lupe
© Stefan Yang / stock.adobe.com
urteil_lupe

In der Insolvenz besteht - so das Bundesarbeitsgericht - kein Wiedereinstellungsanspruch.

15. Sep 2022

Rechtsanwalt Joachim Zobel, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Schultze & Braun GmbH Rechtsanwaltsgesellschaft

Aus beck-fachdienst Insolvenzrecht 19/2022 vom 15.09.2022

Diese Urteilsbesprechung ist Teil des zweiwöchentlich erscheinenden Fachdienstes Miet- und Wohnungseigentumsrecht. Neben weiteren ausführlichen Besprechungen der entscheidenden aktuellen Urteile im Miet- und Wohnungseigentumsrecht beinhaltet er ergänzende Leitsatzübersichten und einen Überblick über die relevanten neu erschienenen Aufsätze. Zudem informiert er Sie in einem Nachrichtenblock über die wichtigen Entwicklungen in Gesetzgebung und Praxis. Weitere Informationen und eine Schnellbestellmöglichkeit finden Sie unter www.beck-online.de

Sachverhalt

Die Parteien streiten im Rahmen eines Zwischenstreits darüber, ob der Kläger den wegen Insolvenz unterbrochenen Rechtsstreit über die Wirksamkeit einer Kündigung und das Bestehen eines Wiedereinstellungsanspruchs wirksam aufgenommen hat.

Die M GmbH kündigte das Arbeitsverhältnis des Kl. mit Schreiben v. 18.12.2018 zum 31.7.2019 wg. Betriebsstillegung. Während der Kündigungsfrist wurde ein Betriebsübergang von der M GmbH auf die T GmbH (spätere Schuldnerin) beschlossen und zum 1.8.2019 vollzogen.

Der Kl. erhob am 25.7.2019 Klage auf Wiedereinstellung gegen die Schuldnerin, die am 26.8.2019 vorsorgl. ein etwaig bestehendes Arbeitsverhältnis zum 31.3.2020 kündigte. Dagegen erhob der Kl. fristgerecht Kündigungsschutzklage.

Das ArbG verurteilte die Schuldnerin antragsgemäß, das Angebot des Kl. auf Abschluss eines ab dem 1.8.2019 gültigen Arbeitsvertrag zu den bis zum 31.7.2019 bestehenden Bedingungen des Arbeitsverhältnisses mit der M GmbH anzunehmen und stellte fest, dass ein etwaig damit begründetes Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 26.8.2019 nicht aufgelöst werde. Dagegen legte die Schuldnerin am 1.2.2020 Berufung ein.

Am 2.3.2020 wurde der Bekl. zum Insolvenzverwalter („IV“) bestellt. Das LAG teilte den Parteien mit Beschluss v. 6.3.2020 mit, das Verfahren sei deshalb gemäß § 240 ZPO unterbrochen. Der Kl. nahm das Verfahren gegenüber dem Bekl. mit Schriftsatz v. 29.6.2020 wieder auf.

Das LAG erkannte durch Zwischenurteil, dass das Verfahren weiterhin nach § 240 ZPO unterbrochen ist. Mit der vom LAG zugelassenen Revision begehrt der Kl. die Aufhebung dieses Zwischenurteils.

Entscheidung

Auf die Revision des Kl. wird das Zwischenurteil des LAG aufgehoben, da das Verfahren nicht unterbrochen sei.

Die Revision gegen das nach § 280 Abs. 2 ZPO wie ein Endurteil selbständig anfechtbare Zwischenurteil des LAG sei begründet, da der Kl. das Verfahren mit Schriftsatz vom 29.6.2020 nicht nur bezüglich der Kündigungsschutzklage gem. § 86 Abs. 1 Nr. 3 InsO, sondern auch bezüglich der begehrten Wiedereinstellung wirksam aufgenommen habe.

Das LAG habe zurecht angenommen, dass der Rechtsstreit auch bzgl. des Wiedereinstellungsanspruchs nach § 240 S. 1 ZPO unterbrochen worden sei, da es dafür genüge, dass die im Wege der objektiven Klagehäufung verfolgte Kündigungsschutzklage den erforderl. Massebezug aufweise.

Mit seiner Erklärung v. 29.6.2020 habe der Kl. das Kündigungsschutzverfahren gem. § 86 Abs. 1 Nr. 3 InsO wirksam aufgenommen, da es dafür genüge, dass bei Obsiegen des Kündigungsschutzantrags Masseverbindlichkeiten entstehen können. Eine andere Entscheidung ergebe sich dann, wenn es bei der Kündigungsschutzklage wirtschaftl. nur noch um die Sicherung von Entgeltansprüchen ginge, wodurch sich die Aufnahme ausnahmsweise nach § 87 InsO richte.

Diese Aufnahme habe zugleich die Beendigung der Unterbrechung bzgl. des Wiedereinstellungsanspruchs zur Folge.

Ein bereits begründeter Anspruch auf Wiedereinstellung erlösche mit Insolvenzeröffnung, so dass daraus keine Masseverbindlichkeit mehr entstehen könne. Im Falle eines isolierten Rechtsstreits nur bzgl. des erloschenen Wiedereinstellungsanspruchs werde der Rechtsstreit schon nicht nach § 240 ZPO unterbrochen, da dessen Zweck nicht erfüllt sei. Der Schuldner könnte nicht mehr massewirksam über das erloschene Rechtsverhältnis verfügen und der IV benötige keine Einarbeitungszeit, sodass der Prozess „nahtlos“ mit ihm weitergeführt werden könne.

In der Rechtsprechung des BAG sei u.a. ein Wiedereinstellungsanspruch bei fehlerhafter Prognose über den Wegfall des Beschäftigungsbedarfs bei betriebsbedingten Kündigungen entwickelt worden. Auch in dem Fall, dass der Betriebsübergang schon während des Laufs der Kündigungsfrist „beschlossen“, aber noch nicht vollzogen sei, treffe den Arbeitgeber die vertragliche Nebenpflicht iSv § 241 Abs. 2, 242 BGB, den Arbeitnehmer wiedereinzustellen, wenn er noch keine Dispositionen getroffen hat und ihm die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zuzumuten ist. Der Wiedereinstellungsanspruch begründe einen Kontrahierungszwang, der bei Obsiegen des Arbeitnehmers in einem Rechtsstreit dadurch umgesetzt werde, dass die Annahmeerklärung des Beklagten gerichtet auf Abschluss eines Arbeitsvertrags nach § 894 S. 1 ZPO als abgegeben gelte.

Da die Insolvenzordnung keinen Kontrahierungszwang für den Verwalter zur Begründung von Rechtsverhältnissen vorsehe, bestehe in der Insolvenz aber kein Wiedereinstellungsanspruch.

Der Verwalter sei über § 108 Abs. 1 InsO nur an bestimmte, bereits vom Schuldner begründete Rechtsverhältnisse gebunden, die er wirksam kündigen müsse, wenn er die Masse von den damit verbundenen Verbindlichkeiten befreien wolle. Das Oktroyieren von Arbeitsverhältnissen und den daraus resultierenden Masseverbindlichkeiten über die Verpflichtungen aus § 108 Abs. 1 InsO hinaus (d.h. die Neubegründung wirksam gekündigter Arbeitsverhältnisse) widerspreche der Systematik der Insolvenzordnung; dies könne nur der Gesetzgeber und nicht die Rechtsprechung anordnen.

Dies gelte in allen denkbaren Fallkonstellationen und unabhängig davon, ob der Betriebsübergang vor oder nach Ablauf der Kündigungsfrist erfolgt.

Dies betreffe sowohl den Fall einer wirksamen Kündigung des IV in der Insolvenz des Betriebsveräußerers, als auch die wirksame Kündigung durch den später insolventen Schuldner als Veräußerer, sowie die hier vorliegende Konstellation der wirksamen Kündigung des Veräußerers bei späterer Insolvenz des Erwerbers.

Anderenfalls würde der IV bei Bestehen eines Wiedereinstellungsanspruchs gezwungen, zunächst das Angebot des Arbeitnehmers in seiner Eigenschaft als Rechtsnachfolger des zur Wiedereinstellung verpflichteten Schuldners anzunehmen, wodurch rückwirkend über die Fiktion des § 894 S. 1 ZPO iVm. § 311a BGB ein Arbeitsverhältnis auf einen Zeitpunkt vor Eröffnung des Verfahrens fingiert würde, das dem Verwalter über § 108 Abs. 1 InsO oktroyiert würde.

Ein Wille, dem Kontinuitätsinteresse der Arbeitnehmer vor dem Interesse der Masse und damit der Gesamtheit der Gläubiger derart Vorrang einzuräumen, könne § 108 Abs. 1 InsO nicht entnommen werden.

Das insolvenzrechtliche Verständnis stünde auch im Einklang mit der Betriebsübergangsrichtlinie 2001/23/EG, da gem. Art. 3 Abs. 1 nur die Ansprüche der Arbeitnehmer aus dem bestehenden Arbeitsverhältnis geschützt werden. Damit trage in der Insolvenz nicht die Masse, sondern der Arbeitnehmer das Risiko einer fehlerhaften Prognose des Kündigenden über den Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses zum Zeitpunkt des Ablaufs der Kündigungsfrist.

Praxishinweis

Klageverfahren, die die Insolvenzmasse betreffen (§§ 35, 36), sind ab Verfahrenseröffnung unterbrochen (§ 240 ZPO), bis die Aufnahme nach den Vorschriften der Insolvenzordnung erfolgt (§ 85 InsO – Aktivprozesse, § 86 InsO - bestimmte Passivprozesse, § 87 InsO – Durchsetzung einfacher Insolvenzforderungen).

Der Schuldner bleibt im Regelinsolvenzverfahren auch nach Verfahrenseröffnung Arbeitgeber, er verliert aber die Arbeitgeberfunktion (§ 80 Abs. 1 InsO). Der IV übernimmt als „Partei Kraft Amtes“ die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis, wird jedoch nicht Vertragspartei (Uhlenbruck/Mock § 80 InsO Rn. 23; LAG Hamm 16 Sa 143/21 Rn. 60).

Unterbrochene Kündigungsschutzverfahren können, wenn als Folgeansprüche auch Masseverbindlichkeiten in Betracht kommen, gem. § 86 Abs. 1 Nr. 3 InsO gegen den IV aufgenommen werden. Der Massebezug ist hier weit zu verstehen; die Unterbrechung erfolgt bereits bei mittelbarem Massebezug und bzgl. aller im Rechtstreit verfolgter Streitgegenstände. Dabei ist nicht das „Arbeitsverhältnis“ Anknüpfungspunkt für die Einordnung , sondern die daraus entstehenden Ansprüche („Masseverbindlichkeit“ oder „Insolvenzforderung“). Der als Korrektiv zur Prognoseentscheidung bei Kündigungsausspruch entwickelte Wiedereinstellungsanspruch (dh. Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch wirksame Kündigung und Verpflichtung des Arbeitgebers zur „Wiedereinstellung zu unveränderten Bedingungen“) begründet einen Kontrahierungszwang, den die Insolvenzordnung im Verhältnis zum IV nicht vorsieht.

Der IV ist über § 108 InsO nur an „begründete und noch bestehende“ Arbeitsverhältnisse gebunden. Die Erfüllung vertragl. Nebenpflichten des Schuldners als „Wiedereinstellungsanspruch“ kann nach wirksamer Kündigung gegen den IV in keiner Kündigungs- bzw. Betriebsübergangsgestaltung geltend gemacht werden. Im Verhältnis zum IV besteht kein Wiedereinstellungsanspruch. Ein bereits gegen den Schuldner begründeter Wiedereinstellungsanspruch erlischt mit Insolvenzeröffnung und hat damit keinen Massebezug.

Der (vorl.) IV sollte somit frühzeitig und sorgfältig Streitgegenstand und Massebezug bei anhängigen Klageverfahren prüfen, da nicht zwingend „Verfahrenseröffnung = Verfahrensunterbrechung“ gelten muss. Arbeitsrechtl. Ansprüche richten sich auch nicht automatisch gegen den IV, da er nicht „Arbeitgeber“ ist und insbes. nicht die höchstpersönliche Pflicht des Schuldners zu erfüllen hat.

Aufgrund der Regelung des § 86 Abs. 2 InsO (Sofortiges Anerkenntnis des Verwalters) bzgl. der Kostentragungspflicht, besteht für den IV die Notwendigkeit, Klagegrund und Erfolgsaussichten genau zu prüfen , um ggf. Prozesskosten als Masseverbindlichkeiten zu vermeiden (und Haftungsansprüche aus § 60 InsO).


BAG, Urteil vom 25.05.2022 - 6 AZR 224/21 (LAG Hamm), BeckRS 2022, 16409