Das Buch war noch keine zehn Tage auf dem Markt, da hatte schon ein plagiatskundiger Leser das erste Dutzend nicht belegter Übernahmen identifiziert und öffentlich zur Diskussion gestellt. Laufend kommen weitere dazu (https://plagiatsgutachten.com). Die beanstandeten Passagen sind überwiegend kurz und haben unterschiedliche Qualität, die Quellen reichen vom Online-Lexikon über Interviewtexte bis zu Essays in politischen Magazinen. Die Autorin, ihre Partei, der Verlag und der sogleich beauftragte Anwalt bestreiten pflichtschuldig einstimmig jegliche Urheberrechtsverletzung – souverän ignorierend, dass auch unterhalb der urheberrechtlichen Schöpfungshöhe der Vorwurf des Plagiats im Raum steht. Mittlerweile mehren sich indes die Stimmen, die durchaus urheberrechtliche Probleme sehen. Über rein deskriptive Abschnitte wird man hinwegsehen können – und Übernahmen aus der Wikipedia gehören heute zum guten Ton der eiligen Textproduktion, auch und gerade wenn sie unausgewiesen bleiben. Was der gesamten Schüler- und Studentenschaft (und der halben Lehrer- und Professorenschaft) recht ist, sollte der Kanzlerkandidatin billig sein dürfen. Gewiss sind an ein Sachbuch nicht die strengen Maßstäbe für Zitatkennzeichnung und präzise Quellenangaben anzulegen, die für eine wissenschaftliche (Qualifikations-)Arbeit gelten. Wer aber von einem Politikwissenschaftler Beschreibung und Analyse politischer Entwicklungen nahezu wörtlich übernimmt, sollte Vorsicht walten lassen.
Doch selbst wenn man die Erwartungen niedrig ansetzt, bleibt ein Nachgeschmack. Ein Text, der als Referat in der gymnasialen Oberstufe nicht durchginge, ist schwerlich geeignet, den Eindruck von Akribie und Professionalität zu erwecken, den man als Bewerberin um ein Wahlamt gern vermitteln möchte. Aus solchem Anlass werden Plagiatsfragen in Blogs und Kommentarspalten diskutiert – dass aber außer Politikern womöglich auch Wissenschaftler plagiieren, kommt wenig zur Sprache. Gerade für juristische Texte wäre Diskussionsbedarf: Wie sehr darf ein Lehrbuch-, Handbuch-, Kommentarverfasser vom anderen abschreiben? Derlei Fragen werden gelegentlich in Rezensionen aufgeworfen und gehen dann leicht einmal vor Gericht. Fachöffentlich erörtert werden sie kaum. Schade.