NJW: Wenn Sie ihre aktuelle Forschung betrachten, was sind gerade die wichtigsten Themen im Zusammenhang mit der Kanzlei als Unternehmen?
Kilian: Aufgrund der starken Segmentierung des Marktes ist es schwierig, hier eine allgemeingültige Aussage zu treffen. Eine Herausforderung ist ohne Frage das Thema demographischer Wandel – insgesamt weniger, dafür aber anteilig immer mehr weibliche Absolventen, eine immer größere Zahl aus dem aktiven Berufsleben ausscheidender, vor allem männlicher Berufsträger bleiben nicht ohne Folgen für Themen wie Personalgewinnung, Karrierewege oder Kanzleinachfolge, aber auch für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Ein wichtiges Thema ist naturgemäß auch Legal Tech.
NJW: Inwiefern haben sich die unternehmerischen Herausforderungen für Anwälte durch die Corona-Pandemie verändert?
Kilian: Prognosen, ob es zu langfristigen Änderungen kommen wird, sind zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch schwierig. Spannend wird sein, wie der erzwungene Verzicht auf unmittelbare persönliche Interaktion erfahren worden ist. Empfinden es Mandanten als angenehm, ihre Rechtsprobleme vom häuslichen Sofa aus per Zoom mit ihrem Anwalt zu besprechen? Oder fehlt ihnen das professionelle Setting eines Gesprächs in der Kanzlei? Eine kanzleiinterne Herausforderung, die ich erwarte, ist das Thema Homeoffice für nicht-anwaltliche Mitarbeiter: Eine unserer Studien aus Zeiten vor der CoronaPandemie hat ein relativ großes Bedürfnis ergeben. Wenn dies im Krisenmodus gut funktioniert hat, wird es für die Chefs nicht leicht, zu erklären, warum das im Normalbetrieb nicht auch möglich sein soll.
NJW: Bietet das Berufsrecht aus Ihrer Sicht einen guten Rahmen, damit Anwälte erfolgreich unternehmerisch tätig sein können?
Kilian: Wenn man einzelne Vorschriften des Berufsrechts in den Blick nimmt, so gibt die „Flucht“ mancher Rechtsanwälte, die hinter erfolgreichen Legal-TechPlattormen stehen, aus der anwaltlichen in die gewerbliche Rechtsdienstleistung Anhaltspunkte: Das Fremdbesitzverbot, die bislang noch beschränkten Möglichkeiten interprofessioneller Berufsausübung, das Verbot von Erfolgshonoraren, das Provisionsverbot, wohl auch das berufsspezifische Werberecht sind offenbar als Hemmnisse wahrgenommen worden und haben dazu geführt, dass man neuartige Rechtsdienstleistungskonzepte außerhalb der Anwaltschaft etabliert. Insbesondere in größeren Kanzleien kommt es zudem immer wieder zu Problemen mit dem Ansatz des deutschen Berufsrechts, Interessenkonflikte zu adressieren. Freilich muss man bei jedem einzelnen „Hemmnis“ schauen, ob es nicht aus immer noch gutem Grund existiert.
NJW: Zu einzelnen Regelungen: Sie haben die Erfolgshonorare angesprochen. Sollte das Verbot für Anwälte gelockert werden?
Kilian: Meine allererste wissenschaftliche Veröffentlichung noch in einem anderen Jahrtausend war ein Aufsatz zum Verbot des anwaltlichen Erfolgshonorars. Die Gründe, die traditionell zu seiner Rechtfertigung vorgebracht werden, habe ich bereits damals als nicht überzeugend kritisiert. Daran hat sich nichts geändert – auch wenn die vom BVerfG 2006 erzwungene teilweise Lockerung des Verbots bereits de lege lata wesentlich mehr zulässt, als gemeinhin wahrgenommen wird. Wichtiger als die Diskussion über die Lockerung des Verbots für Anwälte scheint mir aber das Thema Kohärenz zu sein: Es kann meines Erachtens nicht sein, dass auf dem vom BGH 2019 weit geöffneten Rechtsdienstleistungsmarkt identische Leistungen von einer Gruppe in beliebig vergüteter Art und Weise angeboten werden dürfen, von einer anderen Gruppe – den Anwälten – hingegen nur unter Beachtung strikter inhaltlicher und formaler Vorgaben an die Vergütung. Diesen Widerspruch muss der Gesetzgeber auch mit Blick auf zahlreiche andere Berufsausübungsregeln auflösen, bevor der erste irritierte Anwalt das Bundesverfassungsgericht um Erklärung bittet.
NJW: Was halten Sie von einer Lockerung des Fremdbesitzverbots?
Kilian: Hier gilt letztlich dasselbe wie beim Erfolgshonorar: Rechtsdienstleistungsrecht und Berufsrecht sind in gewisser Weise kommunizierende Röhren. Wenn der Gesetzgeber die aktuelle Rechtsprechungsentwicklung stützt, nach der nun in großem Umfang arbeitsrechtliche, mietrechtliche, verkehrsrechtliche Angelegenheiten außergerichtlich auch von Nichtanwälten erledigt werden können, die keinen Einschränkungen bei der Struktur ihrer unternehmenstragenden Gesellschaft unterliegen, fällt es schwer, verfassungsrechtlich überzeugend zu argumentieren, warum für Anwälte Erfordernisse wie die Wahrung der Unabhängigkeit oder der aktiven Mitarbeit gelten, die bislang das Fundament des Fremdbesitzverbots waren. Denn diese Erfordernisse sollen ja Mandanten eines Rechtsdienstleisters schützen – und dürfen nicht lediglich dessen Berufsbild pflegen.
NJW: Das anwaltliche Gesellschaftsrecht soll reformiert werden. Gibt es für die wichtigen Bausteine der Novelle, die interprofessionelle Zusammenarbeit und die Anwalts GmbH & Co. KG, überhaupt einen Bedarf?
Kilian: Für die interprofessionelle Zusammenarbeit gibt es vor allem Bedarf mit Blick auf die Bildung von interprofessionellen Bürogemeinschaften – deshalb plädiere ich seit Längerem dafür, die allein auf Rechtsscheinerwägungen gestützte sozietätsrechtliche Gleichbehandlung von Bürogemeinschaften und Berufsausübungsgesellschaften im Zuge der Reform zu beenden, damit die Bildung interprofessioneller Bürogemeinschaften nicht unnötig erschwert wird. Denn: Interprofessionelle Sozietäten sind nach den empirischen Befunden für Rechtsanwälte deutlich weniger interessant als interprofessionelle Bürogemeinschaften.
NJW: Und die Anwalts GmbH & Co. KG?
Kilian: Die praktische Bedeutung wird aller Voraussicht nach eher gering bleiben. Die Fortentwicklung des Sozietätsrechts, die dazu geführt hat, dass neben die GbR zunächst die PartG, dann die Kapitalgesellschaft, sodann die LLP und schließlich die PartGmbB getreten ist, hat mit sich gebracht, dass – von der PartGmbB mal abgesehen – auf jeder „Entwicklungsstufe“ weniger Nutzer angekommen sind. Ich gehe insofern davon aus, dass die GmbH & Co. KG eher etwas für sozieätsrechtliche Feinschmecker sein wird.
NJW: Ein derzeit heiß diskutiertes Thema ist die Gewerbesteuer. Erste Großkanzleien sind den Weg in die steuerliche Gewerblichkeit gegangen. Erwarten Sie, dass dies im Berufsstand größere Kreise zieht?
Kilian: Angesichts der aktuell verschwimmenden Grenzen zwischen dem neuen Typus gewerblicher Rechtsdienstleister und dem traditionellen freiberuflichen Rechtsdienstleister wird das zweifelsohne eine Herausforderung. Spannend ist meines Erachtens auch, ob die Grenzziehung zwischen außergerichtlich und gerichtlich tätigen Rechtsdienstleistern, die ja seit Langem eigentlich nur noch ein verfahrensrechtliches Thema war, wieder an Bedeutung gewinnen wird.
NJW: Im Zusammenhang mit den Geschäftsmodellen von Großkanzleien oder der kollektiven Rechtsdurchsetzung durch Anwälte, Plattformen und Prozessfinanzierer wird derzeit wieder über eine Ökonomisierung des Rechts diskutiert, die mit dem Berufsbild des Anwalts nicht vereinbar sei. Wie sehen Sie das?
Kilian: Eine schwierige Frage. Wenn Sie in die Steuerstatistik schauen, gibt es dort die Kategorie „Rechtsberatung“, die jährlich für 25 Mrd. Euro Umsätze sorgt und – vor allem – dem Fiskus 3,5 Mrd. Euro Umsatzsteuereinnahmen beschert. Vor diesen Fakten darf man die Augen nicht verschließen. Und auch nicht davor, dass in besagter Steuerstatistik auch eine Feingliederung unter anderem in „Rechtsanwaltskanzleien“, „Notariate“ und in „Erbringer sonstiger juristischer Dienstleistungen“ vorgenommen wird. Daher sollte man eine Diskussion, wenn man sie denn führen will, nicht auf die Anwaltschaft verengen. •
Prof. Dr. Matthias Kilian ist Direktor des Soldan Instituts sowie Inhaber der Hans-Soldan-Stiftungsjuniorprofessur für Zivilrecht, Wirtschaftsrecht, Verfahrensrecht, Anwaltsrecht und anwaltsorientierte Juristenausbildung an der Universität zu Köln. Er ist Herausgeber unter anderem des Statistischen Jahrbuchs der Anwaltschaft, des Praxishandbuchs Anwaltsrecht sowie des Kilian/Koch, Anwaltliches Berufsrecht (NJW-Schriftenreihe).