Urteilsanalyse
Widerruf der Anwaltszulassung: Abschluss des behördlichen Widerrufsverfahrens maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt
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Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Widerrufs einer Zulassung zur Rechtsanwaltschaft ist allein auf den Zeitpunkt des Abschlusses des behördlichen Widerrufsverfahrens abzustellen, also auf den Erlass des Widerspruchsbescheids oder – wenn das nach neuem Recht grundsätzlich vorgeschriebene Vorverfahren entbehrlich ist – auf den Ausspruch der Widerrufsverfügung. Dies hat der BGH entschieden. 

9. Dez 2021

Anmerkung von
Rechtsanwalt Dr. Hans-Jochem Mayer, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Bühl

Aus beck-fachdienst Vergütungs- und Berufsrecht 24/2021 vom 09.12.2021

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Sachverhalt

Die beklagte Rechtsanwaltskammer widerrief wegen Vermögensverfalls (§ 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO) die Anwaltszulassung des Klägers. Nach erfolgloser Klage vor dem Anwaltsgerichtshof beantragte der Kläger die Zulassung der Berufung sowie Prozesskostenhilfe.

Entscheidung: Zeitpunkt des Abschlusses des behördlichen Widerrufsverfahrens maßgeblich

Die Anträge hatten keinen Erfolg.

Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Widerrufs einer Zulassung zur Rechtsanwaltschaft sei allein auf den Zeitpunkt des Abschlusses des behördlichen Widerrufsverfahrens abzustellen, also auf den Erlass des Widerspruchsbescheids oder – wenn das nach neuem Recht grundsätzlich vorgeschriebene Vorverfahren entbehrlich sei – auf den Ausspruch der Widerrufsverfügung. Die Beurteilung danach eingetretener Entwicklungen sei einem Wiederzulassungsverfahren vorbehalten. Zu einer Überprüfung seiner ständigen Rechtsprechung sah sich der Senat nicht veranlasst. Aus verfassungsrechtlicher Sicht sei ein Hinausschieben des Zeitpunktes der Beurteilung einer Widerrufsverfügung nicht geboten. Die Verweisung des Rechtsanwalts auf ein Wiederzulassungsverfahren bei nachträglichen Entwicklungen führe nicht zu unverhältnismäßigen Ergebnissen und verstoße auch nicht gegen die nach Art. 12 Abs. 1 GG garantierte Freiheit der Berufswahl. Die dadurch dem Anwalt entstehenden beruflichen Nachteile seien vergleichsweise gering, denn der Rechtsanwalt habe bei nachträglichem Wegfall des Widerrufsgrundes einen Anspruch auf sofortige Wiederzulassung und könne jederzeit einen entsprechenden Antrag stellen. Der Kläger habe sich zum hier maßgeblichen Zeitpunkt des Widerrufsbescheids in Vermögensverfall befunden. Tragfähige Anhaltspunkte dafür, dass eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden ausnahmsweise nicht bestanden habe, seien weder vorgetragen noch ersichtlich.

Praxishinweis

Die Festlegung des Abschlusses des behördlichen Widerrufsverfahrens als maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt stößt in der Literatur teilweise auf Kritik. So wird argumentiert, dass die zeit- und kostenaufwändige Verdoppelung der Verfahren, in denen dem Rechtsanwalt zunächst die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft entzogen und anschließend wieder erteilt werde, der Bedeutung des Art. 12 GG kaum gerecht werde, da die Entziehung der Zulassung ein schwerwiegender Eingriff in dessen Schutzbereich darstellt (Henssler in Henssler/Prütting, BRAO, 5. Aufl. 2019 § 14 BRAO, Rn. 80). Der BGH hat sich in der berichteten Entscheidung mit dem Einwand nach Art. 12 GG auseinandergesetzt und auf den Standpunkt gestellt, dass ein Verstoß gegen die nach Art. 12 Abs. 1 GG garantierte Berufsfreiheit nicht bestehe.

BGH, Beschluss vom 22.09.2021 - AnwZ (Brfg) 14/21, rechtskräftig (AGH Hessen), BeckRS 2021, 35096