NJW-Editorial
Wertpapier ohne Papier
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Bundesjustiz- und Bundesfinanzministerium haben den lange erwarteten "Entwurf eines Gesetzes zur Einführung von elektronischen Wertpapieren" (eWpG-E) vorgelegt, der bereits im Eckpunktepapier beider Häuser angekündigt worden war. Eröffnet werden soll eine zusätzliche Option zur Unternehmensfinanzierung, indem Inhaberschuldverschreibungen alternativ in Form von papierlosen Wertpapieren emittiert werden. Als funktionaler Ersatz der klassischen Wertpapierurkunde soll die Eintragung in ein Wertpapierregister dienen. Auch wenn die Blockchain-Technologie eine paradigmatische Rolle in den Überlegungen gespielt hat, zeigt sich der Entwurf (zu Recht) als der Technologieneutralität verschrieben. 

27. Aug 2020

Zivilrechtlich revolutionär ist vor allem der Regelungsgehalt von § 2 III eWpG-E, der eine Fiktion aufstellt: „Ein elektronisches Wertpapier gilt als Sache im Sinne des § 90 BGB.“ Zu den Folgen dieser weitreichenden Einordnung äußert sich der Entwurf partiell in Abschnitt 4. Dort wird die Registereintragung als konstitutiv für die Übertragung des elektronischen Wertpapiers und der daraus folgenden Rechte angesehen und ein gutgläubiger Erwerb auf der Grundlage des Registerinhalts zugelassen. Mittelbar wirkt sich die Fiktion auch auf den – insofern zu bejahenden (vgl. zu sonstigen Token Omlor, ZHR 183 [2019] 294 [310 f.]) – deliktischen und bereicherungsrechtlichen Schutz von Blockchain-Token aus, die zugleich elektronische Wertpapiere sind. Der Verzicht auf ein eigenständiges Zivil- und Sachenrecht für elektronische Wertpapiere dürfte jedoch allenfalls eingeschränkt als Modell für weitere Entmaterialisierungsschritte etwa im Kapitalgesellschaftsrecht taugen. Die Tokenisierung braucht eine tragfähige und rechtssichere Grundlage im allgemeinen Zivilrecht, die mit einer isolierten Fiktion nicht hinreichend abgedeckt werden kann; zu komplex sind die verästelten Folgefragen, zu materiebezogen ist der tradierte Rechtsrahmen. Jenseits des Zivilrechts rührt der Entwurf an Grundfragen im konzeptionellen Diskurs zwischen – typisierend gefasst – juristischen Traditionalisten und technischen Modernisten: Wann und wie darf eine Public-permissionless-Blockchain (ohne CSDR-Zentralverwahrer [Central Securities Depository]) eingesetzt werden? Welcher Konsensfindungsmechanismus ist erlaubt? Wann liegt Finalität vor? Der Referentenentwurf äußert sich hierzu im Hinblick auf die angestrebte Technikneutralität allenfalls abstrakt und zurückhaltend.

Insgesamt überführt der Entwurf das deutsche Wertpapierrecht mit mutigen Ansätzen in das 21. Jahrhundert. Die Grundrichtung stimmt, der Entwurf ist durchdacht und handwerklich solide. Das gesetzgeberische Nachvollziehen der empirisch erfolgten Entmaterialisierung von Wertträgern darf aber nicht am Beginn des Weges stehen bleiben: Gesellschaftsanteile, jedoch auch gesetzliche Zahlungsmittel und Geld harren weiter einer kodifizierten Tokenisierung. •

Prof. Dr. Sebastian Omlor, LL.M. (NYU), LL.M. Eur., ist Direktor des Instituts für das Recht der Digitalisierung an der Philipps-Universität Marburg.