NJW-Editorial

Wert­pa­pier ohne Pa­pier
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Foto_Sebastian_Omlor_WEB
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Bun­des­jus­tiz- und Bun­des­fi­nanz­mi­nis­te­ri­um haben den lange er­war­te­ten "Ent­wurf eines Ge­set­zes zur Ein­füh­rung von elek­tro­ni­schen Wert­pa­pie­ren" (eWpG-E) vor­ge­legt, der be­reits im Eck­punk­te­pa­pier bei­der Häu­ser an­ge­kün­digt wor­den war. Er­öff­net wer­den soll eine zu­sätz­li­che Op­ti­on zur Un­ter­neh­mens­fi­nan­zie­rung, indem In­ha­ber­schuld­ver­schrei­bun­gen al­ter­na­tiv in Form von pa­pier­lo­sen Wert­pa­pie­ren emit­tiert wer­den. Als funk­tio­na­ler Er­satz der klas­si­schen Wert­pa­pier­ur­kun­de soll die Ein­tra­gung in ein Wert­pa­pier­re­gis­ter die­nen. Auch wenn die Block­chain-Tech­no­lo­gie eine pa­ra­dig­ma­ti­sche Rolle in den Über­le­gun­gen ge­spielt hat, zeigt sich der Ent­wurf (zu Recht) als der Tech­no­lo­gie­neu­tra­li­tät ver­schrie­ben. 

27. Aug 2020

Zi­vil­recht­lich re­vo­lu­tio­när ist vor allem der Re­ge­lungs­ge­halt von § 2 III eWpG-E, der eine Fik­ti­on auf­stellt: „Ein elek­tro­ni­sches Wert­pa­pier gilt als Sache im Sinne des § 90 BGB.“ Zu den Fol­gen die­ser weit­rei­chen­den Ein­ord­nung äu­ßert sich der Ent­wurf par­ti­ell in Ab­schnitt 4. Dort wird die Re­gis­ter­ein­tra­gung als kon­sti­tu­tiv für die Über­tra­gung des elek­tro­ni­schen Wert­pa­piers und der dar­aus fol­gen­den Rech­te an­ge­se­hen und ein gut­gläu­bi­ger Er­werb auf der Grund­la­ge des Re­gis­ter­in­halts zu­ge­las­sen. Mit­tel­bar wirkt sich die Fik­ti­on auch auf den – in­so­fern zu be­ja­hen­den (vgl. zu sons­ti­gen Token Omlor, ZHR 183 [2019] 294 [310 f.]) – de­lik­ti­schen und be­rei­che­rungs­recht­li­chen Schutz von Block­chain-Token aus, die zu­gleich elek­tro­ni­sche Wert­pa­pie­re sind. Der Ver­zicht auf ein ei­gen­stän­di­ges Zivil- und Sa­chen­recht für elek­tro­ni­sche Wert­pa­pie­re dürf­te je­doch al­len­falls ein­ge­schränkt als Mo­dell für wei­te­re Ent­ma­te­ria­li­sie­rungs­schrit­te etwa im Ka­pi­tal­ge­sell­schafts­recht tau­gen. Die To­ke­ni­sie­rung braucht eine trag­fä­hi­ge und rechts­si­che­re Grund­la­ge im all­ge­mei­nen Zi­vil­recht, die mit einer iso­lier­ten Fik­ti­on nicht hin­rei­chend ab­ge­deckt wer­den kann; zu kom­plex sind die ver­äs­tel­ten Fol­ge­fra­gen, zu ma­te­rie­be­zo­gen ist der tra­dier­te Rechts­rah­men. Jen­seits des Zi­vil­rechts rührt der Ent­wurf an Grund­fra­gen im kon­zep­tio­nel­len Dis­kurs zwi­schen – ty­pi­sie­rend ge­fasst – ju­ris­ti­schen Tra­di­tio­na­lis­ten und tech­ni­schen Mo­der­nis­ten: Wann und wie darf eine Pu­blic-per­mis­sion­less-Block­chain (ohne CSDR-Zen­tral­ver­wah­rer [Cen­tral Se­cu­ri­ties De­po­si­to­ry]) ein­ge­setzt wer­den? Wel­cher Kon­sens­fin­dungs­me­cha­nis­mus ist er­laubt? Wann liegt Fi­na­li­tät vor? Der Re­fe­ren­ten­ent­wurf äu­ßert sich hier­zu im Hin­blick auf die an­ge­streb­te Tech­nik­neu­tra­li­tät al­len­falls abs­trakt und zu­rück­hal­tend.

Ins­ge­samt über­führt der Ent­wurf das deut­sche Wert­pa­pier­recht mit mu­ti­gen An­sät­zen in das 21. Jahr­hun­dert. Die Grund­rich­tung stimmt, der Ent­wurf ist durch­dacht und hand­werk­lich so­li­de. Das ge­setz­ge­be­ri­sche Nach­voll­zie­hen der em­pi­risch er­folg­ten Ent­ma­te­ria­li­sie­rung von Wert­trä­gern darf aber nicht am Be­ginn des Weges ste­hen blei­ben: Ge­sell­schafts­an­tei­le, je­doch auch ge­setz­li­che Zah­lungs­mit­tel und Geld har­ren wei­ter einer ko­di­fi­zier­ten To­ke­ni­sie­rung. •

Prof. Dr. Sebastian Omlor, LL.M. (NYU), LL.M. Eur., ist Direktor des Instituts für das Recht der Digitalisierung an der Philipps-Universität Marburg.