Wenn Recht Rendite bringt
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Nachdem der AGH München in einer Vorlage an den EuGH das Fremdbesitzverbot in Frage gestellt und der Bundesjustizminister in mehreren Reden angedeutet hat, hier deregulierend tätig zu werden, wird wieder intensiv über den Einstieg von Investoren in den Rechtsmarkt diskutiert. Dabei geht es nicht nur um Beteiligungen an Kanzleien – längst haben kapitalkräftige Investoren andere Bereiche des Rechtsmarkts für sich entdeckt. Hierfür hat sich bereits der Begriff „Legal Finance“ etabliert. Thomas Kohlmeier ist als Co-Managing-Partner des Schweizer Prozessfinanzierers Nivalion einer dieser Investoren.

20. Jul 2023

NJW: Können Sie nachvollziehen, dass es bei vielen ­Juristinnen und Juristen ein Störgefühl auslöst, wenn das Recht Gegenstand von Investitionsentscheidungen auf Finanzmärkten ist?

Kohlmeier: Ja und nein. „Die Finanzmärkte“ sind ein unbekannter und deswegen vielleicht angsteinflößender Spieler. Aber gerade Prozessfinanzierer stellen strenge Anforderungen an die Erfolgsaussichten von Fällen. Hinter dem Störgefühl scheint mir eher die Sorge vor einem Kontrollverlust zu stecken. Den gibt es aber schlichtweg nicht, weil die inhaltliche Hoheit über den finanzierten Prozess der Anwaltschaft obliegt.

NJW: Gilt das aus Ihrer Sicht auch noch, wenn das Fremdbesitzverbot gelockert oder sogar aufgehoben würde?

Kohlmeier: Selbstverständlich. Selbst eine vollständige Aufhebung des Verbots hätte viel weniger Auswirkungen als die aufgeregte Diskussion befürchten lässt. ­Anwaltskanzleien sind per se keine perfekten Investitionsziele, weil ihre Wertschöpfung stark an einzelnen Köpfen hängt. Spannender könnte es im Bereich der Freigabe hochvolumiger Erfolgshonorare werden: ­Legal Finance könnte denjenigen, die ihre Praxis auf Erfolgshonorare umstellen wollen, Sicherheit in der Liquiditätsplanung liefern, indem die ausstehenden Erfolgs­honorare vorfinanziert werden. Die Kanzleien müssten dann nicht bis zum Abschluss der Verfahren auf Einnahmen warten.

NJW: Für welche Investoren wären denn Beteiligungen an Anwaltskanzleien interessant?

Kohlmeier: In erster Linie für all diejenigen, die ihre Wertschöpfungsketten mithilfe von Rechtsanwaltskanzleien verlängern können wie zum Beispiel (Rechtsschutz-)Versicherer. Bislang sind Zahlungen an Anwaltssozietäten aus Sicht der Versicherer reiner Schadenaufwand, der die Ergebnisse belastet und zu Prämienerhöhungen führt. Käme aber auch nur ein Teil dieses Schadenaufwands als Ergebnis einer Beteiligung zurück, würde das jeweilige Geschäftsmodell interessanter, und es würden ganz neue, idealerweise sogar kostengünstigere Angebote für die Versicherten möglich.

NJW: Kommen wir mal zu Ihrer Domäne, der Prozessfinanzierung. Das Geschäftsmodell geht längst viel weiter als die traditionelle Vorfinanzierung von Rechtsstreitigkeiten gegen eine Erfolgsbeteiligung, oder?

Kohlmeier: Ja, in der Tat. Historischer Ausgangspunkt in Deutschland war die Finanzierung von Prozesskosten. Das hat sich inzwischen europaweit erheblich aufgefächert in die Vorab-Monetarisierung von durchzusetzenden Ansprüchen, die Finanzierung von Abwehransprüchen, Portfolien und, wo rechtlich schon möglich, von Anwaltskanzleien. Die Modelle reichen heute bis zur Finanzierung der Vorbereitung von Collective-Redress-Fällen, also sammelklagenartigen Konstellationen.

NJW: Sind Rechtstreitigkeiten auch für andere Akteure der Finanzindustrie, etwa Hedgefonds, attraktive Investitionsobjekte?

Kohlmeier: Durchaus, schließlich schlagen Schwankungen im Bereich etwa der Aktienmärkte auf Investments im Bereich Legal Finance nicht durch. Neben Hedgefonds interessieren sich vor allem Family Offices und Pensionskassen für diesen Bereich. Sie alle erwarten eine risikoangemessene Verzinsung. Aufgrund der mit Gerichtsverfahren aller Art verbundenen Unwägbarkeiten ist risikoangemessen mit „hoch“ gleichzusetzen.

NJW: Warum ist der Einstieg von Investoren für die Rechtsuchenden und den Rechtsmarkt aus Ihrer Sicht sinnvoll?

Kohlmeier: Prozessfinanzierer ermöglichen Risikotrans­fer und Zugang zum Recht. Sie bieten Klägern Sicherheit und können dabei helfen, in Massenverfahren rationales Desinteresse zu überwinden. Und in „David ­gegen Goliath“-Situationen, wie es sie zum Beispiel oft im Kartellrecht gibt, ist Prozessfinanzierung die einzige Möglichkeit, prozessuale Waffengleichheit herzustellen, damit Kartellopfer zu ihrem Recht kommen können.

NJW: Die EU sieht das aber anders und will die Prozessfinanzierung streng regulieren. Was sagen Sie zu den Plänen?

Kohlmeier: Zunächst einmal war das die Idee eines einzelnen Abgeordneten des EU-Parlaments, der ein buntes Sammelsurium aus Befürchtungen und Behauptungen zu einem Regulierungsvorschlag verarbeitet hat. Die Europäische Kommission nimmt dagegen eine abwartende Position ein, weil sie unbedingt den Erfolg der Verbandsklagenrichtlinie will. In diesem Rahmen ist Prozessfinanzierung jedenfalls den europäischen Verbraucherschutzorganisationen nämlich hochwillkommen.

NJW: Es droht also keine Ökonomisierung des Rechts, die man regulatorisch im Sinne der Rechtsuchenden einhegen muss?

Kohlmeier: Meine Lieblingsfrage, die ich zunächst mit Gegenfragen beantworten würde: Sind unsere Wirtschaftsordnung und das Zivilrechtssystem nicht dem Grunde nach darauf ausgelegt, ökonomische Ansprüche in einem geregelten Verfahren durchsetzen zu können? Und haben nicht flächendeckend die Länder die Justiz ökonomisiert, als sie die Justizhaushalte mit Kostensenkungsmaßnahmen ausgehöhlt haben? An der Organisation von Risikotransfer über privates Kapital kann ich nichts Verwerfliches finden, das gibt es bei Versicherungen schon seit Jahrhunderten.

NJW: Im Rechtsmarkt sind vor allem Rechtsschutzversicherer kapitalkräftige Player. Werden sich deren Geschäftsmodelle künftig verändern?

Kohlmeier: Meiner Meinung nach eher ja, wobei man die Beharrungskräfte in Versicherungskonzernen nicht unterschätzen sollte. Mehrspartenversicherer werden vielleicht zurückhaltender agieren, weil sie das Prämienaufkommen aus der Vermögensschadenhaftpflicht für Anwälte nicht gefährden wollen. Reine Rechtsschutzspezialisten können hier viel freier agieren. Erste Versuche gibt es im Markt mit der Kooperation zwischen Auxilia RSV und righmart ja bereits.

NJW: Gehen Sie davon aus, dass sich der Bereich ­Legal Finance weiterentwickeln wird?

Kohlmeier: Da bin ich ganz sicher. Es wäre sehr sinnvoll, wenn in einem nächsten Schritt Prozessrisiken weiterverkauft oder auf Basis von Prozessportfolien Wertpapiere strukturiert werden. Ein struktureller Nachteil bei Investments in Legal Finance besteht nämlich derzeit darin, dass es noch keinen breit funktionierenden Sekundärmarkt gibt, Investoren also bis zum Ende der Laufzeit des Risikos nicht an das eingesetzte Kapital kommen. Allerdings müssen natürlich etwa Vertraulichkeitsverpflichtungen beachtet werden. Generell würde ich vermuten, dass alle Finanzinstrumente, die es im Bereich Private Equity oder Private Debt gibt, auch für Legal Finance fruchtbar gemacht werden, das scheint mir lediglich eine Frage der Zeit. Im internationalen Kontext gibt es auch ein zunehmendes Interesse von Versicherern, Lösungen für Prozessfinanzierer und deren Investoren anzubieten.

NJW: Braucht Legal Finance eine spezielle Regulierung?

Kohlmeier: Nicht auf Ebene der Finanzierer, die in der Regel ihrerseits bereits in verschiedenen Formen reguliert sind. Die Entwicklung könnte aber vielleicht dem anwaltlichen Berufsrecht neues Leben und neuen Sinn einhauchen, wenn mit Legal Finance zusammenhängende Aspekte soweit geboten dort geregelt würden – das wäre eine Diskussion, die ich gerne führen würde.

Rechtsanwalt Thomas Kohlmeier ist Gründungspartner und Co-CEO des Prozessfinanzierers Nivalion AG in Zug in der Schweiz. Zuvor war er 15 Jahre als Vorstand für die zur Ergo-Gruppe gehörende Legial AG tätig. Von 2010 bis 2016 war er zudem Mitglied des Präsidiums des Bundesverband Deutscher Inkasso­unternehmen e.V. (BDIU).

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Interview: Tobias Freudenberg.