Interview
Weniger ist mehr
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© Lutz Goebel

Der Nationale Normenkontrollrat (NKR) soll Bürokratieabbau und bessere Rechtssetzung gewährleisten. Gerade wurde das Gremium, für das nun anstelle des Bundeskanzleramts das Bundesjustizministerium zuständig ist, mit neu berufenen Mitgliedern für eine vierte Mandatszeit eingesetzt. Neuer Vorsitzender ist der Unternehmer Lutz Goebel, mit dem wir über die Arbeit des Rats gesprochen haben.

23. Jun 2022

NJW: Zunächst ein paar Zahlen und Fakten: Welche Hauptaufgaben hat das Gremium?

Goebel: Unsere Aufgabe besteht in erster Linie darin, neue Gesetze daraufhin zu überprüfen, ob der vom jeweiligen Ministerium kalkulierte Einmal- und Folgeaufwand für Bürger, Unternehmen und Behörden plausibel und nachvollziehbar dargestellt ist. Das machen wir für ca. 350 Regelungsvorhaben pro Jahr. Dabei stellen wir auch die Frage nach der Wirksamkeit einzelner Regelungen bzw. ob Alternativen ausreichend geprüft wurden. Eine weitere Aufgabe besteht darin, dass Gesetze nach drei oder fünf Jahren evaluiert werden müssen. Diese Evaluierungen schauen wir uns an und überprüfen, ob Gesetze ihr Ziel erreicht haben und wie hoch der Bürokratieaufwand tatsächlich war. Wir sind ein unabhängiges Gremium, das nicht weisungsgebunden ist.

NJW: Wann und wie wird der Rat im Gesetzgebungsverfahren beteiligt?

Goebel: Der NKR ist wie ein Ministerium in den Gesetzgebungsprozess eingebunden. Spätestens zu Beginn der Ressortabstimmung müssen Regelungsentwürfe dem NKR zur Prüfung zugeleitet werden. Die Anhörungsfristen, die uns zur Einbeziehung von Praktikern bleiben, sind leider oft zu kurz. Das muss sich ändern. Politisch verkürzte Verfahren, bei denen das Verhältnis von Wirkung und Aufwand des Gesetzes nicht wirklich geprüft und Alternativen nicht ausreichend erwogen werden können, müssen der Vergangenheit angehören.

NJW: Wie setzt sich der Rat zusammen, und wie viele Personen unterstützen dessen Arbeit?

Goebel: Der NKR hat mit mir zehn Mitglieder, die von den Parteien entsandt werden. Sie bringen ganz unterschiedliche Erfahrungen und Perspektiven ein, nach der sich auch die Zuständigkeiten richten, also wer welche Ministerien betreut. Diese Aufteilung ist wichtig, damit die Ratsmitglieder sich in die Sachgebiete einarbeiten und Gesprächskanäle aufbauen können. Im Sekretariat sind wir derzeit noch in einer personellen Übergangsphase, im eingeschwungenen Zustand werden dann etwa 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für den NKR tätig sein.

NJW: Künftig soll der Rat im Rahmen eines Digitalchecks die Möglichkeit der digitalen Ausführung von Gesetzen prüfen. Wie wird das inhaltlich ausgestaltet?

Goebel: Wie das im Einzelnen gemacht wird, ist noch offen. Schwerpunkt des Checks soll die Prüfung sein, ob sich geplante Regelungen digital umsetzen lassen. Ein wichtiger Aspekt dabei ist, wie Verwaltungsprozesse automatisiert werden können. Dabei ist es von entscheidender Bedeutung, welche Daten für den Vollzug des jeweiligen Gesetzes notwendig sind und von wem sie wann geliefert werden müssen. Uns wird auch interessieren, dass Schriftformerfordernisse gestrichen werden. Letztlich ist der Digitalcheck eine Zusatzaufgabe zur Prüfung des Bürokratieaufwands.

NJW: Wo sehen Sie beim Bürokratieabbau aktuell den dringendsten Handlungsbedarf?

Goebel: Auch dabei ist die Digitalisierung ein zentrales Thema. Wir haben höchst unterschiedliche IT-Systeme, die nicht kompatibel sind und auch nicht in kurzer Zeit kompatibel gemacht werden können. Also muss es andere Lösungen geben. Ich halte es für sinnvoll, dass der Bund dabei Standards für die Digitalisierung setzen kann, denen die Länder und Kommunen folgen müssen. Wir brauchen hier insgesamt mehr Verbindlichkeit. Es scheint auch so zu sein, dass das bisherige Onlinezugangsgesetz nicht funktioniert hat und es deshalb neu aufgesetzt werden muss. Da werden wir genau hinschauen.

NJW: Haben der neue Rat und Sie persönlich eine Agenda für die vierte Mandatszeit des Gremiums?

Goebel: Wir haben bereits einige Ideen, zum Beispiel ein Leistungsvergleich zwischen Verwaltungen. Wie weit ist die Digitalisierung? Wie schnell gehen Verwaltungsvorgänge? Wie effizient ist die Kommunikation mit dem Bürger? Das spornt die Kommunen an und gibt zugleich einen tieferen Einblick in deren Aufstellung. Ich finde, dass es hier ein systematisches Verfahren geben sollte, verbunden etwa mit einer Art Wettbewerb oder Preis. Interessant finde ich auch die Idee, analog zum Bundesrechnungshof, die schlimmsten Auswüchse von Bürokratie aufzugreifen und genauer anzuschauen, welche Ursachen sie haben. Damit könnten wir die Scheinwerfer noch stärker auf die Dinge richten, die nicht so gut funktionieren.

NJW: Und Sie persönlich?

Goebel: Es ist mir ein Anliegen, die Ex-post-Betrachtung von Gesetzen zu verbessern und die „One in, one out-Regel“, wonach für jede belastende Regel eine Entlastung an anderer Stelle erforderlich ist, in Richtung des nordrhein-westfälischen Modells „One in, two out“ zu entwickeln. Außerdem treibt mich die Handlungs- und Funktionsfähigkeit Deutschlands um, insbesondere in Krisen. Da haben sich zuletzt deutliche Defizite gezeigt. Ein Verbesserungsvorschlag wäre ein stärkeres Weisungsrecht des Bundes. Oder zumindest ein verbindliches Vorschlags- und Koordinierungsrecht, bei dem die Länder sagen können, sie machen lieber was Eigenes, sie aber nicht einfach nichts machen dürfen.

NJW: Da bewegen Sie sich aber außerhalb des Zuständigkeitsbereichs des NKR. Sehen Sie sich insofern auch als Ratgeber der Politik für grundsätzliche Fragen?

Goebel: Das sind aus meiner Sicht Fragen, die unmittelbar im Zusammenhang mit Gesetzesvollzug und ­Bürokratie stehen. Aufgrund seiner Kernkompetenzen sollte der NKR dort an Verbesserungen mitwirken oder solche initiieren. Deshalb freuen wir uns, wenn die ­Politik unsere Unterstützung sucht.

NJW: Einen ganz erheblichen Anteil an der ständig zunehmenden Regulierung hat die EU-Gesetzgebung. Wie steht es da um die Normenkontrolle?

Goebel: Die EU hat selbst ein System für die Folgenabschätzung bei der Rechtssetzung. Der Ausschuss für Regulierungskontrolle (Regulatory Scrutiny Board) bei der EU-Kommission funktioniert ähnlich wie der NKR. Wir sind im Dialog mit diesem Gremium und über­legen, wie wir noch besser zusammenarbeiten können.

NJW: Wie erleben Sie Regulierung als Unternehmer?

Goebel: Es wird immer mehr. Für die Wirtschaft ist das eine gewaltige Belastung, zumal der Staat viel Büro­kratie an die Unternehmen outsourct. Beispiele sind der Mindestlohn und die Aufzeichnungspflichten für Arbeitszeiten. Deshalb bin ich im Dialog mit den Unter­nehmern, um die wichtigsten Themen zu identifizieren, wo wir was tun müssen. Eins davon ist der Datenschutz, der ein gutes Beispiel dafür ist, dass ein Gesetz, nämlich die DS-GVO, eigentlich ganz gut, die Umsetzung aber eine Katastrophe ist. Wir haben deshalb im Rat auch schon mal überlegt, dazu ein Gutachten oder eine Umfrage zu machen, um die Auswirkungen zu messen und die Angemessenheit prüfen zu können.

NJW: Das klingt jetzt aber nach einer sehr wirtschaftsnahen Sicht auf die Dinge. Der Rat muss ja auch aus der Perspektive anderer Stakeholder prüfen.

Goebel: Unser Auftrag ist ganz klar: Wir messen die Bürokratie für die Wirtschaft, für die Bürgerinnen und Bürger sowie für die Verwaltung. Die ganzheitliche Prüfung gewährleistet auch die vielfältige Zusammensetzung des Gremiums, deren Mitglieder alle eben genannten Bereiche vertreten.

NJW: Der NKR ist jetzt vom Bundeskanzleramt zum Bundesjustizministerium gewechselt. Das wurde vereinzelt als Degradierung gewertet. Wie sehen Sie das?

Goebel: Der Gesetzgeber hat das so entschieden, und wir setzen das um. Die Gründe dafür sind mir nicht im Einzelnen bekannt. Wir sehen das aber durchaus als Chance, uns jetzt nochmals neu aufzustellen. Der Bundesjustizminister jedenfalls will für das Thema eintreten. Er hat eine eigene Abteilung für bessere Rechtssetzung, Digitalisierung und Bürokratieabbau geschaffen, mit der wir einen Verbündeten im Haus haben. 

Lutz Goebel blickt auf eine lange Unternehmerlaufbahn zurück. Seit 1998 ist er Geschäftsführender ­Gesellschafter der Henkelhausen GmbH & Co. KG in Krefeld. Er engagiert sich seit vielen Jahren im Verband „Die Familienunternehmer“, dessen Präsidium er angehört (von 2011 bis 2017 als Präsident). 

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Interview: Tobias Freudenberg.