NJW: Können Sie die Kritik an der Hausdurchsuchung im „Schwachkopf“-Fall und der Bewährungsstrafe für das Faeser-Meme nachvollziehen?
Krause: Ich kann die Kritik nachvollziehen, da die Staatsanwaltschaften, aber auch die Strafgerichte bei „Hate Speech“ zu wenig deutlich machen, warum in welchen Fällen wie entschieden wird und aus welchen Gründen die Meinungsfreiheit in einer Abwägung mit anderen Rechten zurücktreten musste. Gleichzeitig bin ich mir sicher, dass diese Abwägungen stattfinden. Es wird nur zu wenig darüber geredet.
NJW: Ein Kritikpunkt gegenüber den Staatsanwaltschaften lautet, sie würden als weisungsgebundene Behörden bei Beleidigungen von Politikern einen besonderen Verfolgungseifer an den Tag legen. Sie haben bei der ZIT zwei Schwerpunktprojekte zur Verfolgung der sogenannten Politikerbeleidigung durchgeführt. Was waren die Beweggründe dafür?
Krause: Der Straftatbestand der „Politikerbeleidigung“ in § 188 StGB wurde im April 2021 verschärft und in seinem Anwendungsbereich erweitert. Der Gesetzgeber wollte damit den für das Gemeinwesen tätigen Personen des politischen Lebens einen verstärkten Ehrschutz einräumen. Denn es wurde die Gefahr gesehen, dass sich betroffe Personen wegen diffamierender Äußerungen im Internet aus der öffentlichen Diskussion zurückziehen. Wir haben es als unsere Pflicht angesehen, diese Gesetzesänderung in der Praxis umzusetzen und Leitlinien für eine einheitliche Vorgehensweise zu entwickeln.
NJW: Wie gehen Sie bei Ermittlungen in diesen Fällen vor?
Krause: Unter anderem kooperieren wir mit dem Bundeskriminalamt (BKA). Besonders wichtig ist uns dabei, praktische Erfahrungen mit ungeklärten Tatbestandsmerkmalen wie etwa der „Eignung zur erheblichen Erschwerung des öffentlichen Wirkens“ in § 188 StGB zu machen. Dazu sucht das BKA gezielt nach eindeutig strafbaren Äußerungen im Netz zum Nachteil von Personen aller bundesweit tätigen Parteien und legt uns die Fälle zur Bewertung vor. In den Fällen, in denen wir einen sogenannten Anfangsverdacht bejahen, ermitteln wir dann gemeinsam mit dem BKA die mutmaßlichen Urheber und geben die Verfahren an die zuständigen Staatsanwaltschaften in den anderen Bundesländern ab. Gegen Beschuldigte aus Hessen führen wir die Verfahren fort.
NJW: Mit was für Äußerungen haben Sie da typischerweise zu tun?
Krause: Die Spanne reicht von Beleidigungen ohne jeden Bezug zu einer sachlichen Auseinandersetzung wie „Nutte“, „Fotze“, „Stricher“ oder „Abschaum“ über vage gehaltene Warnungen wie „Verpisst Euch, sonst …“ oder „Lasst uns das Arschloch zuhause besuchen und …“ bis hin zu ausdrücklichen Gewaltaufrufen wie „Einfach auf die Fresse schlagen“, „gehört vor die Wand gestellt“ oder schlicht „erschießen!“.
NJW: Spielt neben dem Inhalt der Äußerungen auch die Reichweite eine Rolle?
Krause: Auf jeden Fall. Denn aus der Perspektive der Betroffenen wiegen solche diffamierenden Äußerungen im Internet umso schwerer, je mehr Menschen davon Kenntnis nehmen. Zudem haben wir die Erfahrung gemacht, dass bei öffentlichen Beleidigungen und Bedrohungen die Hemmschwelle anderer Personen für weitere gleichgerichtete Äußerungen sinkt – jedenfalls, wenn diese unwidersprochen bleiben. In einer Art „digitalem Teufelskreis“ werden solche Posts dann immer härter kommentiert und erzielen immer mehr Reichweite. Dass so etwas betroffene Personen des politischen Lebens zum Nachdenken über einen Rückzug bringt, kann ich nachvollziehen.
NJW: Ist es richtig, den mutmaßlichen Tätern das zuzurechnen?
Krause: Zunächst einmal sind Personen nur für die von ihnen geposteten Inhalte verantwortlich. Da § 188 StGB für eine Strafbarkeit aber nur die Eignung zur Erschwerung voraussetzt, ist nach unserer Auffassung auch auf den Kontext abzustellen. Reiht sich ein Post etwa bewusst in einen sogenannten Shitstorm ein, dann sind wir der Auffassung, dass dies berücksichtigt werden muss.
NJW: In wie vielen Fällen kommt es zur Anklage?
Krause: Wir wollen zum Zweck der Rechtsfortbildung zwar grundsätzlich Rechtsprechung herbeiführen, aber nicht um jeden Preis. Wenn sich Beschuldigte nach Konfrontation mit dem Vorwurf einsichtig zeigen und wir der Auffassung sind, dass etwa die Ableistung des sozialen Trainingskurses STOP HATE angemessen ist und Beschuldigte damit von weiteren Taten abgehalten werden können, dann sehen wir von einer Anklage ab. Wenn sich Beschuldigte im Ermittlungsverfahren dagegen nicht äußern oder der Auffassung sind, dass ihr Post von der Meinungsfreiheit gedeckt ist, dann erheben wir Anklage, um die zuständigen Strafgerichte entscheiden zu lassen.
NJW: Und kam es in den angeklagten Fällen überwiegend zu Verurteilungen?
Krause: Ja. Die hessischen Strafgerichte sind unserem Ansatz ganz überwiegend gefolgt, dass auch das Posten von reichweitenstarken Beleidigungen geeignet sein kann, das öffentliche Wirken der jeweiligen Personen des politischen Lebens erheblich zu erschweren. Zuvor war es herrschende Auffassung gewesen, dass unabhängig von der Menge des erreichten Personenkreises nur darauf abzustellen sei, ob die Äußerung das Vertrauen in die Integrität der Betroffenen erschüttern kann.
NJW: Wie fallen die Strafmaße aus?
Krause: Das hängt stark vom Einzelfall und vielen Faktoren der Strafzumessung ab. Allgemein lässt sich aber sagen, dass Gerichte oftmals Geldstrafen verhängen. Nicht selten werden diese Geldstrafen vorbehalten, um in der Bewährungszeit die Entwicklung der Beschuldigten beobachten zu können. Bei renitenten Wiederholungstätern haben wir allerdings auch schon Freiheitsstrafen erwirkt.
NJW: Es gibt inzwischen zahlreiche Meldestellen, bei denen man Hasskommentare „anzeigen“ kann. Warum braucht es solche – teils privaten – Einrichtungen, wenn man auch bei der Polizei und der Staatsanwaltschaft Anzeige erstatten kann?
Krause: Meldestellen sind geschaffen worden, um einfache und auch anonyme Möglichkeiten zur Abgabe von Hinweisen anzubieten. Hintergrund sind empirische Studien, wonach über 70 % der Betroffenen von „Hate Speech“ eine konsequente Strafverfolgung befürworten, aber nur 1 % Strafanzeigen erstattet. Weil bei diesem neuen Kriminalitätsphänomen offensichtlich kein Vertrauen in die Strafverfolgungsbehörden besteht, mussten neue Wege gegangen werde.
NJW: Arbeitet die ZIT mit Meldestellen zusammen?
Krause: Wir sind seit dem Jahr 2020 Teil der Meldestelle „Hessen gegen Hetze“, die von dem hessischen Innenministerium betrieben wird. In dieser Funktion nehmen wir Hinweise aus der gesamten Bevölkerung entgegen und bewerten diese.
NJW: Wodurch ist die Meinungsfreiheit nach Ihrem Eindruck mehr bedroht: Durch eine Verdrängung aus dem Diskurs durch Hasskommentare oder durch die strafrechtliche Ahndung von grenzwertigen Äußerungen im Netz?
Krause: Eindeutig durch Hasskommentare, wenn diese unwidersprochen bleiben, zur neuen Normalität werden und regelrechte Spiralen des Hasses auslösen. Dagegen ist eine gesamtgesellschaftliche Reaktion notwendig. Die Strafverfolgung sollte sich dabei auf eindeutig strafbare Fälle konzentrieren und die Abwägung mit der Meinungsfreiheit besser kommunizieren.
Leitender Oberstaatsanwalt Dr. Benjamin Krause ist seit 2012 bei der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt a. M. in der ZIT tätig und seit 2024 deren Leiter. Er ist Lehrbeauftragter an der Philipps-Universität Marburg und Autor des Buchs „Hate Speech – Strafbarkeit und Strafverfolgung von Hasspostings“.
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