Anmerkung von
Richter am Kammergericht Dr. Oliver Elzer, Berlin
Aus beck-fachdienst Zivilverfahrensrecht 12/2022 vom 17.06.2022
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Sachverhalt
Das LG meint, es gebe in Anknüpfung an § 204 II 3 BGB eine Nachfrageobliegenheit des Klägers, wenn das Gericht über einen Zeitraum von 6 Monaten nach der der letzten Handlung des Klägers keine Zustellung veranlasst hat. Nach einem Ablauf von 6 Monaten gehe der Gesetzgeber davon aus, dass die prozessualen Wirkungen des Verfahrens endeten, da dieses nicht weiter betrieben werden solle. Lasse ein Kläger diese Frist verstreichen, zeige er, an dem Verfahren kein Interesse mehr zu haben und die prozessualen Wirkungen nicht mehr zu benötigen.
Entscheidung: Der BGH sieht das nicht so und verneint eine Analogie zu § 204 II 2 BGB!
Der vom LG allgemein für richtig erachtete Rechtsverlust nach Ablauf einer (mit der Einzahlung der Gebühr im Allgemeinen beginnenden) Frist von 6 Monaten sei mit der BGH-Rechtsprechung unvereinbar. Insbes. ergebe sich eine derartige Frist nicht aus § 204 II 3 BGB. Diese Norm betreffe die Hemmung der Verjährung und damit anders gelagerte materiell-rechtliche Fragen. Eine allgemeine Frist von (nur) 6 Monaten wäre auch unpassend. Da der Kläger darauf vertrauen dürfe, dass das Gericht seine Aufgaben wahrnehme, sei er zu einer Kontrolle des Gerichts und Nachfragen grds. nicht gehalten. Habe der Rechtssuchende alles getan, was das Gesetz ihm auferlege, könne ein Rechtsverlust aufgrund von Fehlern des Gerichts allenfalls in besonderen Ausnahmefällen dann in Betracht kommen, wenn für die Partei klar und eindeutig erkennbar sei, dass sie eine Mitwirkungsobliegenheit treffe. Gerade in Fristfragen müsse schon aus verfassungsrechtlichen Gründen für den Rechtsuchenden klar erkennbar sein, was er zu tun habe, um einen Rechtsverlust zu vermeiden (Hinweis auf BVerfG NJW 2005, 3346 (3347) und BVerfG NJW 1991, 2076).
Praxishinweis
Im Fall hatte der Kläger die Gebühr im Allgemeinen rechtzeitig gezahlt. Mehr war grds. nicht zu tun (s. auch BGH BeckRS 2022, 6779 Rn. 21 = FD-ZVR 2022, 447977 Anm Elzer). Ein Kläger (im Fall ein Wohnungseigentümer) muss das Gericht also nicht zum „Jagen“ tragen. Ist eine Zustellungsverzögerung vom Gericht zu vertreten und hat sie ihre Ursache allein im Bereich des Gerichtes, ist die Länge der Verzögerung für die Frage einer demnächstigen Zustellung mithin im Allgemeinen unbeachtlich (Hügel/Elzer, WEG, 3. Aufl. 2021, § 45 Rn. 10). Die Überlegung des LG, es könne nach 6 Monaten eine Nachfrageobliegenheit bestehen, trug daher nicht. Vgl. auch BGH NJW 2006, 3206 Rn. 23: „Bei der Frage, ob eine Klagezustellung „demnächst” iSv § 167 ZPO erfolgt, sind Verzögerungen im Zustellungsverfahren, die durch eine fehlerhafte Sachbehandlung des Gerichtes verursacht sind, dem Kläger grundsätzlich nicht zuzurechnen. Hat er alle von ihm geforderten Mitwirkungshandlungen für eine ordnungsgemäße Klagezustellung erbracht, insbesondere den Gerichtskostenvorschuss eingezahlt, so sind er und sein Prozessbevollmächtigter im Weiteren nicht mehr gehalten, das gerichtliche Vorgehen zu kontrollieren und durch Nachfragen auf die beschleunigte Zustellung hinzuwirken.“ Die Verzögerung kann, was der BGH im Fall nochmals herausarbeitet, mehr als 6 Monate (s. auch BGH NZM 2011, 752 Rn. 6) und sogar mehr als 1 Jahr (vgl. BAG NJW 2013 252 Rn. 8 ff., Rn. 30 ff.) betragen.
BGH, Beschluss vom 07.04.2022 - V ZR 165/21 (LG Frankfurt a.M.), BeckRS 2022, 11332