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Vorteile und Vorurteile
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© Boris Roessler / dpa
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Die Corona-Pandemie hat eine Norm ins Licht gerückt, die lange ein Schattendasein fristete: § 128a ZPO, der Verhandlungen im Wege der Bild- und Tonübertragung ermöglicht. Erfahrungsberichte hierzu aus der Praxis lassen sich wie folgt zusammenfassen: Es gibt viele Vorteile und viele Vorurteile. Vor allem aber fehlt es an der notwendigen Technik.

14. Dez 2020

Die coronabedingten Einschränkungen auch für die Rechtspflege haben zu einer lebhaften Diskussion über § 128a ZPO geführt. Sie findet in der Fachliteratur und im Internet statt, vornehmlich in den sozialen Medien. Anwälte und Richter tauschen sich dort über ihre Erfahrungen aus, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Auch die NJW erreichten zahlreiche Berichte, die zeigen: Es gibt immer noch viele Vorbehalte bei Richtern wie Anwälten. Diejenigen, die über substanzielle Erfahrungen mit Videoverhandlungen verfügen, äußern sich mehrheitlich sehr zufrieden. Unabhängig davon kritisieren alle eine unzureichende technische Ausstattung der Gerichte.

Das Feedback aus der Praxis kam mehrheitlich von Richterinnen und Richtern aus verschiedenen Bundesländern. Anwälte meldeten sich nur vereinzelt, verfügten dann aber über Erfahrungen mit mehreren Gerichten. Die Kanzlei Noerr etwa schickte eine Excel-Liste mit über 20 Landgerichten. An nur sechs von ihnen wurden in Verfahren mit Beteiligung der Kanzlei Videoverhandlungen zugelassen. Die anderen begründeten ihre Ablehnung ganz überwiegend mit nicht vorhandener oder nicht funktionsfähiger Technik.

Viele hybride Verhandlungen

Dort, wo § 128a ZPO zur Anwendung kam, funktionierte es oft reibungslos, abgesehen von den üblichen Problemen bei der Ton- und Bildqualität. Skype und WebEx sind offenbar die am weitesten verbreiteten Programme. Schwierigkeiten ergaben sich auffällig oft bei hybriden Verhandlungen, bei denen nur eine Partei per Video zugeschaltet war und sich die Gegenseite im Gerichtssaal aufhielt, dort aber nicht zu sehen und schlecht zu verstehen war, weil nur eine statische Kamera und nur ein Mikrofon zur Verfügung standen.

Weitere Anwälte bestätigen diese Erfahrungen für andere Gerichtsbarkeiten. „In Nordrhein-Westfalen sind Videoverhandlungen jedenfalls an den Arbeitsgerichten ein nur theoretisches Thema“, schrieb einer. Der Grund auch hier: Das nicht vorhandene Equipment. „Eine Technik, die faktisch nicht zur Verfügung steht, kann nicht eingesetzt werden“, heißt es in einem ablehnenden Beschluss des Arbeitsgerichts Bielefeld.

Die Ausstattung war auch Thema in fast allen Rückmeldungen aus der Richterschaft. Kritik gab es zudem an der technischen Abwicklung. Aus dem OLG Nürnberg wurde etwa berichtet, dass die Verfahrensbeteiligten Kontakt zu einer eigens eingerichteten „Video-Gruppe“ aufnehmen müssen, von der sie Login-Daten erhalten. Am Tag vor der Sitzung wird eine Testschaltung durchgeführt. Einwahldaten dürfen auf Anweisung der IT ausschließlich an die Bevollmächtigten herausgegeben werden, so dass die Parteien nur mit diesen gemeinsam über einen Rechner teilnehmen können.

Keine Einschränkungen bei Vergleichsbereitschaft


Ein ausführlicher Bericht aus einem baden-württembergischen Gericht räumt mit vielen Vorurteilen auf. Darin heißt es etwa, dass „entgegen allgemein kolportierter Befürchtungen Zeugenaussagen nicht schlechter oder schwerer beurteilt werden können“. Die Unmittelbarkeit der Verhandlung sei nur geringfügig betroffen. Außerdem konnten in den Videoverhandlungen an diesem Gericht keine Einschränkungen bei Vergleichsbereitschaft und Erörterungsmöglichkeiten festgestellt werden. Es sei auch zu keinen Störungen wie etwa verbotenen Aufzeichnungsversuchen oder Einflussnahme von außen gekommen. In einer Stellungnahme aus dem LG Hannover heißt es hingegen: Die Parteianhörung gestalte sich per Video mühsamer, wenn es auf den persönlichen Eindruck ankomme. Für Beweisaufnahmen mit Zeugen oder Parteivernehmungen eigneten sich Videoverhandlungen daher nur in Ausnahmefällen.

Einig ist man sich in Baden-Württemberg und Niedersachsen, dass sich besonders solche Verfahren für virtuelle Verhandlungen eignen, in denen es vornehmlich um Rechtsfragen oder wiederkehrende und gleichgelagerte Sachverhalte geht. Miet- und Nachbarstreitigkeiten kämen hingegen wegen der emotionalen Komponente weniger gut in Betracht. Während man beim LG Hannover das Instrument des § 128a ZPO für eine wertvolle Ergänzung des prozessualen Werkzeugkastens hält, heißt es in dem Vermerk aus Baden-Württemberg zusammenfassend euphorischer: „Die Videokonferenztechnik im Gerichtsverfahren ist praktikabel, ein großer Gewinn und niedrigschwellig einsetzbar.“ •

Rechtsanwalt Tobias Freudenberg ist Schriftleiter der NJW.