Urteilsanalyse
Vorschnelle Aufgabe der Übermittlung eines fristgebundenen Schriftsatzes per Telefax
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Einem Rechtsanwalt gereicht es nach einem weiteren Beschluss des BGH zum Verschulden, wenn er den Versuch, einen fristgebundenen Schriftsatz (hier: Berufungsschrift) per Telefax an das Gericht zu übermitteln, vorschnell aufgibt und die für ihn nicht aufklärbare Ursache der aufgetretenen Übermittlungsschwierigkeiten der Risikosphäre des Empfangsgerichts zuschreibt.

21. Okt 2021

Anmerkung von
Rechtsanwalt beim BGH Dr. Guido Toussaint, Toussaint & Schmitt, Karlsruhe

Aus beck-fachdienst Zivilverfahrensrecht 21/2021 vom 15.10.2021

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Sachverhalt

Am Tag nach Ablauf der Berufungsfrist ist auf dem Postweg die auf den Vortag datierte Berufungsschrift des in erster Instanz unterlegenen Klägers beim OLG eingegangen. Zur Begründung eines gesonderten, ebenfalls auf den Tag des Fristablaufs datierten Wiedereinsetzungsantrags hat der Kläger unter Beifügung von Sendeprotokollen geltend gemacht, im unmittelbaren Anschluss an die Zustellung des Urteils des LG habe er sich um die Erteilung einer Deckungszusage seines Rechtsschutzversicherers bemüht. Nach deren Zugang bei seinen Prozessbevollmächtigten am Vormittag des letzten Tags der Berufungseinlegungsfrist habe deren Mitarbeiterin M. um 14.00 Uhr, 14.27 Uhr, 15.03 Uhr und 15.05 Uhr jeweils erfolglos versucht, die Berufungsschrift per Telefax an das OLG unter der ihnen bekannten Nummer des Telefaxanschlusses zu übermitteln. In den durch das in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten befindliche Faxgerät ausgegebenen Sendeprotokollen sei jeweils das Fehlschlagen der Übermittlung der Rechtsmittelschrift ausgewiesen worden. Der beim OLG an diesem Nachmittag diensthabende Justizbedienstete habe den Prozessbevollmächtigten weder die Rufnummer eines alternativen Telefaxanschlusses bekanntgegeben, noch habe er ihnen einen telefonischen Kontakt zu einer Geschäftsstelle des OLG vermittelt. Daraufhin hätten seine Prozessbevollmächtigten die Berufungsschrift auf dem Postweg an das OLG versandt.

Das OLG hat, nachdem es zuvor den Parteien mitgeteilt hatte, dass am fraglichen Tag in der Zeit zwischen 14.00 Uhr und 15.31 Uhr 15 Telefaxsendungen ordnungsgemäß eingegangen, fehlgeschlagene Übermittlungsversuche während dieses Zeitraums nicht verzeichnet worden seien und das letzte Telefax an dem betreffenden Tage um 23.23 Uhr ordnungsgemäß empfangen worden sei, den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen. Die bis zum Ablauf der Berufungsfrist unterbliebene Übermittlung der Berufungsschrift an das Berufungsgericht beruhe auf einem Verschulden der Prozessbevollmächtigten des Klägers. Der Kläger habe weder dargelegt noch glaubhaft gemacht, dass sich seine Prozessbevollmächtigten in dem sich an die erfolglosen Übermittlungsversuche anschließenden Zeitraum von 15.05 Uhr bis 24.00 Uhr bemüht hätten, die Rechtsmittelschrift an den Telefaxanschluss des OLG zu übermitteln. Die Prozessbevollmächtigten hätten nach ihren Versendungsversuchen am frühen Nachmittag nicht davon ausgehen dürfen, dass eine Telefaxübermittlung vor Fristablauf nicht möglich sein werde. Bekanntermaßen häuften sich gerade am Nachmittag die Telefaxsendungen an die Gerichte. Daher liege bei einem Scheitern der Übermittlung zu dieser Zeit die Vermutung nahe, dass der Telefaxanschluss des Gerichts durch andere Sendungen besetzt sei. Die Prozessbevollmächtigten hätten deshalb versuchen müssen, die Berufungsschrift zu einem späteren Zeitpunkt durch Telefax zu übermitteln. Dies wäre jedenfalls erfolgreich gewesen. Am fraglichen Tag seien beim OLG zwischen 16.41 Uhr und dem Ende des Tages insgesamt nur sieben Telefaxsendungen eingegangen, während die Telefaxeingänge zwischen 14.00 Uhr und 16.41 Uhr sich auf insgesamt 30 belaufen hätten.

Entscheidung

Der BGH hat die (ohne weiteres statthafte, §§ 574 I 1 Nr. 1, 522 I 4, 238 II 1 ZPO) Rechtsbeschwerde des Klägers gegen den Beschluss des OLG als unzulässig verworfen. Das OLG habe den Wiedereinsetzungsantrag des Klägers mit Recht zurückgewiesen, weil seine Prozessbevollmächtigten die Frist zur Einlegung der Berufung schuldhaft versäumt hätten. Die Begründung des OLG entspreche der Rspr. des BGH, ein besonderer Zulassungsgrund iSd § 574 II ZPO sei daher nicht ersichtlich.

Störungen am Empfangsgerät des Gerichts und an den Übermittlungsleitungen sind dem Kläger nicht zuzurechnen

Soweit der Kläger geltend mache, dass sein Wiedereinsetzungsantrag nicht so zu verstehen sei, dass die Übermittlung der Berufungsschrift per Telefax an der Belegung des Telefaxgerätes des Berufungsgerichts durch andere eingehende Sendungen gescheitert sei, sondern vielmehr geltend mache, dass nach den Hinweisen in den Sendeprotokollen „Fax fehlgeschlagen“ und „Keine Antwort“  auf eine fehlende Erreichbarkeit des angewählten Faxgeräts zu schließen gewesen sei, mache er allerdings einen von ihm nicht zu vertretenden Umstand geltend. Denn die aus den technischen Gegebenheiten des Kommunikationsmittels Telefax herrührenden besonderen Risiken dürften nicht auf den Nutzer dieses Mediums abgewälzt werden. Vielmehr habe er mit der Wahl einer Telefaxübertragung bei ordnungsgemäßer Nutzung eines funktionsfähigen Sendegeräts und der korrekten Eingabe der Empfängernummer das seinerseits Erforderliche zur Fristwahrung getan, wenn er so rechtzeitig mit der Übermittlung beginnt, dass unter normalen Umständen mit ihrem Abschluss bis zum Fristablauf zu rechnen sei. Das gelte auch, wenn das Empfangsgerät des Gerichts gestört sei, denn in diesem Fall liege die entscheidende Ursache für die Fristversäumung in der Sphäre des Gerichts. Auch Störungen der Übermittlungsleitungen seien dem gewählten Übertragungsmedium immanent, weil ein Telefax nur über sie zum Empfangsgerät gelange. Leitungsstörungen, die zur fehlenden Erreichbarkeit des angewählten Faxgerätes führten, seien daher ebenfalls der Risikosphäre des Gerichts zuzuordnen.

Es mussten aber alle noch möglichen und zumutbaren Maßnahmen zur Fristwahrung ergriffen werden

Dies sei hier indessen unerheblich, denn es befreie den Prozessbevollmächtigten nicht davon, alle noch möglichen und zumutbaren Maßnahmen zur Fristwahrung zu ergreifen, wenn wegen einer technischen Störung eine Telefaxverbindung (zunächst) nicht zustande komme, wobei die Gerichte die Anforderungen an die dem Prozessbevollmächtigten obliegende Sorgfalt nicht überspannen dürften. Er müsse daher zwar nicht – unter Aufbietung aller nur denkbaren Anstrengungen – innerhalb kürzester Zeit eine andere als die gewählte Zugangsart sicherstellen, wohl aber sei er gehalten, bis zum Fristablauf weitere Übermittlungsversuche zu unternehmen, um auszuschließen, dass die Übermittlungsschwierigkeiten in seinem Bereich lägen. Das gelte jedenfalls dann, wenn er auch eine lediglich zeitlich beschränkte – dh bis zum Fristablauf wieder behobene – technische Störung in Betracht ziehen müsse. Es gereiche ihm deshalb zum Verschulden, wenn er unter diesen Voraussetzungen seine Übermittlungsversuche vorschnell weit vor Fristablauf aufgebe und die für ihn letztlich nicht aufklärbare Ursache der aufgetretenen Übermittlungsschwierigkeiten dem Empfangsgericht zuschreibe. So aber habe der Fall hier gelegen. Denn der Kläger habe nichts zur Dauer der von seinen Prozessbevollmächtigten – infolge des Vermerks „Keine Antwort“ in den Faxprotokollen – angenommenen fehlenden Erreichbarkeit des angewählten Faxgeräts vorgetragen. Tatsächliche Anhaltspunkte für eine bis zum Fristablauf ununterbrochen andauernde technische Störung ließen sich weder seinem Vorbringen noch beigefügten oder sonstigen Unterlagen entnehmen. Die Prozessbevollmächtigten des Klägers hätten daher (auch) in Betracht ziehen müssen, dass das Scheitern der Übermittlungsversuche in der Zeit von 14.00 Uhr bis 15.05 Uhr auf einer lediglich vorübergehenden technischen Störung beruht habe, und deswegen nach dieser Zeit weitere Versuche unternehmen müssen. Dass sie dies nicht getan, sondern stattdessen die Berufungsschrift auf dem Postweg an das OLG versandt haben hätten, sei ihnen als – dem Kläger nach § 85 II ZPO zuzurechnender – schuldhafter Verstoß gegen die sie treffende erhöhte Sorgfaltspflicht bei Übersendung eines Schriftsatzes am letzten Tag der Frist vorzuwerfen. Habe ein Rechtsanwalt nicht alle ihm möglichen und zumutbaren Maßnahmen der Fristwahrung ergriffen, gehe es zu seinen Lasten, wenn nicht festgestellt werden könne, dass die Frist auch bei Durchführung dieser Maßnahmen versäumt worden wäre. Es sei jedenfalls nicht auszuschließen, dass im Fall eines nach 15.05 Uhr vorgenommenen Wiederholungsversuchs die Berufungsschrift noch fristgerecht an das Berufungsgericht übermittelt worden wäre, wofür iÜ – ohne dass dies noch entscheidungserheblich sei – spreche, dass nach den Feststellungen des Berufungsgerichts vom Nachmittag des fraglichen Tages bis 24 Uhr noch mehrere Telefaxsendungen bei ihm eingingen.

Praxishinweis

Nach stRspr des BGH kann eine Partei Fristen zwar bis zur letzten Sekunde ausnutzen, doch trifft sie (bzw. ihren Prozessbevollmächtigten) bei Vornahme fristwahrender Maßnahmen erst kurz vor Fristablauf eine erhöhte Sorgfaltspflicht. Scheitert ein Übermittlungsversuch per Telefax, muss er zwar nicht ohne weiteres auf einen anderen Übermittlungsweg ausweichen (zB durch Boten, vgl. BGH NJW-RR 2003, 861, oder per – unvertrautem! – beA, vgl. BGH NJW 2021, 390 mAnm Elzer FD-ZVR 2021, 435714), er darf aber nicht „vorschnell“ (so bereits etwa BGH NJW 2019, 3310) aufgeben. Die sich insoweit stellenden Anforderungen werden damit zwar nicht sonderlich präzise definiert, in dem hier vorliegenden Fall einer Aufgabe bereits am frühen Nachmittag aber sicherlich nicht eingehalten (der BGH hat in der hier besprochenen Entscheidung ausdrücklich offengelassen, ob ein Rechtsanwalt in einer derartigen Situation gehalten ist, die Übermittlungsversuche gegebenenfalls bis 24 Uhr fortzusetzen). Die Übermittlung fristgebundener Schriftsätze per Telefax ist zwar ein bald der Vergangenheit angehörendes „Auslaufmodell“, doch sind Fallgestaltung und Rechtsprechungsgrundsätze ohne weiteres auch auf eine Übermittlung per beA übertragbar.

BGH, Beschluss vom 26.08.2021 - III ZB 9/21, BeckRS 2021, 28497