Urteilsanalyse
Vorliegen einer formellen Beschwer
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Die für die Zulässigkeit der Berufung erforderliche Beschwer liegt - so der Bundesgerichtshof - grundsätzlich bereits darin, dass ein in erster Instanz gestellter Antrag abgewiesen wird (formelle Beschwer).

19. Jul 2022

Anmerkung von
Richter am Kammergericht Dr. Oliver Elzer, Berlin

Aus beck-fachdienst Zivilverfahrensrecht 124/2022 vom 15.07.2022

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Sachverhalt

K beantragt B unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils zu verurteilen, es zu unterlassen „über einen STP zum Netz der K unter Verwendung von gemieteten oder geliehen GT eines Roamingpartners der K und unter Einsatz der hierzu erforderlichen Technik (SIGTRAN-Gateway und eigene Netzwerktechnik/virtuelles SMSC) in SS7 Daten in das Netz der K einzuleiten, auszulesen und zu verändern, insbesondere im geschäftlichen Verkehr in der vorgenannten Art und Weise in SS7 Daten in das Netz der Klägerin einzuleiten, um A2P-SMS an Mobilfunkteilnehmer der Klägerin zuzustellen“ (= Hauptantrag), hilfsweise, „zu Zwecken des Wettbewerbs im geschäftlichen Verkehr STP zum Netz der K gegen deren Willen zu verwenden, ohne unmittelbare vertragliche Vereinbarung mit der Klägerin mit einen von einem Roamingpartner des K abgeleiteten GT einzusetzen, um über SS7 ein Netzelement der K (HLR oder SMSC) anzusteuern, um digitale Daten in Form von A2P-SMS Daten einzuleiten und auszulesen“ (Hilfsantrag).

Das OLG hält die Berufung insoweit (es gibt noch weitere Anträge) für unzulässig. Soweit K von B mit dem Hauptantrag die Unterlassung begehre, Daten auszulesen oder zu verändern, fehle es an einer Beschwer, jedenfalls sei die Klage unbegründet. Der Hilfsantrag stellte sich hingegen als Konkretisierung eines schon im Hauptantrag als Minus erkennbaren Verlangens dar, bildete keinen eigenen Streitgegenstand und sei auch nicht begründet.

Entscheidung: Die statthafte Rechtsbeschwerde ist unzulässig

Dies sieht der BGH anders! Die für die Zulässigkeit der Berufung erforderliche Beschwer habe bereits darin gelegen, dass die in erster Instanz entsprechend dem nunmehrigen Hauptantrag formulierten Hilfsanträge abgewiesen worden seien (formelle Beschwer). Das mit dem Hauptantrag verfolgte Rechtsschutzziel sei mit der Verurteilung durch das LG auch nicht teilweise identisch. Zwar diene im Allgemeinen ein mit „insbesondere“ eingeleiteter Teil eines Unterlassungsantrags grds. nur zur Erläuterung des in erster Linie beantragten abstrakten Verbots (Hinweis auf BGH GRUR 2016, 705 Rn. 13), führe also nicht zu einer Einschränkung des vorhergehend formulierten Klagebegehrens, und stelle eine Auslegungshilfe dar (Hinweis auf BGH GRUR 2018, 417 Rn. 28). Hier liege es ausnahmsweise aber anders.

Praxishinweis

Ungeschriebene Zulässigkeitsvoraussetzung jedes Rechtsmittels ist die Beschwer des Rechtsmittelführers. Für den Kläger bzw. Antragsteller kommt es auf die formelle Beschwer an, die sich aus dem Unterschied zwischen dem in der Vorinstanz Beantragten und dem tatsächlich Zuerkannten ergibt. Für den Beklagten bzw. Antragsgegner kommt nach hM auf die materielle Beschwer an, die aus der Beeinträchtigung eigener Rechtspositionen bzw. der Erweiterung des eigenen Pflichtenkreises durch die Entscheidung folge.

Ein mit „insbesondere“ eingeleiteter Teil eines Unterlassungsantrags dient nach Ansicht des I. Zivilsenats zum einen der Erläuterung des in erster Linie beantragten abstrakten Verbots, indem er beispielhaft verdeutlicht, was unter der im abstrakten Antragsteil genannten Form zu verstehen ist. Zum anderen kann der Kläger auf diese Weise deutlich machen, dass Gegenstand seines Begehrens nicht allein ein umfassendes, abstrakt formuliertes Verbot ist, sondern dass er – falls er insoweit nicht durchdringt – jedenfalls die Unterlassung des konkret beanstandeten Verhaltens begehrt, wobei allerdings auch dieser „insbesondere“-Zusatz den allgemeinen Regeln unterliegt und deshalb dem Bestimmtheitsgebot entsprechen muss. Der Fall zeigt, dass es jedenfalls bei anderen Zivilsenaten auch einmal anders sein kann.

Der Beklagte hatte im Übrigen angeregt, die Sache an den BGH-Kartellsenat (§ 94 Abs. 1 Nr. 3 lit. a GWB iVm § 87 S. 2 GWB) abzugeben. Dies hat der Sachenrechtssenat abgelehnt. Ein Zivilsenat könne seine Zuständigkeit bejahen, wenn er keine ernsthaften Zweifel daran habe, dass sich der Klageanspruch nicht aus dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen herleiten lasse (Hinweis auf BGH WRP 2020, 198 Rn. 25 = FD-ZVR 2020, 424240 (Ls.)). Gleiches gelte, wenn eine kartellrechtliche Vorfrage von dem Zivilsenat ohne Weiteres selbst beantwortet werden könne, weil sich die Antwort unzweifelhaft aus der Anwendung des Gesetzes ergebe oder der Kartellsenat die Frage bereits geklärt habe (Hinweis ua auf BGH BeckRS 2013, 1515). Und so liege es im Fall: Der kartellrechtliche Anspruch, den B im Rahmen ihres Einwandes nach § 242 BGB geltend mache, bestehe unzweifelhaft nicht.


Sachverhalt

K beantragt B unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils zu verurteilen, es zu unterlassen „über einen STP zum Netz der K unter Verwendung von gemieteten oder geliehen GT eines Roamingpartners der K und unter Einsatz der hierzu erforderlichen Technik (SIGTRAN-Gateway und eigene Netzwerktechnik/virtuelles SMSC) in SS7 Daten in das Netz der K einzuleiten, auszulesen und zu verändern, insbesondere im geschäftlichen Verkehr in der vorgenannten Art und Weise in SS7 Daten in das Netz der Klägerin einzuleiten, um A2P-SMS an Mobilfunkteilnehmer der Klägerin zuzustellen“ (= Hauptantrag), hilfsweise, „zu Zwecken des Wettbewerbs im geschäftlichen Verkehr STP zum Netz der K gegen deren Willen zu verwenden, ohne unmittelbare vertragliche Vereinbarung mit der Klägerin mit einen von einem Roamingpartner des K abgeleiteten GT einzusetzen, um über SS7 ein Netzelement der K (HLR oder SMSC) anzusteuern, um digitale Daten in Form von A2P-SMS Daten einzuleiten und auszulesen“ (Hilfsantrag).

Das OLG hält die Berufung insoweit (es gibt noch weitere Anträge) für unzulässig. Soweit K von B mit dem Hauptantrag die Unterlassung begehre, Daten auszulesen oder zu verändern, fehle es an einer Beschwer, jedenfalls sei die Klage unbegründet. Der Hilfsantrag stellte sich hingegen als Konkretisierung eines schon im Hauptantrag als Minus erkennbaren Verlangens dar, bildete keinen eigenen Streitgegenstand und sei auch nicht begründet.

Entscheidung: Die statthafte Rechtsbeschwerde ist unzulässig

Dies sieht der BGH anders! Die für die Zulässigkeit der Berufung erforderliche Beschwer habe bereits darin gelegen, dass die in erster Instanz entsprechend dem nunmehrigen Hauptantrag formulierten Hilfsanträge abgewiesen worden seien (formelle Beschwer). Das mit dem Hauptantrag verfolgte Rechtsschutzziel sei mit der Verurteilung durch das LG auch nicht teilweise identisch. Zwar diene im Allgemeinen ein mit „insbesondere“ eingeleiteter Teil eines Unterlassungsantrags grds. nur zur Erläuterung des in erster Linie beantragten abstrakten Verbots (Hinweis auf BGH GRUR 2016, 705 Rn. 13), führe also nicht zu einer Einschränkung des vorhergehend formulierten Klagebegehrens, und stelle eine Auslegungshilfe dar (Hinweis auf BGH GRUR 2018, 417 Rn. 28). Hier liege es ausnahmsweise aber anders.

Praxishinweis

Ungeschriebene Zulässigkeitsvoraussetzung jedes Rechtsmittels ist die Beschwer des Rechtsmittelführers. Für den Kläger bzw. Antragsteller kommt es auf die formelle Beschwer an, die sich aus dem Unterschied zwischen dem in der Vorinstanz Beantragten und dem tatsächlich Zuerkannten ergibt. Für den Beklagten bzw. Antragsgegner kommt nach hM auf die materielle Beschwer an, die aus der Beeinträchtigung eigener Rechtspositionen bzw. der Erweiterung des eigenen Pflichtenkreises durch die Entscheidung folge.

Ein mit „insbesondere“ eingeleiteter Teil eines Unterlassungsantrags dient nach Ansicht des I. Zivilsenats zum einen der Erläuterung des in erster Linie beantragten abstrakten Verbots, indem er beispielhaft verdeutlicht, was unter der im abstrakten Antragsteil genannten Form zu verstehen ist. Zum anderen kann der Kläger auf diese Weise deutlich machen, dass Gegenstand seines Begehrens nicht allein ein umfassendes, abstrakt formuliertes Verbot ist, sondern dass er – falls er insoweit nicht durchdringt – jedenfalls die Unterlassung des konkret beanstandeten Verhaltens begehrt, wobei allerdings auch dieser „insbesondere“-Zusatz den allgemeinen Regeln unterliegt und deshalb dem Bestimmtheitsgebot entsprechen muss. Der Fall zeigt, dass es jedenfalls bei anderen Zivilsenaten auch einmal anders sein kann.

Der Beklagte hatte im Übrigen angeregt, die Sache an den BGH-Kartellsenat (§ 94 Abs. 1 Nr. 3 lit. a GWB iVm § 87 S. 2 GWB) abzugeben. Dies hat der Sachenrechtssenat abgelehnt. Ein Zivilsenat könne seine Zuständigkeit bejahen, wenn er keine ernsthaften Zweifel daran habe, dass sich der Klageanspruch nicht aus dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen herleiten lasse (Hinweis auf BGH WRP 2020, 198 Rn. 25 = FD-ZVR 2020, 424240 (Ls.)). Gleiches gelte, wenn eine kartellrechtliche Vorfrage von dem Zivilsenat ohne Weiteres selbst beantwortet werden könne, weil sich die Antwort unzweifelhaft aus der Anwendung des Gesetzes ergebe oder der Kartellsenat die Frage bereits geklärt habe (Hinweis ua auf BGH BeckRS 2013, 1515). Und so liege es im Fall: Der kartellrechtliche Anspruch, den B im Rahmen ihres Einwandes nach § 242 BGB geltend mache, bestehe unzweifelhaft nicht.