Urteilsanalyse
Vorbehalt des freien Widerrufs im gemeinschaftlichen Testament zulässig
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Da es den Ehegatten freisteht zu bestimmen, ob und inwieweit ihre letztwilligen Anordnungen wechselbezüglich sein sollen, sind sie nach einem Beschluss des OLG Rostock auch befugt, die Widerruflichkeit wechselbezüglicher Verfügungen über dem im Gesetz vorgesehenen Rahmen hinaus zu erweitern und dem Überlebenden ein freies Widerrufsrecht einzuräumen.

29. Jan 2021

Anmerkung von 
JR Dr. Wolfgang Litzenburger, Notar in Mainz
 
Aus beck-fachdienst Erbrecht 01/2021 vom 25.01.2021

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Sachverhalt

Die Erblasserin war in zweiter Ehe mit dem vorverstorbenen F. E. B. verheiratet. Die Erblasserin hatte aus ihrer ersten Ehe drei Kinder, und zwar die Beteiligten zu 1) bis 3). Ihr vorverstorbener Ehemann hatte zwei Kinder, und zwar die Beteiligten zu 4) und 5).

Die Eheleute hatten 2009 ein gemeinschaftliches Testament beurkunden lassen. Hierin hatten sie sich zunächst gegenseitig zu Alleinerben eingesetzt und zu Schlusserben des Zuletztsterbenden sämtliche Abkömmlinge der Ehefrau und des Ehemanns zu gleichen Teilen. In § 5 (Wechselbezüglichkeit und Bindung) haben sie folgendes testiert:

„Dieses Testament soll nicht gemäß § 2079 BGB (Übergehung eines Pflichtteilsberechtigten) angefochten werden können.

Die vorstehenden Erbeinsetzungen sind wechselbezüglich. Sie können somit zu unserer beider Lebzeiten nur gemeinschaftlich geändert oder durch einseitigen notariell beurkundeten Widerruf beseitigt werden.

Nach dem Tod des zuerst Sterbenden kann der Überlebende über das beiderseitige Vermögen frei verfügen.

Er ist darüber hinaus auch berechtigt, letztwillig anderweitig über den beiderseitigen Nachlass zu verfügen.“

Nach dem Tod ihres Ehemanns hat die Erblasserin 2014 in einem handschriftlichen Testament verfügt, „dass nach meinem Ableben meine Kinder zu gleichen Teilen erbberechtigt sind … Das notarielle Testament vom 05.11.2009 verliert hiermit seine Gültigkeit “.

Die Beteiligte zu 3) hat nach dem Tod der Erblasserin die Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins beantragt, nach dem die Erblasserin von ihren Kindern, den Beteiligten zu 1) bis 3), zu gleichen Teilen beerbt worden ist.

Die Tochter des vorverstorbenen Ehemanns der Erblasserin, die Beteiligte zu 4), hat indes Einwände gegen die Erteilung des beantragten Erbscheins erhoben, weil die Erbeinsetzung im ursprünglichen Testament bindend gewesen sei und nicht nachträglich durch die Erblasserin habe geändert werden können.

Das Amtsgericht hat durch Beschluss die zur Erteilung des beantragten Erbscheins erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet. Hiergegen hat die Beteiligte zu 4) Beschwerde eingelegt, der das Amtsgericht nicht abgeholfen und die Sache stattdessen dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt hat.

Entscheidung: Die Beschwerde wird zurückgewiesen, weil es den Ehegatten freistand zu bestimmen, ob und inwieweit ihre letztwilligen Anordnungen wechselbezüglich sein sollen.

Nach § 2271 Abs. 2 BGB erlischt das Recht des Ehegatten zum Widerruf der in einem gemeinschaftlichen Testament getroffenen wechselbezüglichen Verfügung mit dem Tode des anderen Ehegatten. Wechselbezüglich sind nach § 2270 Abs. 1 BGB dabei nur diejenigen in einem gemeinschaftlichen Ehegattentestament getroffenen Verfügungen, von denen anzunehmen ist, dass die Verfügung des einen nicht ohne die Verfügung des anderen getroffen sein würde.

Ob vorliegend eine Wechselbezüglichkeit vorliegt, kann jedoch dahingestellt bleiben, denn die im gemeinschaftlichen Testament vereinbarte Wechselbezüglichkeit sollte sich letztlich nur auf die Lebzeiten beider Eheleute beschränken.

Da es den Ehegatten freisteht zu bestimmen, ob und inwieweit ihre letztwilligen Anordnungen wechselbezüglich sein sollen, sind sie auch befugt, die Widerruflichkeit wechselbezüglicher Verfügungen über dem im Gesetz vorgesehenen Rahmen hinaus zu erweitern bzw. zu beschränken oder auszuschließen und dem Überlebenden sogar ein freies Widerrufsrecht einzuräumen.

Ein solches ergibt sich aus der gebotenen Auslegung der Abänderungsklausel in § 5 des gemeinschaftlichen Testaments der Eheleute. Dort heißt es: „Er ist darüber hinaus auch berechtigt, letztwillig anderweitig über den beiderseitigen Nachlass zu verfügen “. Es geht dabei nicht nur darum, dass der Überlebende berechtigt sein soll, über das beiderseitige Vermögen nach Vorversterben des Ehepartners zu Lebzeiten frei zu verfügen - dies ist in der Klausel zuvor gesondert geregelt worden - sondern, dass der Überlebende auch berechtigt sein soll, grundsätzlich (völlig) anderweitige Verfügungen über den beiderseitigen Nachlass zu treffen. Dies wäre nicht möglich, wenn weiterhin eine Schlusserbschaft der Beteiligten zu 1) bis 5) bestanden hätte. Bei einem notariell beurkundeten Testament kann unterstellt werden, dass diese Klausel in Kenntnis ihrer Bedeutung aufgenommen worden ist.

Die Beteiligte zu 4) hat auch keine konkreten Umstände vorgetragen, die dem entgegenstehen könnten.

Die Erblasserin hat in ihrem handschriftlichen Testament das vorherige gemeinschaftliche Testament der Eheleute als ungültig bezeichnet, also widerrufen. Der Verwendung der Begrifflichkeit „Widerruf“ bedurfte es insoweit nicht. Der Widerruf kann sich bereits aus einer späteren Erbeinsetzung unter Weglassung zunächst berufener Schlusserben ergeben. Damit haben die wechselseitigen Verfügungen des gemeinschaftlichen Testaments ihre Wirksamkeit verloren.

Praxishinweis

Diese im Ergebnis überzeugende Senatsentscheidung bietet Anlass, die große Gestaltungsfreiheit bei Widerrufs- und Änderungsvorbehalten zu erörtern. Mit Recht weist der Senat nämlich darauf hin, dass es den Beteiligten eines gemeinschaftlichen Testaments - ebenso wie denen eines Erbvertrags - frei steht zu bestimmen, ob und inwieweit ihre letztwilligen Anordnungen wechselbezüglich bzw. vertragsmäßig bindend sein sollen, so dass sie auch befugt sind, die Widerruflichkeit solcher Verfügungen über dem im Gesetz vorgesehenen Rahmen hinaus zu erweitern bzw. zu beschränken oder auszuschließen, ja  sogar dem Überlebenden ein völlig freies Widerrufsrecht einzuräumen.

Da die erbrechtliche Bindungswirkung von Verfügungen Ausdruck der verfassungsrechtlich verbürgten Testierfreiheit ist, können die Beteiligten frei bestimmen, ob und in welchem Umfang der Überlebende von ihnen - abweichend von der Regel des § 2271 Abs. 2 BGB - anders letztwillig verfügen darf. Deshalb begegnet es keinerlei Bedenken, wenn die Beteiligten – wie hier – dem Längerlebenden sogar ein völlig freies Testierrecht einräumen, und zwar auch über das im Rahmen eines Berliner Testaments geerbte Vermögen des zuerst verstorbenen Partners.  Trotzdem handelt es sich bei der mit einem solch weitgehenden Widerrufsvorbehalt versehenen Schlusserbeinsetzung (noch) um eine wechselbezügliche Verfügung, die in ihrer Wirkung von einer einseitigen Verfügung zu unterscheiden ist. Die Befugnis zum Widerruf beseitigt nämlich nur die Bindung des überlebenden Ehepartners an seine eigene wechselbezügliche Verfügung, besagt jedoch nichts über die Auswirkungen einer solchen Änderung auf die dazu wechselbezüglichen Verfügungen des Erstverstorbenen. Selbst dann, wenn die Änderungen – wie hier - ohne Einfluss auf dessen Verfügungen bleiben sollten, so äußert sich der Charakter der Wechselbezüglichkeit dann immer noch darin, dass andere Ereignisse als der Widerruf durch den überlebenden Ehepartner diese Verfügungen gemeinsam ihrer Wirksamkeit berauben können (vgl. BGH NJW 1951, 959; KG DNotZ 1977, 749). Vor diesem Hintergrund ist es übrigens nicht richtig, wenn der Senat feststellt, dass mit dem Widerruf durch die Erblasserin die „wechselseitigen Verfügungen" beider Beteiligten die Wirksamkeit verloren hätten. Die gegenseitige Erbeinsetzung, also die Erbeinsetzung der Erblasserin durch ihren vorverstorbenen Ehemann, ist nämlich keineswegs unwirksam geworden. Sie war allerdings auch nicht Gegenstand dieses Prozesses. Deshalb wäre es besser gewesen, wenn der Senat auf diese überflüssige Feststellung verzichtet hätte. Die eigene Verfügung der Erblasserin zugunsten aller Kinder im gemeinschaftlichen Testament ist dagegen sehr wohl durch den Widerruf unwirksam geworden.

Der Senat kommt zu diesem Ergebnis im vorliegenden Fall im Wege der einfachen oder erläuternden Auslegung, weil das notariell beurkundete gemeinschaftliche Testament in dieser Hinsicht eine ausdrückliche und unmissverständliche Formulierung enthält. Andernfalls hätte ein derartiger Widerrufs- bzw. Änderungsvorbehalt nur unter der Voraussetzung im Wege der ergänzenden Auslegung dem gemeinschaftlichen Testament entnommen werden können, wenn dieses mindestens eine entsprechende Andeutung enthalten hätte. Die Ermächtigung zur freien Verfügung über das beiderseitige Vermögen oder über den beiderseitigen Nachlass rechtfertigt es nämlich nicht ohne weitere Anhaltspunkte, einen solchen Vorbehalt anzunehmen. Eine derartige Bestimmung kann sich auch ausschließlich auf die lebzeitige Verfügungsbefugnis des Längstlebenden beim Berliner Testament beziehen und die erbrechtliche Bindung fortbestehen lassen (vgl. OLG Schleswig BeckRS 2014, 05596; BayObLG BeckRS 2009, 29033; OLG Hamm BeckRS 2001, 30208780).

Die auf Grund eines solchen Vorbehalts zulässige Änderung einer eigenen wechselbezüglichen Verfügung des überlebenden Ehepartners kann in jeder beliebigen Verfügung von Todes wegen geschehen. Auch wenn sie einen Widerruf beinhaltet, bedarf sie – wie der Senat zutreffend feststellt - nicht der notariellen Beurkundung.

Die Beschwerdeführerin wäre demzufolge besser beraten gewesen, wenn sie innerhalb der 3jährigen Verjährungsfrist nach dem Tod ihres Vaters den gesetzlichen Pflichtteil von ihrer Stiefmutter gefordert hätte. Faktisch zwingt nämlich die in dem entschiedenen Fall gewählte Erbfolgegestaltung die Abkömmlinge des zuerst verstorbenen Beteiligten dazu, den Pflichtteil nach dem leiblichen Elternteil zu fordern, wollen sie nicht am Ende - wie die Beschwerdeführerin - mit leeren Händen dastehen. Da die Geltendmachung dieses Pflichtteils aber typischerweise bei der Entscheidung für ein „Berliner Testament“ in einer Patch-Work-Familie nicht gewünscht ist, entscheiden sich die Beteiligten, um die eigenen Abkömmlinge zu schützen, überwiegend gegen ein freies Änderungsrecht und für eine Beschränkung der Testierfreiheit des länger lebenden Beteiligten. Im vorliegenden Fall hätte § 5 des gemeinschaftlichen Testaments dann so lauten können:

Nach dem Tod des zuerst Sterbenden kann der Überlebende über das beiderseitige Vermögen frei verfügen. Er ist darüber hinaus auch berechtigt, letztwillig anderweitig über den beiderseitigen Nachlass zu verfügen; ausgeschlossen von dieser Widerrufs- und Änderungsbefugnis ist jedoch die Erbeinsetzung der nur mit dem zuerst Sterbenden verwandten Abkömmlinge.“

Die Änderungsbefugnis könnte zum Schutz der eigenen Abkömmlinge auch auf bestimmte Gegenstände (zB „über Hausgrundstück frei letztwillig verfügen“) beschränkt werden oder von bestimmten tatsächlichen Bedingungen abhängig gemacht werden (OLG Bamberg BeckRS 2020, 26531 [familiäre Zuwiderhandlung]; OLG München BeckRS 2008, 20568 [Veranlassung gegeben]; OLG Koblenz DNotZ 1998, 218 [triftige Gründe]). Ob allerdings derart unbestimmte Beschränkungen sinnvoll sind, muss bezweifelt werden. Wenn schon so eindeutig formulierte Vorbehalte wie im vorliegenden Fall Anlass zum Streit geben, dann gilt dies doch erst recht für Klauseln mit unbestimmten Begriffen. Deshalb ist bei der Formulierung von Widerrufs- bzw. Änderungsvorbehalten die allergrößte Sorgfalt anzuraten!

OLG Rostock, Beschluss vom 25.08.2020 - 3 W 94/19, BeckRS 2020, 34891