Anmerkung von
JR Dr. Wolfgang Litzenburger, Notar in Mainz
Aus beck-fachdienst Erbrecht 13/2021 vom 15.11.2021
Diese Urteilsbesprechung ist Teil des monatlich erscheinenden Fachdienstes Erbrecht. Neben weiteren ausführlichen Besprechungen der entscheidenden aktuellen Urteile im Erbrecht beinhaltet er ergänzende Leitsatzübersichten und einen Überblick über die relevanten neu erschienenen Aufsätze. Zudem informiert er Sie in einem Nachrichtenblock über die wichtigen Entwicklungen in Gesetzgebung und Praxis des Erbrechts. Weitere Informationen und eine Schnellbestellmöglichkeit finden Sie unter www.beck-online.de
Sachverhalt
Der in einer Pflegeeinrichtung verstorbene Erblasser hat seine Ehefrau und seine Tochter hinterlassen. Die Ehefrau - die Beteiligte zu 2.) - leidet ausweislich eines Attestes an einer Parkinson-Demenz (ICD G21.1) und ist nach einer ärztlichen Stellungnahme deswegen nicht mehr geschäftsfähig.
Die Ehefrau hatte 2013 eine schriftliche Vorsorgevollmacht errichtet, in der sie den Erblasser, ersatzweise ihre Tochter - die Beteiligte zu 1.) - u.a. dahingehend bevollmächtigt hatte, sie gegenüber Gerichten bei allen denkbaren Anträgen und Verfahrenshandlungen zu vertreten. Nach ihrem weiteren Inhalt sollte die Vollmacht eine rechtliche Betreuung ersetzen.
Gestützt auf diese Vollmacht und ein von dem Erblasser gemeinsam mit der Beteiligten zu 2.) verfasstes gemeinschaftliches Testament stellte die Beteiligte zu 1.) 2020 vor einem Notar in Vollmacht für die Beteiligte zu 2.) einen Erbscheinsantrag, ausweislich dessen der Erblasser von der Beteiligten zu 2.) als seiner alleinigen Erbin beerbt worden ist. Die hierzu notwendige eidesstattliche Versicherung gab die Beteiligte zu 1.) ebenfalls in der Urkunde ab.
Die Rechtspflegerin des Nachlassgerichts wies durch Verfügung darauf hin, dass dem Erbscheinsantrag u.a. deswegen nicht entsprochen werden könne, weil eine Stellvertretung bei der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung gemäß § 352 FamFG nicht zulässig sei, denn dabei handele es sich um eine Wissenserklärung. Nachdem die Beteiligte zu 1.) zunächst die Einrichtung einer Betreuung in Aussicht stellte, begehrte sie später eine rechtsmittelfähige Entscheidung.
Mit Beschluss vom 18.05.2021 lehnte das Nachlassgericht den Erlass des Erbscheins ab. Dagegen richtet sich die Beschwerde.
Entscheidung: Auf die Beschwerde wird der Beschluss des AG Bremen aufgehoben und an das Nachlassgericht zurückverwiesen. Das Nachlassgericht darf die Erbscheinserteilung nicht mit der bisher gegebenen Begründung verweigern.
1. Vertretung bei Antragstellung
Nach § 10 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 FamFG können sich Beteiligte im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit durch einen volljährigen Familienangehörigen vertreten lassen, so dass hier die 1968 geborene Beteiligte zu 1. postulationsfähig ist.
§ 11 S.1 FamFG verlangt dabei die Vorlage einer schriftlichen Vollmacht. „Schriftlich“ bedeutet indes nicht, wie das Nachlassgericht zu meinen scheint, eigenhändig geschrieben, sondern erfordert (nur) die eigenhändige Unterschrift unter einer z.B. maschinenschriftlich abgefassten Urkunde (vgl. § 126 Abs. 1 BGB).
Auch die Vorschriften des Erbscheinsverfahrens (§§ 352 ff. FamFG) sehen keine strengere Form vor. Bezüglich der Geschäftsfähigkeit der Beteiligten zu 2.) für das Jahr der Vollmachterteilung gilt gem. § 2229 BGB der Grundsatz, dass die Geschäftsfähigkeit der Regelfall, deren Fehlen aber die Ausnahme ist.
2. Abgabe der eidesstattlichen Versicherung durch den Bevollmächtigten
Nach allgemeiner Ansicht kann die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung (i.S.v. § 352 Abs. 3 S. 3 FamFG) im Grundsatz nicht durch einen gewillkürten Vertreter erfolgen (vgl. Staudinger/Herzog (2016) BGB § 2353 Rn. 210; Mayr in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Aufl., § 2353 Rn. 17 m.w.N; Harders in: Bumiller/Harders/Schwamb, FamFG, 12. Aufl., § 352 Rn. 23). Anders ist es indes bei der gesetzlichen Vertretung; hier kann der gesetzliche Vertreter die eidesstattliche Versicherung selbst, also nicht für den Vertretenen, erklären (vgl. Gierl in: Burandt/Rojahn, Erbrecht, 3. Aufl., § 352 FamFG Rn. 34 m.w.N.).
In Literatur und Rechtsprechung ist streitig, ob die eidesstattliche Versicherung durch einen Vorsorgebevollmächtigten erklärt werden kann (dafür: OLG Celle a.a.O.; OLG Düsseldorf a.a.O.; Harders, a.a.O.; Staudinger/Herzog a.a.O.; Mayr, a.a.O.; Fröhler in: Prütting/Helms, FamFG, 5. Aufl., § 352 FamFG Rn. 20; Palandt/Weidlich, 80. Aufl. § 2353 Rn. 30; Litzenburger, ZEV 2004, 450 ff.) oder ob es notwendig ist, zu diesem Zweck einen Betreuer als gesetzlichen Vertreter des Betroffenen zu bestellen (Schaal in: Bahrenfuss, FamFG, 3. Aufl. 2017, § 352 Rn. 5; Zimmermann in: Keidel, FamFG, 20. Aufl., § 352 Rn. 78; Griwotz in: MüKo 3. Aufl., § FAMFG § 352 FamFG, Rn. 94).
Der Senat schließt sich der erstgenannten Auffassung an. Dafür streitet zum einen die vom Gesetzgeber bewusst durch die Neuregelung des § 51 Abs. 3 ZPO gestärkte Stellung des Vorsorgebevollmächtigten mittels des Grundsatzes der Subsidiarität der Betreuung, welcher besagt, dass ein Volljähriger keines Vertreters bedarf, wenn ein wirksam Bevollmächtigter seine Angelegenheiten wahrnehmen kann (vgl. BT-Drucks. 15/2494 S. 39/40). Darüber hinaus hat schon Litzenburger (a.a.O.) zutreffend darauf hingewiesen, dass der mit der eidesstattlichen Versicherung verfolgte Zweck der Schaffung einer möglichst wahrheitsgetreuen Tatsachengrundlage für die Entscheidung des Erbscheinsantrags im Regelfall zuverlässiger dadurch erreicht wird, dass ein naher Angehöriger des Antragstellers, der im Regelfall das Vertrauen des Vorsorgevollmachtgebers genießt, die Erklärung abgibt, als wenn dies durch einen vom Betreuungsgericht eingesetzten (möglicherweise Berufs-) Betreuer erfolgt. Schließlich hat zuletzt der BGH in dem ähnlichen Problemfall der von einem Geschäftsunfähigen abzugebenden Vermögensauskunft nebst Erklärung an Eides Statt (§ 802 c ZPO) deren Abgabe durch einen Vorsorgebevollmächtigten ausdrücklich zugelassen (BGH NJW 2020, 1143, 1145 Rn. 21, 23 ff.).
Dass die vorliegende Vorsorgevollmacht auch die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung umfasst, kann angesichts ihrer Formulierung keinem ernsthaften Zweifel unterliegen.
Praxishinweis
Bemerkenswert an dieser Entscheidung ist nicht nur, dass sich damit bereits das dritte Obergericht innerhalb kurzer Zeit der Auffassung anschließt, dass Vorsorgebevollmächtigte die zur Erlangung des Erbscheins erforderliche eidesstattliche Versicherung abgeben können, sondern auch die dafür gegebene Begründung.
Der Senat zieht nämlich für das Erbscheinsverfahren Parallelen zur Auslegung der §§ 802c, 478 ZPO durch den Beschluss des BGH vom 23.10.2019 (NJW 2020, 1143, 1145 Rn. 19 ff.), wonach ein Vorsorgebevollmächtigter gemäß § 51 Abs. 3 ZPO berechtigt ist, für einen prozessunfähigen Schuldner die Vermögensauskunft samt eidesstattlicher Versicherung abzugeben. Eine enge Auslegung dieser Vorschrift – so der BGH - widerspreche dem Gedanken der Subsidiarität, der der Regelung des § 1896 Abs. 2 BGB zugrunde liege. Die Regelung des § 51 Abs. 3 ZPO bezwecke, Betreuungen soweit möglich zu vermeiden. Zu den wesentlichen Zielen des Betreuungsrechts gehöre es, verbliebene Reste der Selbstbestimmung Fürsorgebedürftiger zu wahren und zu fördern, Eingriffe in deren Freiheit durch Betreuungsmaßnahmen zu minimieren und eine Betreuung soweit möglich überhaupt zu vermeiden. Der Verwirklichung dieser Ziele diene in besonderem Maße der in § 1896 Abs. 2 BGB verankerte Gedanke der Subsidiarität der Betreuung. Der Betroffene solle die Besorgung seiner Angelegenheiten möglichst selbst und ohne staatliche Einmischung organisieren. Die Erforderlichkeit von Betreuerbestellungen sei daher auf ein Mindestmaß zu reduzieren. Dies diene neben der Stärkung des Selbstbestimmungsrechts des Betroffenen auch der Entlastung der Gerichte (Vgl. dazu auch BGH NJW-RR 2012, 772 Rn. 16; NJW-RR 2014, 385 Rn. 9 ff.).
Der Senat des OLG Bremen überträgt diese für die eidesstattliche Versicherung im Zwangsvollstreckungsverfahren entwickelte höchstrichterliche Rechtsprechung auf das Erbscheinsverfahren gemäß § 352 FamFG, ohne die dogmatische Grundlage dafür anzugeben. Eine Analogie liegt zwar nahe, doch muss die Frage gestellt werden, aus welchem Grund das FamFG zum 1.9.2009 ohne eine dem bereits seit dem 1.7.2005 geltenden § 51 Abs. 3 ZPO entsprechende Vertretungsregelung in Kraft getreten ist. Dazu muss man allerdings wissen, dass erst durch das Gesetz zum Internationalen Erbrecht und zur Änderung von Vorschriften zum Erbschein v. 29.6.2015 (BGBl. I S. 1042) die bisherigen §§ 2354−2356 BGB als §§ 352 ff. in das FamFG überführt worden sind. Vorher regelte das FamFG in § 352 lediglich das Verfahren zur Erteilung des Erbscheins. Einen unmittelbaren Handlungsbedarf gab es für den Gesetzgeber damals schon deshalb nicht, weil die eidesstattliche Versicherung des Antragstellers weder nach altem noch nach neuem Recht zwingende Antragsvoraussetzung war bzw. ist. Vielmehr stand es schon immer im pflichtgemäßen Ermessen des Nachlassgerichts auf deren Abgabe im Einzelfall gemäß § 352 Abs. 3 S. 4 FamFG zu verzichten, und damit ein dem § 51 Abs. 3 ZPO durchaus vergleichbares Ergebnis zu erreichen. Allerdings wird von diesem Ermessen pflichtwidriger Weise fast nie Gebrauch gemacht (vgl. dazu ausführlich Litzenburger, ZEV 2004, 450, 451 f.).
Vor diesem Hintergrund erscheint es gerechtfertigt, eine Gesetzeslücke im FamFG anzunehmen und § 51 Abs. 3 ZPO im Erbscheinsverfahren analog anzuwenden. Die Gesetzgebungsgeschichte des § 352 FamFG liefert jedenfalls keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Gesetzgeber des FamFG sich bewusst gegen die Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung durch einen Vorsorgebevollmächtigten im Erbscheinsverfahren entscheiden wollte. Wenn sich aber nach höchstrichterlicher Rechtsprechung der Subsidiaritätsgrundsatz des § 1896 Abs. 2 BGB in einem formalisierten Zwangsvollstreckungsverfahren, in dem gemäß §§ 802c, 478 ZPO sogar die persönliche Versicherung ausdrücklich vorgeschrieben ist, durchsetzt, so muss das doch erst recht im vom Amtsermittlungsgrundsatz beherrschten Erbscheinsverfahren gelten, weil damit der Beweiswert der Versicherung ohnehin von weitaus geringerer Bedeutung ist. Zudem ist im Erbscheinsverfahren sogar der völlige Verzicht auf die eidesstattliche Versicherung gemäß § 352 Abs. 3 S. 4 FamFG erlaubt. Der Sinn des § 51 Abs. 3 ZPO, im Sinne des § 1896 Abs. 2 BGB überflüssige Betreuungsverfahren zu vermeiden, rechtfertigt folgerichtig in beiden Verfahren dessen Anwendung, also die Zulassung der eidesstattlichen Versicherung durch den Vorsorgebevollmächtigten.
Unabhängig hiervon muss das Nachlassgericht im Erbscheinsverfahren allerdings immer gemäß § 352 Abs. 3 S. 4 FamFG prüfen, ob die Forderung einer eidesstattlichen Versicherung (des Antragstellers) nicht außer Verhältnis zu dem damit verbundenen Aufwand steht (Vgl. OLG München NJW-RR 2006, 226; LG Ansbach BeckRS 2009, 27547). Dabei muss es auch berücksichtigen, dass ein dann zu bestellender Betreuer nicht zwangsläufig über die dazu erforderliche besondere Sachkunde verfügt (LG Bonn Rpfleger 1985, 29, 30; vgl. auch BayObLGZ 1967, 247, 249). Im Gegenteil wird der mit der eidesstattlichen Versicherung verfolgte Zweck der Schaffung einer möglichst wahrheitsgetreuen Tatsachengrundlage für die Entscheidung über den Erbscheinsantrag in den meisten Fällen zuverlässiger dadurch erreicht, dass ein naher Angehöriger des Antragstellers als Vorsorgebevollmächtigter für diesen die Erklärung abgibt. Hinzu kommt, dass - im Unterschied zum Zwangsvollstreckungsverfahren nach der ZPO - das Erbscheinsverfahren vom Amtsermittlungsgrundsatz beherrscht wird, so dass der Beweiswert der eigenen eidesstattlichen Versicherung des Antragstellers ohnehin relativ gering ist.
Schließlich ist festzuhalten, dass die Einleitung eines „isolierten” Betreuungsverfahrens zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung gar eine überflüssige Förmelei wäre, wenn der Vorsorgebevollmächtigte mit hoher Wahrscheinlichkeit dann auch zum Betreuer einzig zu diesem Zweck ernannt werden würde, weil er in einer Betreuungsverfügung benannt oder zum Betroffenen nahe verwandt ist (Vgl. dazu ausführlich meinen Aufsatz ZEV 2004, 450, 452).
Aus all diesen Gründen bleibt zu hoffen, dass noch mehr Gerichte sich in dieser Frage den OLG Celle, Düsseldorf und Bremen anschließen und eidesstattliche Versicherungen der Vorsorgebevollmächtigten im Erbscheinsverfahren zulassen, und zwar gleichgültig, ob aufgrund analoger Anwendung des § 51 Abs. 3 ZPO oder aufgrund pflichtgemäßer Ermessensausübung im Rahmen des § 352 Abs. 3 S. 4 FamFG. In jedem Fall sind Betreuungsverfahren allein zu diesem Zweck beim Vorhandensein einer allumfassenden Vorsorgevollmacht vom Gesetzgeber gemäß § 1896 BGB erkennbar nicht gewollt und belasten die Justiz zusätzlich, ohne dass dem ein Erkenntnisgewinn in Erbscheinsverfahren gegenübersteht.
OLG Bremen, Beschluss vom 14.09.2021 - 5 W 27/21, BeckRS 2021, 29937