Urteilsanalyse
Voraussetzungen für Durchsuchung bei nichtverdächtiger Person
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Eine Ermittlungsdurchsuchung, die eine nichtverdächtige Person betrifft, setzt nach § 103 Abs. 1 Satz 1 StPO voraus, dass Tatsachen vorliegen, dass sich das gesuchte Beweismittel in den zu durchsuchenden Räumen befindet. Es müssen konkrete Gründe für diese Annahme sprechen. Ausreichend ist nach einem Beschluss des BGH, dass die Beweismittel der Gattung nach näher bestimmt sind. Nicht erforderlich ist, dass sie in allen Einzelheiten bezeichnet werden.

29. Mrz 2021

Anmerkung von 
Rechtsanwältin Jessica Friedrich, Knierim & Kollegen Rechtsanwälte, Mainz

Aus beck-fachdienst Strafrecht 06/2021 vom 18.03.2021

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Sachverhalt

Der GBA führt gegen unbekannt ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Beteiligung an Mord, versuchtem Mord und an gefährlicher Körperverletzung. Auf seinen Antrag hat der Ermittlungsrichter des BGH die Durchsuchung der Räumlichkeiten des Betroffenen H. sowie dessen Kraftfahrzeuge nach näher umschriebenen Beweismitteln angeordnet. Die Durchsuchung ist noch am selben Tag vollzogen worden. Der Ermittlungsrichter des BGH hat auf neuerlichen Antrag des GBA die nochmalige Durchsuchung der Räumlichkeiten des H. nach dem Schlüssel zu einem sichergestellten Tresor, den Peripheriegeräten des sichergestellten Tower-PCs und bestimmten näher bezeichneten Faserspuren angeordnet.

Der H. hat Beschwerden gegen die Durchsuchungsanordnungen eingelegt. Er begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit der durchgeführten Durchsuchungen, insbesondere im Hinblick auf drei in seinem alleinigen Eigentum stehende PKW VW Golf. Der Ermittlungsrichter des BGH hat den Beschwerden nicht abgeholfen. Die Auswertung der einbehaltenen Unterlagen sowie die Durchsicht von Speichermedien ist mittlerweile abgeschlossen worden.

Entscheidung

Der BGH entschied, dass die Rechtsmittel keinen Erfolg haben.

Gegen bislang unbekannte Personen liege ein die Durchsuchung nach § 102 StPO rechtfertigender Anfangsverdacht vor, sich mit dem verstorbenen T. jedenfalls an der Begehung von Tötungs- und Körperverletzungsdelikten beteiligt zu haben. Eines hinreichenden oder gar dringenden Tatverdachts bedürfe es nicht. Es habe der Anfangsverdacht bestanden, dass der verstorbene T., der Sohn des Beschwerdeführers H., mehrere bewaffnete Angriffe auf Besucher verschiedener Lokalitäten sowie Insassen eines Kraftfahrzeugs in Ha. verübt hatte, um möglichst viele Personen ausländischer Herkunft oder mit Migrationshintergrund zu töten. Hierbei habe er neun Personen erschossen und fünf weitere Personen verletzte, davon mindestens eine Person schwer. Im Anschluss an die Taten habe T. zunächst seine Mutter und schließlich sich selbst getötet. Dieser Tathergang sei durch eine Vielzahl von Ermittlungsergebnissen belegt gewesen. Zudem habe nach kriminalistischer Erfahrung weiterhin der Anfangsverdacht bestanden, dass der verstorbene T. von unbekannten Personen im Zusammenhang mit den vorbezeichneten Straftaten unterstützt worden sei. Zu den Einzelheiten der den Anfangsverdacht gegen Unbekannt begründenden Umstände werde weiterhin auf die detaillierten Ausführungen im Durchsuchungsbeschluss des Ermittlungsrichters des BGH verwiesen.

Es hätten auch hinreichende Tatsachen dafür vorgelegen, dass bei dem Beschwerdeführer bestimmte Beweismittel im Sinne des § 103 Abs. 1 Satz 1 StPO aufgefunden werden könnten. Eine Ermittlungsdurchsuchung, die eine nichtverdächtige Person betreffe, setze nach § 103 Abs. 1 Satz 1 StPO voraus, dass Tatsachen vorliegen, dass sich das gesuchte Beweismittel in den zu durchsuchenden Räumen befinde. Es müssten konkrete Gründe dafürsprechen, dass der gesuchte Beweisgegenstand in den Räumlichkeiten des Unverdächtigen gefunden werden könnte. Diese Voraussetzungen seien hier erfüllt gewesen. Ausweislich der bisherigen Ermittlungsergebnisse habe der Beschwerdeführer, seine verstorbene Ehefrau G. und der gemeinsame Sohn, der ebenfalls verstorbene T., in häuslicher Gemeinschaft gelebt. Zudem seien die Leichen der beiden verstorbenen Personen in den in Rede stehenden Räumlichkeiten aufgefunden worden. Bei dieser Sachlage sei zu erwarten gewesen, dass die in den Beschlüssen des Ermittlungsrichters des BGH im Einzelnen genannten Beweismittel in den Räumlichkeiten bzw. den zur gemeinschaftlichen Nutzung zur Verfügung stehenden Kraftfahrzeugen aufgefunden werden konnten. Darauf, in wessen Eigentum die zur Nutzung verfügbaren Kraftfahrzeuge standen, komme es hingegen nicht an.

Die Durchsuchung bei einer nichtverdächtigen Person setzte nach § 103 StPO überdies voraus, dass hinreichend individualisierte (bestimmte) Beweismittel für die aufzuklärende Straftat gesucht werden. Diese Gegenstände müssten im Durchsuchungsbeschluss so weit konkretisiert werden, dass weder bei dem Betroffenen noch bei dem die Durchsuchung vollziehenden Beamten Zweifel über die zu suchenden und zu beschlagnahmenden Gegenstände entstehen könnten. Ausreichend sei dafür allerdings, dass die Beweismittel der Gattung nach näher bestimmt seien; nicht erforderlich sei, dass sie in allen Einzelheiten bezeichnet würden. Diesen Anforderungen würden die angefochtenen Beschlüsse ebenfalls gerecht.

Soweit es den Beschluss des Ermittlungsrichters des BGH vom 22.2.2020 betreffe, seien sowohl die zu sichernden Spuren als auch die benannten elektronischen Kommunikationsmittel und sonstigen Unterlagen dahin konkretisiert worden, dass diese mit der Tötung der G. oder der Gesinnung des verstorbenen T. bzw. dessen Kontaktadressen in Zusammenhang stehen mussten. Gleiches gelte im Ergebnis für den Beschluss des Ermittlungsrichters des BGH vom 5.3.2020, soweit dort ebenfalls potentielle Spurenträger bezeichnet wurden, die über den Tathergang sowie weitere unbekannte Tatbeteiligte Aufschluss geben konnten. Durch diese Einschränkung der möglicherweise aufzufindenden Beweismittel sei den durchsuchenden Beamten hinreichend deutlich aufgezeigt worden, worauf sie ihr Augenmerk zu richten hatten. Auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei gewahrt gewesen.

Die Durchsuchungsanordnungen seien geeignet und erforderlich gewesen, zur Aufklärung einer möglichen Beteiligung bislang unbekannter Personen an dem Tatgeschehen beizutragen. Die Anordnung der Durchsuchungen habe zudem in einem angemessenen Verhältnis zur Bedeutung und Schwere der aufzuklärenden Straftat gestanden. Soweit der Beschwerdeführer daneben die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Art und Weise der Durchführung der Durchsuchungsmaßnahmen erstrebt habe, sei eine - ablehnende - Entscheidung bereits mit dem Nichtabhilfebeschluss des Ermittlungsrichters des BGH getroffen worden. Diese sei nicht mit der Beschwerde anfechtbar.

Praxishinweis

Vorliegende Entscheidung entspricht der ständigen Rechtsprechung, dass die Durchsuchung bei einer nicht tatverdächtigen Person nur zulässig ist, wenn bestimmte Tatsachen den Schluss zulassen, dass bei der Durchsuchung hinreichend individualisierte Beweismittel für die den Gegenstand des Verfahrens bildenden Straftaten aufgefunden werden. Anders als bei § 102 StPO ist die allgemeine Aussicht, irgendwelche relevanten Beweismittel zu finden, nicht ausreichend. Die Beweismittel müssen im Durchsuchungsbeschluss insoweit konkretisiert werden, dass weder bei dem Betroffenen noch bei dem die Durchsuchung vollziehenden Beamten Zweifel über die zu suchenden und zu beschlagnahmenden Gegenstände entstehen können (BGH NStZ 2002, 215 Rn. 3; MüKo-StPO/Hauschild, § 103 Rn.9 m.w.N.). Der BGH betont jedoch, dass es ausreicht, dass die Beweismittel der Gattung nach näher bestimmt sind und dass nicht erforderlich ist, dass sie in allen Einzelheiten bezeichnet werden (BGH NStZ 2000, 154).

BGH, Beschluss vom 09.02.2021 - StB 9/20, StB 10/20, BeckRS 2021, 3096